„Rheinische Republik“ nicht von Dauer
Die Separatistenbewegung 1923/24: Vor 100 Jahren zogen auch bewaffnete Mechernicher Arbeiter und Bauern zur Abwehr der so genannten „Sonderbündler“ – Turbulente Jahre am Bleiberg und in den Kreisen Euskirchen und Schleiden -Ursprünglich pazifistische Idee verkam zur Farce
Mechernich/Heimbach/Euskirchen/Schleiden – Heute angesichts deutsch-französischer Freundschaft herrschte Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts „Erzfeindschaft“ zwischen beiden Nachbarländern, die einst beide aus Kaiser Karls Frankenreich hervorgegangen waren.
Nach dem grauenvollen Ersten Weltkrieg, der auf beiden Seiten Millionen Tote gefordert hatte und der Rheinlandbesetzung wegen ausgesetzter Reparationsleistungen, gründete sich vor 100 Jahren auch in Mechernich und den früheren Kreisen Euskirchen und Schleiden eine „Rheinische Republik“. Sie war von den Idealisten unter ihren Anhängern als neutraler Pufferstaat zwischen den ewig hadernden Kriegsparteien Deutschland und Frankreich gedacht.
Doch ihre Durchsetzung war mit Gewalt verbunden. Der Marsch der so genannten „Sonderbündler“, die die „Rheinische Republik mit Hauptstadt Koblenz mit Waffengewalt durchsetzen wollten, war von passivem Widerstand und manchmal ebenfalls bewaffneter Gegenwehr der Bevölkerung begleitet. Im Benachbarten Heimbach kam es zu einer regelrechten Abwehrschlacht, zu der auch Mechernicher Arbeiter und Bauern mit Knüppeln und Schrotflinten zu Felde zogen.
Der Mechernicher „Bürgerbrief“ erinnert mit diesem Bericht an die Ereignisse zwischen den Frühjahren 1923 und 1924 und bedient sich dazu eines Beitrags des Redakteurs Manfred Lang, der im Jahrbuch des Kreises Euskirchen 1984 erschienen ist. Er beginnt mit den Worten: „Es lebe die Republik!“
Dieser Ruf erscholl damals unter dem grün-weiß-roten Banner, den heutigen Landesfarben des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen, im Rheinland und mancherorts auch in den ehemaligen Kreisen Euskirchen und Schleiden. Gemeint war weder die Republik nach der Revolution von 1848, noch die Weimarer Republik. Man schrieb das Jahr 1923, als das „Rheinische Vaterland“ zu einem selbständigen Staat ausgerufen wurde.
Grün-weiß-rote Fahnen
Diese unabhängige Rheinrepublik war von ihren geistigen Urhebern als separater Puffer zwischen den Weltkriegsparteien Deutschland und Frankreich gedacht. Die „separate“ Staatsidee trug den Anhängern der Bewegung den Namen „Separatisten“ ein. Hierzulande nannte man die Männer, die mit grün-weiß-roten Armbinden gekennzeichnet waren und bis an die Zähne bewaffnet auszogen, um die Rheinische Republik zu proklamieren, „Sonderbündler“.
Besonders im Altkreis Schleiden verbanden 1984 zum Zeitpunkt des Erscheinens von Langs Bericht, der ursprünglich 1980/81 auch mit Hilfe des damals jungen Kreismuseumsleiters Klaus Ring recherchiert worden war, mit diesem Begriff sehr unangenehme Erinnerungen. Die wenigen Tage, in denen es zwischen dem Sommer 1923 und dem Frühjahr 1924 eine „ Rheinische Republik“ gab, genügten, um weite Teile des Landes in Angst und Schrecken zu versetzen.
In Heimbach, das heute zum Kreis Düren gehört, kam es am Freitag, 28. Oktober, und Samstag, 29. Oktober 1923 zu einer regelrechten Schlacht zwischen Separatisten und einem deutschtreuen Eifeler Selbstschutzverband, der sich auch aus Arbeitern und Bauern vom Bleiberg und seinen umliegenden Dörfern zusammensetzte, die notdürftig bewaffnet an die Rur zogen oder gefahren wurden.
Überall da, wo Separatisten in Erscheinung traten, gab es selbst für Anhänger der autonomen Rheinrepublik oft ein böses Erwachen: Die Einsetzung der Rheinischen Republik ging einher mit Raub, Mord und Plünderung. Dabei war die Idee einer selbständigen Rheinrepublik eher friedlicher Natur. Sie entstand gegen Ende des Ersten Weltkrieges.
