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Kommern erinnert sich

Acht neue „Stolpersteine“ des Künstlers Gunter Demnig in Kommern verlegt – Redner appellierten an Menschen für Toleranz und gegen das Vergessen – Unter anderem Landrat Markus Ramers und Bürgermeister Dr. Schick vor Ort – Angehörige der Opfer aus London per Videotelefonat über Rainer Schulz zugeschaltet – Viele Gäste vor Ort, Polizei sperrte Straße ab

Mechernich-Kommern – „77 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz setzen wir Stolpersteine und erinnern uns. Senkt den Kopf und lest. Erzählt der Welt, was uns angetan worden ist.“ Mit diesen Worten eröffneten drei Schülerinnen der Euskirchener Marienschule die Stolpersteinlegung am 25. Januar in der Kommerner Mühlengasse. Parallel dazu, nur wenige Meter entfernt, begann Gunter Demnig damit, die vier Gedenksteine an die deportierte und ermordete Familie Lewin zu setzen.

Am Dienstag, 25. Januar, wurden in Kommern acht neue „Stolpersteine“ im Gedenken an sowohl geflohene als auch deportierte jüdische Familien verlegt. Hier zu sehen: Gunter Demnig, Künstler und Urvater der Steine, bei der Arbeit. Foto: Henri Grüger/pp/Agentur ProfiPress

Die zweite Station war die Kölner Straße 18, ebenfalls in Kommern, in dem die Familie Kaufmann vor ihrer erfolgreichen Flucht nach England gelebt hatte.

Betretenes Schweigen herrschte, als die zwar unterschiedlichen, doch ergreifenden Geschichten hinter den Steinen erzählt waren.

Jeweils eine weiße Rose für jede Familie wurde zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus in Kommern niedergelegt. Hier für die ermordete Familie Lewin. Foto: Henri Grüger/pp/Agentur ProfiPress

Gäste und Helfer

An der Zeremonie nahmen darüber hinaus auch Landrat Markus Ramers, Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick, Stadtdezernent Ralf Claßen, Kommerner Zeitzeugin Christine Hiller, sowie die Mitinitiatoren der Aktion Britta und Rainer Schulz, Gisela und Wolfgang Freier und Elke Höver teil. Emmy Kaufmanns Kinder, Anthony und Helen, nahmen darüber hinaus an der gesamten Zeremonie per Videotelefonat über das Handy von Mitorganisator Rainer Schulz teil. Im Vorfeld hatte er bereits die Stellen, an denen die Steine in das Pflaster eingelassen wurden, markiert.

Nicht nur hygienische Sicherheit, auch die im Straßenverkehr kam nicht zu kurz. Hier zu sehen: Eine Straßensperre in der Kommerner Mühlengasse. Foto: Henri Grüger/pp/Agentur ProfiPress

Die Mechernicher Polizei sorgte für eine sichere Umleitung von Autos um die Aktion, als sich die Gäste und Initiatoren, allesamt ausgestattet mit medizinischen Gesichtsmasken, schließlich in einem anliegenden Innenhof versammelten, richteten Landrat Ramers, Bürgermeister Dr. Schick, Rainer Schulz und Gisela Freier noch ein paar Worte der Erinnerung und Dankbarkeit an alle.

Rainer Schulz, Mitorganisator der Aktion, sorgte dafür, dass Anthony und Helen, Kinder der geflohenen Emmy Kaufmann die Aktion zu Ehren ihrer Familie live miterleben konnten. Foto: Henri Grüger/pp/Agentur ProfiPress

„Ich bin sehr stolz auf Euch!“

Der Mechernicher Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick bedankte sich zu Beginn herzlich bei allen Organisatoren und Helfern, dem Künstler und „Stolperstein“-Initiator Gunter Demnig und den Schülerinnen der Euskirchener Marienschule für ihr Engagement sowie ihre Hilfe und richtete sich mit seinen Worten an alle: „Euch trifft keine Schuld, doch ihr müsst wissen, was auch hier damals geschah! Wie viele heute hier sind, ist wahrlich ein wichtiges Zeichen. Ich finde es bewundernswert, nach allem, was diesen Menschen angetan wurde, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen, dem sogenannten „Volk der Täter“ anzugehören, wie es die hier heute per Videoanruf zugeschalteten Kinder der geflüchteten Emmy, Anthony und Helen, getan haben. Und für uns alle sollte gelten: Jeder, der nach Hilfe sucht, sollte sie bekommen und mit offenen Armen empfangen werden, egal wo seine Wurzeln liegen. Ich bin sehr stolz auf Euch!“

Gunter Demnig bei seiner Berufung: Der letzte Stein der geflohenen Familie Kaufmann wird in den Boden eingesetzt. Foto: Henri Grüger/pp/Agentur ProfiPress

Den Menschen ihren Namen zurückgeben

„Ich kann mich den Worten von Bürgermeister Schick nur anschließen“, so Landrat Ramers. „Wir müssen uns erinnern. Auch Familien und Kinder aus Kommern, aus dem ganzen Kreis und darüber hinaus, haben ihren Namen verloren und stattdessen Zahlen bekommen. Das machte ihre systematische Vernichtung für den NS leichter und sollte auch etwas anderes vernichten: Die Erinnerungen an diese Menschen. Doch das werden wir nicht zulassen. Ich danke an dieser Stelle herzlich den Initiatoren des heutigen Tages, denn so wird den Menschen endlich wieder ihr Name zurückgegeben!“

