„Tiere sind ein Wundermittel“
Tiergestützte Therapie in der Nähe der Senioren- und Betreuungseinrichtung Haus Agnes Bertram – Heilsame Spaziergänge mit Eseln und Schafen – Mitarbeiter der Firma „Fü(h)r-mich“ gestalten auch Kindergeburtstage und Ferien-Events
Mechernich-Berg. – Was haben Klara, Franzi, Bob, Bella und Lucy gemeinsam? (Mal abgesehen vom gesegneten Appetit.) Die Antwort: Sie leben direkt neben dem Seniorenheim. Genauer gesagt, sie grasen dort. Auf einer saftigen Wiese hinter dem „Haus Agnes Bertram“ in Mechernich-Berg. Die niedlichen Esel und kurzbeinigen Mini-Schafe sind zwar nicht im Rentenalter, wie die 96 Bewohnerinnen und Bewohner der Einrichtung, beziehen kein Pflegegeld und zahlen auch keine Miete.

Perfekt integriert in den Heimalltag sind sie aber allemal: Bella, Lucy und ihre pelzigen Kumpel besuchen regelmäßig den Gemeinschaftsraum – mit Windel, versteht sich. Während Klara, Bob und Franzi es vorziehen, in Begleitung älterer Herrschaften über die Felder zu scharwenzeln. Oder den Nachmittag auf der Terrasse zu verbringen, mitten zwischen kaffeetrinkenden Seniorinnen und Senioren. Was die Geschäftsführung dazu sagt? – Nichts! Von ihr stammt schließlich die verrückte Idee.
„Leere Ställe – geht ja gar nicht!“
Tiere im Altenheim: Für Manuela Regh ist die Kombination kein bisschen verrückt. „Meine Eltern haben die Einrichtung hier zwar 1975 gegründet, kamen aber beide ursprünglich aus der Landwirtschaft.“, erklärt sie achselzuckend. „Mein Papa hat immer Schafe auf den Wiesen der Einrichtung gehalten, bis er es gesundheitlich nicht mehr konnte. Daher kam mir schnell der Gedanke, es ebenso zu machen.“ Nachdem Agnes und Arnold Bertram verstorben waren und die Heimleitung einige Jahre in Händen ihrer Schwester, Elfi Bertram, lag, übernahm Manuela Regh 2015 das Seniorenheim als Geschäftsführung, 2019 auch als Inhaberin. Inklusive ca. 120 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, einer penibel gepflegten Garten- und Parkanlage, etlichen wunderhübschen Streuobstwiesen und: zwei alten Ställen.

Die standen allerdings schon länger leer. Und, wie das nun mal so ist mit Dingen, die man täglich vor der Nase hat: Man registriert sie kaum noch. Erst nach Monaten fiel der 58-Jährigen auf, dass im Garten etwas fehlte. „Leere Ställe? Geht ja gar nicht!“, beschloss die Pferdebesitzerin, und teilte diesen Gedanken mit Claudia Schmühl, die zu der Zeit ausschließlich als Altenpflegerin bei ihr angestellt war aber auch im Ruf stand, privat eine regelrechte „Tierflüsterin“ zu sein. Ein Tier also nicht nur „lesen“, sondern auch wortlos mit ihm kommunizieren zu können. „Ja“, lächelt Manuela Regh. „Und so kam der Stein ins Rollen.“
Ausbildung zur Fachkraft für tiergestützte Intervention
Mit zwei Ponys und einem Pferd fing alles an. Vier Jahre ist es her, dass Pearl, Branus und XY samt Kutsche in die Stallungen über dem Bergbach einzogen. Seitdem hat sich eine Menge getan: Claudia Schmühl arbeitet zwar immer noch als Altenpflegerin in der Einrichtung, hat aber zudem noch einen Nebenjob als tiergestützte Therapeutin übernommen. Aus der fixen Idee ihrer Chefin ist für die 49-Jährige ein weiterer, hoch interessanter Job entstanden: Fachkraft für tiergestützte Interventionen! „Nachdem wir die Pferde übernommen hatten“, erinnert sich die zierliche Frau mit der sanften Stimme. „und die ersten Meerschweinchen im Garten eingezogen sind, waren wir so geflasht von dem positiven Effekt der Tiere auf die Bewohner – vor allem auf diejenigen mit psychischen Auffälligkeiten – dass wir unser Angebot unbedingt erweitern wollten.“ Als zudem immer mehr Schulklassen und Kindergartengruppen vorbeischauten, um den zutraulichen Vierbeinern im Schafgarten „Guten Tag“ zu sagen, war klar, dass das Konzept tierisch Potenzial hatte.