Nicht nur Weltkriegssieger Frankreich strebte die Errichtung eines Pufferstaates zwischen sich und Deutschland an, sondern auch überzeugte deutsche Pazifisten. Sie glaubten, dass eine selbständige Rheinprovinz im Interesse eines dauerhaften Weltfriedens unbedingt erforderlich sei. Außerdem hatte das ungeschickte Verhalten des preußischen Kultusministers Adolph Hoffmann (USPD) in Religionsfragen die Abneigung der katholischen Volksteile gegen die preußische Regierung geweckt.
Der Historiker und Archivar Dr. Martin Schlemmer schreibt in seinem fast 900seitigen Standardwerk „Los von Berlin“: „In der ersten Phase der Rheinstaatbestrebungen stellten sich in erster Linie – aber nicht ausschließlich – Zentrumsangehörige aus dem zweiten Glied an die Spitze der Rheinstaatsbefürworter.“
Und weiter: „Die Rheinstaatbestrebungen waren zumindest Ende 1918 und Anfang 1919 in einigen katholischen Gebieten des Rheinlandes ein Kollektivphänomen und nicht etwa der Bevölkerung von der Zentrumsspitze oder einzelnen charismatischen Führungspersönlichkeiten des Zentrums künstlich auferlegt.“
Trotz aller Skepsis den Preußen gegenüber wurde zunächst nichts aus der Rheinrepublik. In Versailles war es den Franzosen nicht gelungen, ihre Forderungen nach der Rheingrenze durchzusetzen. Das scheiterte an der Ablehnung der beiden anderen Siegermächte USA und Großbritannien. Frankreich hatte dennoch erreicht, dass einer fünfzehnjährigen Besetzung der Rheinlande zugestimmt wurde.
Diesen Zeitraum wollten sie dafür nutzen, die rheinische Bevölkerung zum Austritt aus dem deutschen Reichsverband zu motivieren. Deshalb wurde eine äußerst aktive Kultur- und Wirtschaftspropaganda gestartet, die mit innerdeutschen Bestrebungen einher ging. Der Historiker Karl Erdmann ist der Überzeugung, dass Letztere im Wesentlichen von der katholischen Zentrumspartei getragen wurde.
Adenauer geht auf Distanz
Sogar Konrad Adenauer, damals Zentrumspolitiker und später erster Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, hat sich nach einigem Zögern in seiner ersten großen politischen Rede am 1. Februar .1919 für die Rheinrepublik eingesetzt. Dennoch war Adenauer kein Separatist. Er, wie die meisten anderen demokratischen Politiker, die den autonomen Rheinlanden nicht abgeneigt waren, hielten ihr Tun in streng legalen Bahnen und distanzierten sich schließlich von denen, die im Rheinland vollendete Tatsachen schaffen wollten – den Separatisten.
Bei ihnen handelte es sich ursprünglich um eine Gruppe von deutschen Intellektuellen unter dem früheren Staatsanwalt Addi Dorten, dem Chemiker Dr. Haas und dem Sozialisten Joseph Smeets, der auch in der Eifel agiert hat. Später kam als Dachorganisator noch der Journalist Matthes dazu. Trotz aller französischen und innerdeutschen Bemühungen wurde aber zum Ende des Ersten Weltkrieges nichts aus der Rheinischen Republik. Die große Chance ergab sich wenige Jahre später, als französische und belgische Truppen im Januar 1923 das Ruhrgebiet als „Produktives Pfand“ besetzten.
Das Deutsche Reich war wegen der katastrophalen wirtschaftlichen Verhältnisse mit seinen Warenlieferungen in Verzug geraten, die ihm im Friedensvertrag von Versailles als Reparationsleistungen (Wiedergutmachungszahlungen) auferlegt worden waren – neben Gebietsabtretungen – wie die der Nachbarkreise Eupen und Malmedy an Belgien.
Auf den Einmarsch der Truppen reagierte die empörte deutsche Reichsregierung mit einem Aufruf zum „passiven Widerstand“: Die Deutschen sollten weder für die Franzosen arbeiten, noch mit deren „Regie des Chemins de Fer“, den beschlagnahmten deutschen Eisenbahnen, fahren.
Der Hellenthaler Franz Freischmidt war seit 1916 bei der Bahn und fuhr mit der „Flitsch“ auf der Strecke Kall-Hellenthal. „Er erinnert sich noch heute an den Tag, als auch die Bahn durchs Schleidener Tal der französischen Regiebahn unterstellt wurde“, schreibt Lang 1980: „Kurz vor Kall, so Freischmidt, standen französische Soldaten auf den Schienen und hielten den Zug an. Kurzerhand beschlagnahmten die Besetzer Bahn mit Lok und allem.
