„Dass wir nie vergessen“
Im Beisein seines Sohnes Adrian Levano wurde in Kommern ein Stolperstein für Arthur Levano verlegt – Er konnte 1939 vor den Nazis nach England fliehen und starb 1960 – Gedenken an die Familie Levy und an das jüdische Leben im Ort
Kommern – Manchmal sind es kleine, alltägliche Dinge, die einem die Sprache verschlagen. Banale Dinge, die in einem bestimmten Kontext auf einmal eine ganz besondere Bedeutung und Symbolik erlangen. So war es bei Gisela Freier als sie im Jahr 2000 mit Gleichgesinnten Überlebende der jüdischen Familien Kommerns in London besuchte.
In der Küche von Adrian Levano und seiner Frau standen über 30 Glühweintassen vom Kölner Weihnachtsmarkt, die sie von ihren alljährlichen Reisen dorthin mitgebracht hatten, schön aufgereiht in einer Vitrine. „Zuerst konnte ich es gar nicht fassen, dass jemand, dem Nazideutschland fast die komplette Familie ermordet hat, Andenken aus Deutschland in Ehren hält“, sagte Gisela Freier: „Aber dann begriff ich, dass diese Sammlung ein Zeichen dafür ist, dass zwischen den so sehr traumatisierten Gruppen Normalität und Freundschaft wieder möglich sind.“
Inhaber eines Bekleidungshauses
So freute sie sich sehr, dass sie jetzt im Namen der Initiativ-Gruppe „Forschen – Gedenken – Handeln“ eben diesen Adrian Levano in Kommern begrüßen durfte, um gemeinsam mit ihm und rund 50 weiteren Teilnehmern einen Stolperstein für dessen Vater Arthur Levano zu verlegen.
Der hatte am 8. Juni 1890 in Kommern das Licht der Welt erblickt. Seit 1920 war Levano Inhaber des Bekleidungshauses J. Sponzel jr. in Hanau bei Frankfurt/Main, einem großen Textilkaufhaus mit sechs Abteilungen. „Die Belegschaft bestand aus 45 Angestellten, meist Frauen. Geschäftsführerin war eine Frau. 1937 wurde das Geschäft enteignet und am 26. August 1938 an neue Besitzer übertragen. Arthur Levano verlor sein Eigentum. Er zog Ende 1938 bis zu seiner Flucht wieder zu seinen Geschwistern nach Kommern“, berichtete Rainer Schulz von der Initiativ-Gruppe.
Keine leichte Reise
Noch am 10. Februar 1939 bescheinigt Markus Schmitz, der Kommerner Synagogenvorsteher, dass Arthur Levano Mitglied der Kommerner israelitischen Gemeinde ist. Wenige Wochen später, am 1. April 1939, floh Levano dann nach England. Nach seiner Heirat lebte er in Birmingham. 1957, drei Jahre vor seinem Tod, wurde sein Sohn Adrian geboren.
Für den war es keine leichte Reise. Obwohl er seinen Vater nicht wirklich hat kennenlernen dürfen, war Adrian Levano am Heimatort seiner Vorfahren sehr ergriffen. Auch während seiner in Deutsch gehaltenen Rede musste er immer mal wieder innehalten. Trotzdem war seine Botschaft klar und deutlich: „Wenn wir vergessen, kann etwas ähnliches wieder geschehen. Dieser Stein kann mithelfen, dass wir nie vergessen.“
Diesen Aspekt griff auch Landrat Markus Ramers auf, der den Initiatoren dieser Stolperstein-Verlegung ausdrücklich für ihr Engagement im Sinne des Erinnerns dankte. „Mit der Endlösung verfolgten die Nazis das Ziel, alles, was mit jüdischem Leben zu tun hatte, auszulöschen“, so Ramers: „Dass wir heute hier stehen und an unsere jüdischen Mitbürger erinnern, ist ein Erfolg gegen die Nationalsozialisten. Sie haben ihr Ziel nicht erreicht.“
Dennoch sind auf dem schrecklichen Weg, den die Nazis verfolgt haben, zahlreiche Menschen jüdischen Glaubens aus dem Leben gerissen worden. Insgesamt 33 Stolpersteine sind in Kommern inzwischen verlegt worden – teilweise dank der Mithilfe des städtischen Bauhofs. Darunter auch drei, die in der Straße „Im Wingert“ an die Eltern Julius und Margarethe sowie ihren neunjährigen Sohn Herbert erinnern. Deren Stolpersteine waren im vergangenen Jahr wegen Corona unter Ausschluss der Öffentlichkeit verlegt worden.
Gedenken an Familie Levy
Jetzt wurde auch ihrer gedacht. Dazu trugen Magali Borgmann, Laura Kips, Alexandra Schmitz und Julia Schultz bei. Die Schülerinnen der Klasse 8 der Euskirchener Marienschule berichteten über das Schicksal der Familie Levy. 1941 deportiert ins Ghetto Riga, wurden Mutter und Sohn vermutlich dort ermordet, während Vater Julius Levy 1945 im KZ Buchenwald starb. An einer weiteren Station in der Pützgasse erinnerten die Schülerinnen auch an die ehemalige Synagoge und an das jüdische Leben im Ort.
Ihre Lehrerin Elke Höver, ebenfalls Mitglied im Initiativkreis „Forschen-Gedenken-Handeln“, hatte während der Station zuvor die Geschichte über Adolf Hirsch vorgetragen, einem jüdischen Jungen, dem in seiner Klasse nach der Machtergreifung durch die Nazis übel mitgespielt wird. Von Lehrern und Schülern gedemütigt, schreibt er an die Tafel „Adolf Hirsch, Mensch“. Daraufhin wird er verprügelt, geht nach Hause und wird nie wieder gesehen. Es ist eine nachdenklich machende Geschichte darüber, was eine furchtbare Ideologie Schreckliches anzurichten vermag und dass es oft ganz viel Mut erfordert, Mensch zu sein.
pp/Agentur ProfiPress