Fit mit 100 Jahren
Elsbeth Drehsen aus Sistig hat ein arbeitsreiches und bewegtes Leben hinter sich – Viele Gratulanten wünschten Glück zum runden Geburtstag – Sie ist froh, Bürgermeister Hermann-Josef Esser persönlich kennen gelernt zu haben: „Ne janz nette Mann“ – In der seit über 30 Jahren geschlossenen Gaststätte scheint die Zeit still zu stehen
Kall-Sistig – Wenn man Elsbeth Drehsen in Sistig gegenübersitzt und sie aus früheren Jahren erzählt, dann will man kaum glauben, dass die zierliche Dame vor einem Monat das gesegnete Alter von 100 Jahren erreicht hat.
Die Seniorin, die seit 40 Jahren Witwe ist und noch immer ihren Haushalt allein führt und jeden Tag für sich kocht, hat Jahrzehnte lang in der ehemaligen „Eifel-Gaststätte Alfred Drehsen“ in der Schleidener Straße hinter dem Tresen gestanden und für Hotelgäste gekocht. Gerne erinnert sie sich noch an die Zeit, als Holländer und Engländer als Urlauber im Haus logierten und viele Freundschaften entstanden.
Zum großen Ehrentag am 19. Juni reihten sich auch Bürgermeister Hermann-Josef Esser und Ortsvorsteher Karl Vermöhlen in die Schar der Gratulanten ein. Die vielen Glückwunschkarten zeugten von der Beliebtheit, der sich die betagte Dame auch heute noch erfreut. Mit Esser und Vermöhlen betrachtete Elsbeth Drehsen alte Fotos und plauderte aus längst vergangenen Zeiten, als tolle Feste in der Gaststätte gefeiert wurden.
Ortsvorsteher Vermöhlen wohlbekannt
Den Bürgermeister kannte Elsbeth Drehsen bis zu dessen Geburtstagsbesuch nicht persönlich. Deshalb war sie ganz gespannt, was Hermann-Josef Esser so für ein Mensch ist. Und siehe da: Der Kaller Chef von Rat und Verwaltung war der rüstigen alten Dame auf Anhieb sympathisch: „Ne janz nette Mann“ urteilte sie über den ersten Bürger der Gemeinde Kall.
Auch der Bürgermeister war froh, die Jubilarin besucht zu haben: „Für mich war der Besuch bei Elsbeth Drehsen eine Freude. Es ist beeindruckend, wie fit sie körperlich und geistig ist, und wie sehr sie sich ihren Humor bewahrt hat. Immerhin darf man nicht vergessen, dass sie einen Weltkrieg überlebt und ein arbeitsreiches Leben hinter sich hat.“
Ortsvorsteher Karl Vermöhlen dagegen kennt Elsbeth Drehsen schon seit vielen Jahren. Vor 35 Jahren hatte der nämlich in der Gaststätte seinen Hochzeitstag gefeiert. Vermöhlen: „Eigentlich war die Gaststätte damals schon nicht mehr in Betrieb. Für uns hat sie aber extra nochmal aufgemacht, allerdings gab es da schon kein Gezapftes mehr“.
Elsbeth Drehsen kann auf ein bewegtes Leben zurückblicken. Sie wurde am 19. Juni 1920 als sechstes von sieben Kindern in Schönigswalde in Westpommern als Elsbeth Anna Amanda Dähling geboren. Noch heute erinnert sie sich daran, wie sie als Kinder mit dem Fahrrad zur nahegelegenen und heute noch bekannten Rügenwalder Wurstfabrik zum Einkaufen geradelt sind.
Nach dem Krieg zog die Familie nach Eutin und entging dadurch der Vertreibung. In der Holsteinischen Schweiz arbeitete Elsbeth als Hauswirtschafterin bei der Familie des Landrates. Durch eine Freundin aus Köln bekam sie eine Anstellung in Porz-Eil. Ihren späteren Mann Alfred Drehsen lernte sie am Kölner Hauptbahnhof kennen, als sie mit zwei schweren Koffern unterwegs war. Der zehn Jahre ältere Alfred half ihr beim Tragen der Gepäckstücke, so kam man sich näher…
Lebensmittelpunkt Eifel
„Nach der gemeinsamen Zugfahrt haben wir uns ein paarmal geschrieben“ erinnert sich Elsbeth Drehsen noch gut an die Anfänge ihrer Beziehung mit dem späteren Ehemann, der aus Harperscheid stammte und zu der Zeit als Fuhrmann mit Pferd und Wagen zwischen Harperscheid und Köln unterwegs war. In Köln gaben sich die damals 29-Jährige und der Eifeler Fuhrmann am 22. April 1949 das Ja-Wort.
