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Zwischen allen Lagern

Sötenicher Judaistin, Friedensaktivistin und Autorin Dr. Edith Lutz liebt die Eifel und die weite Welt, vor allem aber Menschen, und zwar ungeachtet ihrer staatlichen und religiösen Zugehörigkeit – Jetzt hat die 70jährige Ehefrau und mehrfache Mutter zwei neue Bücher aufgelegt, darunter ihren ersten Roman „Einer aus Wiesendorf“

Kall – Mit zwei neuen Buchveröffentlichungen macht die Kaller Autorin Dr. Edith Lutz auf sich aufmerksam. Das eine ist ein Roman mit biographischen Zügen unter dem Titel „Einer aus Wiesendorf“.

Das andere ist ein Lyrikband „Aus dem Zwischen des Hohelieds“ mit ausgewählten Gedichten von Admiel Kosman, aus dem Hebräischen übertragen und herausgegeben von der in Sötenich lebenden Edith Lutz. Und zwar in Zusammenarbeit mit dem israelischen Autor Udi Levy und dem in Sistig lebenden Schriftsteller Theo Breuer.

Edith Lutz (70) ist in Leverkusen geboren und aufgewachsen. Die Ehefrau und mehrfache Mutter lebt seit Jahrzehnten in Sötenich und damit „sehr gern in der Eifel“. Nach ihrer Ausbildung zur Krankenschwester studierte sie Englisch und Biologie auf Lehramt sowie Religionswissenschaften und Judaistik. Sie promovierte im Fach „Jüdische Studien“ und unterrichtete unter anderem an der Gesamtschule Weilerswist. Foto: Manfred Lang/pp/Agentur ProfiPress

Lutz ist in der Region bekannt durch ihre Unterstützungs- und Freiheitsaktionen für die Palästinenser, insbesondere in Gaza („Free Gaza“). 2007 reiste sie nach Israel und besuchte auch die palästinensisch besetzten Gebiete. Zweimal versuchte die Kallerin mit Aktivistenbooten Gaza zu erreichen, machte Bekanntschaft mit israelischen Gefängnissen und israelischer Einreise- und Abschiebungspolitik.

Der erste Versuch mit dem Schiff „Liberty“ der Free-Gaza-Bewegung glückte 2007 trotz eines schweren Sturms auf See. 2010 wurde das zweite, sogenannte „Jüdische Boot“ von den Israelis abgefangen, womit sich Edith Lutz ein zehnjähriges Einreiseverbot einhandelte.

Viele Gefährten sind selbst Juden

Viele ihrer Weggefährten sind selbst Juden und Israelis. Bei ihrem zweiten Versuch, die Blockade auf dem Seeweg zu durchbrechen, waren vier der insgesamt neun jüdischen Passagiere Israelis, einer sogar Holocaustüberlebender. Trotzdem geriet sie ins Visier der israelischen Sicherheitsorgane, wurde verhaftet und „gebannt“, wie sie das nennt.

Die Medienaufmerksamkeit für die Aktionen von Edith Lutz und ihren zum Teil recht prominenten Friedensaktionsgefährten war erheblich. 2011 wurde ihr unter anderem der Rheinland-Pfälzische Friedenspreis für die Bootaktion im Jahr zuvor überreicht. An der Situation der Palästinenser in Israel und den autonomen Gebieten hat sich seither allerdings kaum etwas geändert.

Die Sötenicherin Edith Lutz auf einer Demonstration von Angehörigen palästinensischer Gefangener in israelischen Gefängnissen. Die Gefangenen, darunter viele Minderjährige, sitzen oft jahrelang in „Administrativhaft“ und können keine Besuche von ihren Angehörigen aus Gaza erhalten. Foto: Privat/Archiv Lutz/pp/Agentur ProfiPress

Edith Lutz ist in Leverkusen geboren und aufgewachsen. Nach ihrer Ausbildung zur Krankenschwester studierte sie Englisch und Biologie auf Lehramt, Religionswissenschaften und Judaistik. Sie promovierte im Fach „Jüdische Studien“, während eines Sabbatjahrs begann sie außerdem ein Spanischstudium, das sie neben ihrer Lehrtätigkeit bis zum Staatsexamen fortführte.

Ein bewegtes Leben, das dazu führte, dass Edith Lutz statt einer geschriebenen Biographie auf ihrer Webseite einen verästelten „Lebensbaum“ mit all ihren Berufen, Tätigkeiten, Neigungen und Einsatzorten zeigt. „Ich hatte immer das Gefühl, vom Schicksal geführt zu werden“, sagt die gläubige Jüdin, die offiziell nie vom Christentum zur Jüdischen Kultusgemeinde konvertierte.