Perfekt für Menschen mit Handycaps
Schnell entstand die Idee, noch einen Schritt weiterzugehen und Bewohnern wie auswärtigen Gästen, egal welchen Alters, offiziell die sogenannte „Tiergestützte Intervention“ anzubieten. Damit alles seine Ordnung hat, wurde für das neue Betätigungsfeld extra eine eigene Gesellschaft gegründet: Die Tiergestützte Therapie „Führ-Mich“-GmbH, deren Geschicke ebenfalls von Manuela Regh geleitet werden.

„Wir, mit Tier, für Dich“, heißt es auf der Homepage. Der Firmenname ist bei „Führ-Mich“ Programm, denn die sogenannte tiergestützte Therapie sei besonders für Menschen mit psychischen oder körperlichen Handycaps geeignet, wie Manuela Regh erläutert. Jedoch nicht nur: „Auch in der Trauerphase kann eine professionell angeleitete Begegnung mit Tieren stark helfen.“ Für derlei Angebote bedarf es laut Veterinäramt des Kreises Euskirchen allerdings mindestens einer ausgebildeten Fachkraft für die Tierhaltung im Betrieb. Da ist Manuela Regh natürlich froh, dass ihre Nichte, Désirée Bertram, die dafür die entsprechende Ausbildung hat, diesen Posten übernehmen konnte. So kann sich Claudia Schmühl, die neben ihrer Beschäftigung als Altenpflegerin im Haus Agnes Bertram eine Zusatzausbildung zur „Fachkraft für tiergestützte Intervention“ absolviert hat, ganz auf ihre Patienten konzentrieren.
Tier-Ethik kommt an erster Stelle
Sieht man Claudia Schmühl unter den Obstbäumen mit Eseln und Schafen knuddeln, fällt auf, welch feines Gespür sie für ihre Schützlinge hat: Als Schafbock „Kleiner Lord“ seinem Namen Ehre machend bockt, zieht Claudia Schmühl sich umgehend zurück. „Bei uns muss kein Tier etwas tun, das es nicht möchte.“ Ein entscheidender Punkt, den auch Désirée Bertram, ausgebildete Tierarzthelferin, fett unterstrichen wissen möchte. Die Nichte von Manuela Regh hat eine 3-jährige Ausbildung zur Tierarzthelferin absolviert. Nach zwei Jahrzehnten Berufserfahrung in Veterinärpraxen, weiß die 40-Jährige genau, mit welchem – für Laien oft unverständlichen – Verhalten Tiere ihren Unwillen äußern. Dass Tier-Ethik allen Verantwortlichen des tiergestützten Therapiestalls „Fü(h)r mich“ am Herzen liegt, sieht man auch daran, dass die beiden sich nach einer Fortbildungsmaßnahme über die Haltung von Lamas und Alpakas gegen die Anschaffung dieser Tiere ausgesprochen haben. „Lamas und Alpakas sind lieber unter sich“, sagt Désirée Bertram, „außerdem ist die nächste Klinik, die sie im Krankheitsfall behandeln könnte, auch ziemlich weit weg von hier. Das ist uns allen zu heikel.“
Schaf- und Eselwanderungen am Bergbach
Stattdessen wurden zwei niedliche Esel angeschafft, wobei es nicht lange blieb. Der struppige Esel-Papa Bob und Gattin Franzi erwarteten Nachwuchs. „Klein-Klara war natürlich der Star bei den Besuchern“, schmunzelt Manuela Regh. „Vor allem bei den kleinen.“ Darum gibt es neben dem Eselstall jetzt auch einen gemütlichen Gruppenraum. Sascha Regh, der seiner Mutter bei der Geschäftsführung in diesem Teilbereich der Firmengruppen assistiert und als Teamchef alle Angelegenheiten rund um die Ställe, Interventionen und Angebote leitet, sowie für alle betriebswirtschaftlichen Dinge zuständig ist, deutet auf eine Sitzgruppe. „Hier werden zum Beispiel Hufeisen angemalt oder Kindergeburtstage gefeiert. Und die Gäste werden auf eine Esel- beziehungsweise Schafwanderung eingestimmt.“ Wandernde Schafe? – Oha, büchsen die nicht aus?!