Ihr Hochzeitskleid lieh sich die junge Braut damals von einer Freundin. Nach der Hochzeit zog das frisch vermählte Paar nach Sistig, wo die Familie Wilhelm Drehsen einen kleinen Laden und die Gaststätte betrieb. Das Gasthaus wurde später auf Ehemann Alfred angemeldet. Auf alten Ansichtskarten von Sistig ist die Entwicklung der Eifel-Gaststätte dokumentiert.
Das Paar baute die Wirtschaft im Lauf der Jahre in eine schmucke Gaststätte mit angrenzender Bauernstube um, das Gebäude wurde aufgestockt und Fremdenzimmer eingerichtet. „Wenn es etwas Neues gab, war mein Mann sofort dabei“, erzählt Elsbeth Drehsen. In dem Wirtshaus habe der erste Fernseher im Ort gestanden. Bei der Gemeinde sei der damals unter der Nummer eins angemeldet worden. „Wenn Fußball übertragen wurde, ging es bei uns stets hoch her“, so die Hundertjährige. Um ein halbwegs gutes Bild zu bekommen, habe sie die Fenster mit dicken Wolldecken zugehangen.
Auch Karneval sei damals in der Gaststätte groß gefeiert worden, denn Ehemann Alfred sei ein leidenschaftlicher Fastelovendsjeck gewesen. Ausgerechnet an Karneval 1980, zehn Tage nach seinem 70. Geburtstag, sei ihr Ehemann plötzlich verstorben. „Wir hatten vorher mit unseren Gästen noch kräftig gefeiert und geschunkelt“, erinnert sich die Witwe an den schwärzesten Tag ihres Lebens.
Sie habe mit ihrem Alfred nach Feierabend in der Küche noch eine Tasse Kaffee getrunken und die Tageseinnahme gezählt. Dann sei er zusammengebrochen und gestorben. Elsbeth Drehsen: „Das war ein großer Schock für das ganze Dorf“.
Kein Rezept für das hohe Alter
Kinder hatte das Ehepaar nicht. Sie habe Gaststätte und Pension noch einige Jahre allein geführt. Der Zeitpunkt der Schließung ist einer der ganz wenigen Erinnerungslücken bei der Hundertjährigen. Es sei aber über 30 Jahre her, wovon auch Ortsvorsteher Karl Vermöhlen ausgeht. Bemühungen, in all den Jahren, einen Pächter für die Gaststätte zu finden, scheiterten.
„Wir hatten damals gerade für viel Geld eine schicke neue Theke angeschafft“, so die Witwe. Dann führte sie den Besucher durch das Wohnzimmer in eine komplett eingerichtete Kneipe, in der es scheint, als sei die Zeit stehen geblieben. Man hat den Eindruck, in der nächsten Minute geht die Tür auf und die Gäste kommen rein.
In der Bauernstube liegen die Decken noch auf den Tischen, in der Gaststätte sieht es aus wie vor einem Vierteljahrhundert. Der neuwertigen Theke mit den eingearbeiteten Takenplatten ist anzusehen, dass ihr bislang nur ein kurzer Dienst am durstigen Kunden beschert war. Auch die Truhe mit dem alten Fernseher steht noch im Gastraum, ebenso der Billardtisch, den Elsbeth Drehsen der Sistiger Jugend schenken will, sobald der Jugendclub in der umgebauten Alten Schule eingerichtet ist.
In der Gemeinde Kall ist Elsbeth Drehsen die zweitälteste Einwohnerin. Ein Rezept, wie man es schafft 100 Jahre alt zu werden, hat sie nicht. Von jedem Tag einem Gläschen Wein oder einem kleinen Klaren will sie nichts wissen. Hin und wieder gönne sie sich ein Glas „Rotbäckchen“.
pp/Agentur ProfiPress