Aufgrund persönlicher Erfahrungen in der Friedensbewegung veröffentlichte die Ehefrau und mehrfache Mutter Aufsätze und Essays. Bereits zuvor war sie eine und kreative Pädagogin und Autorin für ausgefallene Unterrichtsthemen wie „Begegnungen im Tanz“, „Chanukka – das andere Weihnachtsfest“, „Rapunzel, lass dein Haar herunter – Sexualität im Märchen“, „Begegnungen mit Roma und Sinti“, um nur ganz wenige Beispiele aus ihrem diesbezüglich enormen Schaffensrepertoire zu nennen.

Stürmische Überfahrt

1988 veröffentlichte Edith Lutz bei Fischer/Frankfurt eine „Kleine Geschichte der Jüdischen Religion“, immer wieder gibt es Aufsätze über Heine, für die Heine-Studien und im Heine-Jahrbuch sowie Artikel für die Jüdische Zeitung, den „BlickPunkt“ und „Die Christengemeinschaft“.

Ihre erste Landung in Gaza war ein „sehr emotionales, schönes Erlebnis“. Die Überfahrt war gefährlich. Man geriet in einen schweren Sturm. Immer schwebte die Gefahr über den Häuptern der kleinen Besatzung, dass sie von der israelischen Küstenwache aufgebracht würde.

An Bord der „Liberty“, eines der beiden „Free-Gaza“-Boote, denen es 2008 gelang, die Gaza-Blockade zu durchbrechen. Die Medienaufmerksamkeit war enorm, selbst die Tagesschau berichtete. Auf dem schwarzen T-Shirt steht in Arabisch „Gaza on my mind“, neben Edith Lutz (l.) Hedy Epstein, eine in Freiburg geborene US-Jüdin. Foto: Privat/Archiv Lutz/pp/Agentur ProfiPress

Doch dann kamen Fischerboote, voll besetzt mit trommelnden Pfadfindern und Prominenten in Sicht, jubelnde Menschen warteten am Strand. So was vergisst man nie wieder – vor allem dann nicht, wenn es einem um den Menschen geht und nicht um seine pauschale Zuordnung zu dem einen oder anderen Lager, Staatswesen oder Religion.

Dem Kaller „Rundblick“ sagte die Autorin und Aktivistin: „Ich stehe auf einer Brücke – ich bin weder pro-israelisch, noch pro-palästinensisch“. Von der Brücke setzte sie sich weiter für Menschenrechte ein, vor allem für die eingeschlossenen Menschen in Gaza. Sie hat sich bewusst „unpolitisch“ eingeordnet und der „Hamas“ ferngehalten. Allerdings nahm sie – eher durch Zufall, wie sie betont – an einem Empfangstreffen mit Ministerpräsident Ismael Hanije teil, der sie anschließend durch das von ihm mitbewohnte Flüchtlingsviertel führte.

Dass sie zehn Jahre nicht nach Israel einreisen darf, hat man ihr bei ihrer Ausweisung nicht mitgeteilt. Bei einem Einreiseversuch wurde sie noch am Flugplatz interniert und wieder nach Deutschland abgeschoben. Erst von der israelischen Botschaft in Berlin erfuhr sie auf Anfrage von ihrer „Bannung“ für eine Dekade.

„Ich stehe auf einer Brücke“, sagte die Kaller Aktivistin und Autorin dem „Rundblick“: „Ich bin weder pro-israelisch, noch pro-palästinensisch“. Von der Brücke setzt sie sich weiter für Menschenrechte ein, insbesondere für die eingeschlossenen Menschen in Gaza. Foto: Privat/Archiv Lutz/pp/Agentur ProfiPress

Nach den Erfahrungen in Israel und den besetzten Palästinensischen Gebieten erschien 2008 ihr Prosaband „Grenzgänge im Januar“ sowie im Internet ihr „Schiffstagebuch“. Mit einem Vorwort von Eugen Drewermann kam 2014 im „AphorismA Verlag“ mit Admiel Kosman das kleine dialogische Werk „Zwischen Ich und Du“ heraus. 2019 erschienen jetzt im Pop-Verlag Ludwigsburg die eingangs erwähnten neuen Bücher.