Rainer Schulz richtet Worte des Dankes an alle Anwesenden und Helfer. Er hatte unter anderem im Vorfeld die Stellen für die Steine markiert und bereits im letzten Jahr eine Reinigungsaktion der bereits vorhandenen Kommerner Steine organisiert. V.l.: Gisela Freier, Rainer Schulz, Lehrerin Elke Höver und Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick. Foto: Henri Grüger/pp/Agentur ProfiPress

Dann ergänzte er: „Es gibt aber auch eine Grenze, die wir niemals überschreiten dürfen. Das Leid der Opfer des NS zu relativieren und sich mit ihnen gleich, ja sogar über sie zu stellen, dürfen und werden wir nicht hinnehmen. Ich danke allen Anwesenden sehr für ihre Hilfe, sowie ihre Teilnahme bei dieser sehr wichtigen Aktion gegen das Vergessen.“

Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick mahnt vor dem Vergessen und dankt für das weitreichende Engagement der Helfer, sowie natürlich Gunter Demnig selbst. Foto: Henri Grüger/pp/Agentur ProfiPress

„Viele gute Menschen“

Gisela Freier, ehemalige Hauptschullehrerin, kannte Emmy, Mutter von Anthony und Helen gut. Als sie sich im Jahre 2003 mit Christine Hiller dafür einsetzte, die ersten Stolpersteine in Kommern legen zu lassen, erhielt sie kurze Zeit später einen Anruf aus London. Es war Emmy Kaufman, welche sie daraufhin zu sich einlud. Daraus entwickelte sich eine über lange Jahre, bis zu ihrem Tod währende Freundschaft und ein tiefes Vertrauensverhältnis. Freier berichtete des Weiteren davon, dass sie bei Emmy immer einen leisen Anflug von Heimweh nach Kommern verspürt hätte. So erinnerte sie sich an einen ihrer Sätze ganz besonders: „Kommern hatte viele gute Menschen.“

Betroffen lauschten die Gäste der Aktion den Worten des Landrates Markus Ramers. Foto: Henri Grüger/pp/Agentur ProfiPress

Sie betonte weiter: „Die Erinnerung darf nicht zu Wohlfühlritualen der Kinder der Täter werden. Wir dürfen nicht nur betroffen schaue, sondern müssen aktiv handeln. Ich danke auch den drei Schülerinnen der Marienschule und ihrer Lehrerin herzlichst für ihre Teilnahme und schönen Worte der Erinnerung. Ich hoffe, dass wir bereits im nächsten Jahr wieder weitere Stolpersteine einsetzen können!“

Die ehemalige Lehrerin der Gemeinschaftshauptschule Satzvey Gisela Freier berichtete von ihrem engen Kontakt zur geflüchteten Emmy Kaufmann, sowie die ersten Kommerner „Stolpersteine“ im Jahre 2003. Foto: Henri Grüger/pp/Agentur ProfiPress

Geschichten zweier Familien

Die Schülerinnen der Marienschule, welche Gerda und Emmy Kaufmann bis zu ihrer mittleren Reife ebenfalls besucht hatten, Charlotte Schmitz, Laura Talarico und Franziska Lüttgen, die gemeinsam mit Lehrerin Elke Höver die Ansprache während der Zeremonie entwickelt und gehalten haben, erzählten: Wie die Familie Lewin bestehend aus den Eltern Erich, ein Uhrmacher und seine Frau Lina mit ihren Töchtern Käthe und Else bis 1930 in Kommern, dann bis 1936 in der Mechernicher Bahnstraße und ab dann wieder in der Kommerner Mühlengasse gewohnt hatten. Laut Aufzeichnungen seien Erich, Lina und Käthe schließlich 1942 aus dem „Judenhaus“ in Kommern nach Minsk deportiert und ermordet worden. Else, die jüngere Schwester wurde 1942 mit 12 Jahren aus Potsdam nach Sobibor deportiert und ebenfalls ermordet. Wie sie allerdings nach Potsdam kam, sei nicht klar.

Die Schülerinnen der Marienschule in Euskirchen (v.l. Charlotte Schmitz, Laura Talarico, Franziska Lüttgen) mit Lehrerin Elke Höver (r.) sorgten mit wohlbedachten Worten und der Geschichte hinter den Steinen für eine andächtige Stimmung. Emmy und Gerda Kaufmann besuchten die Schule bis zur mittleren Reife. Foto: Henri Grüger/pp/Agentur ProfiPress

An der zweiten Station, dem ehemaligen Haus von Sigmund und Bertha Kaufmann samt ihren Töchtern Emmy und Gerda in der Kölner Straße, erzählten sie ebenso – Wie die Kaufmanns über drei Generationen lang im „schönsten Fachwerkhaus Kommerns“ gelebt hätten, von ihrem Vorfahren Isaak Kaufmann, geboren 1838, der sich laut Erzählungen jeden Tag um Punkt 11 Uhr mit seinem Freund Schäng Lambert auf einer Bank vor seinem Haus traf, um sich gegenseitig die Welt zu erklären. Gerda floh bereits 1938 nach England, Emmy folgte ihr 1939. Den Eltern gelang es schließlich, einen Tag vor dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges ebenfalls nach England zu flüchten. Gerda starb in Jahr 2009, Emmy im Jahr 2010.

pp/Agentur ProfiPress