„Nein“, lacht der 33-Jährige, der von seiner Partnerin, der Qualitätsbeauftragten für den Stall, Lisa Girkes (30) unterstützt wird, die überdies als Inklusions- und Datenschutzbeauftragte fungiert. (Und von „Stallhund“, Oskar streng beaufsichtigt wird.) „Es sind Quessant-Schafe und sie sind allesamt leinenführig.“ Ein Wort, das man eigentlich nur von Hunden kennt, und das Girkens zufolge bedeutet, dass die Tiere Erfahrung darin haben, angeleint zu sein und beim Spaziergang in jeder Situation ruhig bleiben. „Ob Sie´s glauben oder nicht“, lacht Lisa Girkens: „Wenn Kleiner Lord mich mit dem Halfter sieht, geht er schon in die Knie und schlüpft freiwillig rein.“
„Tiere begegnen uns unvoreingenommen.“
Gerade im Umgang mit psychisch Kranken seien Tiere eine Art Wundermedizin, wie Franz-Josef Regh berichtet. Denn sie begegneten Menschen stets unvoreingenommen. Als Oberstudienrat für Deutsch und Pädagogik hat der Ehemann von Manuela Regh Erfahrung mit Kindern und Jugendlichen. Auch er brennt – wie alle im Therapie-Team von „Fü(h)r mich“ – voll für die Sache. Dass die fachgerecht begleiteten Begegnungen mit den Eseln, Pferden, Meerschweinchen und Schafen mittlerweile so häufig von Einrichtungen für Psychische erkrankte Menschen gebucht wird, bestätige die Erfahrung nur.
Familie Regh erinnert sich an zahlreiche Begegnungen, die ihr und dem Team Tränen in die Augen gejagt hätten. „Wenn sich Personen entspannen, die eigentlich eine Spastik haben, also chronisch verkrampfte Glieder“, sagt Manuela Regh, „oder jemand mit einer schweren Depression plötzlich lauthals losprustet: Das geht einem schon unter die Haut.“ Nicht zuletzt darum tun die Geschäftsführerin und ihr Sohn samt Mitarbeitern alles, damit möglichst viele Menschen – große wie kleine, alte und junge – von diesem Effekt profitieren können. Selbst für die Bewohnerinnen und Bewohner des Senioren- und Pflegeheims, die nicht mehr mobil sind, hat man eine clevere Lösung gefunden: Das Tierische Wohnzimmer, bei dem Claudia Schmühl ein Meerschweinchen samt Wiesenblumen bis ans Bett bringt.
Ferienaktion: „Großer Tag für Kleine Entdecker“
Gerade stehen auch wieder zwei Angebote für kleine Gäste auf dem Programm: „Der große Tag für kleine Stallhelfer“ und „Der große Tag für tierische Entdecker“. Kinderlachen, spazierende Schafe, Meerschweinchen im fahrenden Mobil, wiehernde Pferde und friedlich grasende Esel … Die Bewohnerinnen und Bewohner der Senioreneinrichtung Haus Agnes Bertram können sich jetzt schon freuen, denn auch für sie gibt es tierisch interessante Angebote. Das wird auf jeden Fall kein langweiliger Sommer!
Internet: www.tier-fuer-dich.de
Instagram: @therapiestall_fuhr_mich
pp/Agentur ProfiPress