„Aus dem Zwischen des Hohelieds“ (ISBN 978-3-86356-271-7, 12,80 €) ist Lyrik in Deutsch und Hebräisch, „Einer aus Wiesendorf“ (ISBN 978-3-86356-271-7, 16,50 Euro) ist ihr erster Roman. Die imaginäre Farbenstadt Wiesendorf ist Wiesdorf, ein Stadtteil im heutigen Leverkusen, wo Edith Lutz 1949 geboren wurde.

Vater in Gewissensnot

Die Mayer-Werke des Romans sind unschwer als „Bayer“ zu erkennen. Dort arbeitete der Vater, den die Autorin Walter Paul nennt, in der Kautschukabteilung. Sehr erfolgreich, denn er machte mehrere Entwicklungen, die zum Patent angemeldet wurden.

Die Patente verhalfen dem Konzern zu ansehnlichen Gewinnen, was den jungen Werkmeister im Roman in Gewissenskonflikte stürzt, denn seine Erfindungen werden auch für Panzergranaten genutzt. Sabotage verbietet sich, Walter Paul muss an Frau und Kinder denken. Im Werk waren ihm polnische Zwangsarbeiter zugeteilt.

„Einer aus Wiesendorf“ (ISBN 978-3-86356-271-7, 16,50 Euro) ist der erste Roman von Edith Lutz. Die imaginäre Farbenstadt Wiesendorf ist Wiesdorf, ein Stadtteil im heutigen Leverkusen, wo die Wahl-Kallerin 1949 geboren wurde. Repro: Thomas Schmitz/pp/Agentur ProfiPress

Als ihr Vater plötzlich starb, war sie gerade 19 Jahre alt und Schwesternschülerin in jenem Krankenhaus, in das der Krankenwagen seine Leiche einlieferte. Mit dieser Schilderung beginnt Edith Lutz ihren Roman, in dem sie sich auf die Suche nach der Vergangenheit ihrer Familie begibt.

Die Einzelheiten der Zeit vor ihrer Geburt kennt Edith Lutz aus familiären Erzählungen. Außerdem befragte sie die älteren Geschwister nach deren Erinnerungen, als sie sich auf die Suche nach der Wahrheit oder manchmal verschiedenen Wahrheiten machte. Die persönlichen Erzählungen stützte Edith Lutz durch gründliche Recherche im Stadtarchiv Leverkusen, im Auschwitz-Archiv, im Bundesarchiv, im NRW-Rheinland-Archiv und nicht zuletzt im Bayer-Archiv. In der Beschreibung des Prozess-Verlaufs zitierte sie ausführlich aus den erhaltenen juristischen Dokumenten und Akten.

„Bewusst entschied sie sich für die stilistische Form des Romans und die leichte Verfremdung der Namen“, schreibt die Rezensentin Monika Klein in der „Rheinischen Post“. „Mir ging es nicht um Anklage“, konstatiert Edith Lutz. Ihr Anliegen ist immer das Gleiche: Die Menschen sollen die Dinge nicht in Schwarz und Weiß, Gut und Böse scheiden, sondern eine meist heterogene Gemengelage erkennen und differenzierter bewerten.

Es geht ums Brückenschlagen

Für die Autorin wie die Aktivistin, die übrigens sehr gerne in der Eifel lebt, ist Empathie ein wichtiges Stichwort. Offenheit für die Menschen und ihre Lage sind für sie wichtig und für ein friedliches Zusammenleben unverzichtbar. „Ich versuche ihnen Verständnis entgegenzubringen.“ Brücken schlagen will sie im sogenannten „richtigen Leben“ wie auch im Roman.

Am Lyrikband „Aus dem Zwischen des Hohelieds“ mit ausgewählten Gedichten von Admiel Kosman, aus dem Hebräischen übertragen und herausgegeben von Edith Lutz, arbeitete auch der in Sistig lebende Autor Theo Breuer mit. Repro: Thomas Schmitz/pp/Agentur ProfiPress

Was als Nächstes schriftstellerisch an die Reihe kommt, kann Dr. Edith Lutz noch nicht hundertprozentig sagen. Nach dem Romandebüt mit „Einer aus Wiesendorf“ will sie ein bereits begonnenes Romanthema weiter fortsetzen. Es geht um die Ahnen mütterlicherseits, eine Sippengeschichte zurück bis ins 16. Jahrhundert. War es im „Wiesendorf“-Roman die Tochter, so soll es dann die Enkelin sein, die die Handlung erzählend vorwärts treibt…

pp/Agentur ProfiPress