„Rassismus ist ein Massenphänomen“
Dritter Fachtag „Kompetenz Integration“ in Vogelsang – Deutsches Rotes Kreuz als Partner – Michael Kehren leitete Workshop zum Thema Antisemitismus
Schleiden-Vogelsang – Betrachtet man die Historie der einstigen NS-Ordensburg in Vogelsang, ist es immer noch etwas Besonderes, wenn man sieht, was aus dem Ort in den vergangenen Jahren geworden ist. Auch dank des Deutschen Roten Kreuzes, das dort unter anderem nicht nur eine Akademie, sondern auch ein Humanitarium genanntes Museum betreibt. Völkerverständigung statt Rassenhass – so lautet die Devise mitten im Nationalpark Eifel.
Das dachte sich jetzt auch der Kreis Euskirchen, der auf Vogelsang unter anderem in Kooperation mit der DRK-Integrationsagentur Euskirchen den dritten Fachtag „Kompetenz Integration“ zum Thema „Umgang mit Diskriminierung und Rassismus“ ausrichtete. Vogelsang wurde als ehemaliger Täterort bewusst ausgewählt, um ein Zeichen zu setzen, ließ es das Kommunale Bildungs- und Integrationszentrum des Kreises verlauten. Dabei machte Moderatorin Elizaveta Khan, Geschäftsführerin des Integrationshauses Köln, die Dringlichkeit des Fachtages klar: „Für manche Menschen hat Rassismus 1945 aufgehört.“
Rund 60 Teilnehmer aus vielen Bereichen der Integrationsarbeit, etwa von Kommunen wie der Gemeinde Kall oder von Wohlfahrtsverbänden, nahmen an der nachmittäglichen Veranstaltung teil. Nach dem Input teilten sich die Besucher auf vier Workshops auf. Zum Abschluss wurden die Ergebnisse präsentiert. Auch das Rote Kreuz im Kreis Euskirchen war mit einem Workshop vertreten. „Antisemitismus heute – eine Einordnung in die aktuelle Rassismus-Debatte“ lautete das Thema, dem sich Michael Kehren vom Team Migration/Integration widmete.
Dabei wollte er von den Teilnehmenden zunächst wissen, warum sie sich für den Workshop interessierten und was für sie Antisemitismus bedeute. Die Antworten waren vielfältig. Ein Großteil war sich aber einig: Antisemitismus ist ein Thema, das zuletzt ein wenig untergegangen sei. In seinem Vortrag zeigte Michael Kehren zunächst die Historie auf. Wie er selbst sagte, könne man das wegen des Umfangs nur in einem Parforceritt von christlich/religiösen Ursprüngen bis hin zum klassischen Antisemitismus aus biologischen und vermeintlich „rassischen“ Unterschieden, die von Vorurteilen geprägt sind, abbilden.
Anders als im Fall von rassistischer Diskriminierung, der die Opfer sich, beispielsweise aufgrund ihrer Hautfarbe, nicht entziehen könnten, würden Opfer antisemitischer Übergriffe häufig „unsichtbar“ und würden ihr Jüdisch-sein vor ihren Zeitgenossinnen und Zeitgenossen verbergen. Besonders wurden aktuelle Entwicklungen im Zusammenhang mit den Demonstrationen gegen die Coronamaßnahmen der Regierung hervorgehoben: Unter dem Deckmantel der Gesellschaftskritik würden ganz offen antisemitische Verschwörungstheorien vertreten. Die Benutzung von Symbolen und Bildern, die das Leid jüdischer Menschen während des Holocausts mit Infektionsschutzmaßnahmen verglichen, bezeichnete Kehren als zynisch und geschichtsvergessen.
Bemerkenswert war mit Sicherheit der leidenschaftliche Input zum Thema „Was Diskriminierung mit den Opfern macht“ von Referent, Autor und Moderator Sami Omar. Als dunkelhäutiger Mann sei er permanent Alltagsrassismus ausgesetzt – ob an der Supermarktkasse oder wenn man ihn für das gute Deutsch seiner Kinder lobt, die in dieser Sprache erzogen wurden.
Menschen mit einer bestimmten Hautfarbe werden vorurteilsbedingt bestimmten, oft niederen Tätigkeiten zugeordnet. Deshalb kommt Omar zu dem Schluss: „Rassismus ist ein Massenphänomen, es betrifft jeden.“ Damit sind auch die gemeint, die sich selbst für unverdächtig halten. Sami Omar nennt das das Roberto-Blanco-Prinzip. „Menschen sagen dann: Ich kenne aber einen Schwarzen, der hat nichts dagegen.“
Sami Omar nimmt sich selbst auch nicht aus. Im Gegenteil: Er hat mittlerweile auch eine Schutzhaltung entwickelt, die zu absurden Situationen führt. So habe er ein vor ihm stehendes weinendes Kind nicht trösten können, sondern seine Frau gerufen. Omar weiß aus Erfahrung: „Schwarze Männer wirken bedrohlich,“ sodass Umstehende seine Fürsorge falsch interpretieren könnten.
Was ihm besonders in den Medien auffalle: Dort würden für die weißen Menschen Probleme im Umgang mit Minderheiten konstruiert, zuletzt erst an der Frage, ob man heute noch Zigeunersoße sagen darf oder nicht. Dabei sei Sprache Konsensarbeit und entwickele sich ständig weiter.
Stattdessen sollen sich Menschen immer wieder mit der Frage konfrontieren: „Was habe ich gerade getan“? Und auch Organisationen. So gebe es mittlerweile viele Bildungseinrichtungen mit dem Zertifikat „Schule gegen Rassismus – Schule mit Courage“. Doch das müsse auch gelebt werden innerhalb der Schulen, etwa durch konkrete Aktionen. „Ein Schild an der Tür heißt noch nichts.“
pp/Agentur ProfiPress