Einer der fünf mitfahrenden Bahnbediensteten gab mit dem Ruf „Abhauen“ das Zeichen -die „lsebähner“ hielten sich an die Aufforderung zum passiven Widerstand und ließen die Franzosen mit der beschlagnahmten Eisenbahn alleine. Franz Freischmidt erinnerte sich, dass der Verkehr von den Franzosen zunächst nicht wiederaufgenommen wurde – offensichtlich fand sich kein einheimisches Fahrpersonal bereit, für die Besetzer zu arbeiten.
Eisenbahner des Landes verwiesen
Später sind dann Lokomotivführer und Zugleiter aus Frankreich eingesetzt worden. Deutsche Eisenbahner, die sich weigerten, Dienst zu tun, wurden ins rechtsrheinische Deutschland ausgewiesen – einige tauchten auch unter oder blieben unerkannt zu Hause.
Allein in Nettersheim mussten 62 Familienangehörige am 1. Juni 1923 ihre Heimat verlassen. Elf Eisenbahner, die sich geweigert hatten, für die „Regie des Chemins de Fer“ Dienst zu tun, wurden von der Besatzung ins rechtsrheinische Deutschland ausgewiesen. Erst nach sieben Monaten im Lager Lippe durften sie auf Fürsprache von Pfarrer Wirtz, der 1921 nach Nettersheim gekommen war, wieder in die Heimat zurück.
Überhaupt gingen die Besetzer mit Ausweisungen und anderen Strafen gegen diejenigen vor, die sich ihren Anordnungen widersetzten. Zu den Ausgewiesenen zählten auch der Kreistierarzt, der Staatsoberförster von Schleiden und der Bürgermeister von Gemünd. Der Bleibuirer Pfarrer Peter Oebbecke überlieferte handschriftlich aus jenen Tagen: „Am 11. Januar rückten die französischen und belgischen Truppen ins Ruhrgebiet ein, um, wie sie sagten, die Kohlenlieferungen, die Deutschland im Friedensvertrag von Versailles auferlegt worden waren, sicherzustellen.“
„Deutschland leistete passiven Widerstand. Nach und nach besetzten die Truppen die Bahnhöfe, die Bahnen. Es drängte sie, eine Rheinrepublik auszurufen. Die Stimmung für eine solche Republik ist im allgemeinen nicht sehr groß; doch soll es deutsche Bürger, auch in der Pfarre Bleibuir geben, die dafür schwärmen, oder wenigstens nichts dagegen hätten, wenn sie käme“, so Oebbeckes Aufzeichnungen.
„Es soll auch solche geben, die versteckte Anhänger einer derartigen Rheinrepublik genannt werden müssen. Jedenfalls ist es heutzutage ratsam, in politischen Fragen nicht jedem seine Gedanken mitzuteilen.“ Die Pfarrgemeinde Bleibuir war da sicherlich keine Ausnahme, denn es hat überall in der Eifel Anhänger der Rheinischen Republik gegeben.
Lang 1980/81: „Bekannte Zentren des Separatismus scheinen Dreiborn und Düttling gewesen zu sein. Noch heute nennen ältere Mitbürger das Dörfchen Düttling »Klein-Frankreich« und in Dreiborn sind nach der Vertreibung der Separatisten aus Heimbach 150 Mitgliedskarten der Smeet’chen Partei zurückgegeben worden.“
Schlägt man das Schleidener Kreisblatt aus jenen Tagen auf, so wird einem die Not der Zeit mit erschreckender Deutlichkeit vor Augen geführt. Es herrschte Hunger in der Eifel. Da werden im Annoncenteil des Blattes nicht nur Möbel, Fahrräder, Kleidung und Einrichtungsgegenstände im Tausch gegen Lebensmittel angeboten, sondern die gesamte Landwirtschaft wird zu Spendenaktionen für die hungerleidenden Arbeiter aufgerufen.
Milch zum halben Preis aus Eicks
Als vorbildlich bezeichnet die Zeitung eine Aktion der Eickser Bauern. Sie hatten Überschüsse aus der Kartoffelernte für die Mechernicher Arbeiter gespendet. Außerdem wurde die Milch zum halben Preis an den Bergwerksort geliefert.
Die Eifeler zeigten sich offensichtlich in ihrer Mehrheit bereit, den Leidenden zu helfen. So berichtet das Schleidener Kreisblatt Ende 1923: „In Mechernich, dem größten Industrieort unseres Kreises, herrscht-zur Zeit bittere Not. infolge der ungünstigen wirtschaftlichen Lage sind weit über tausend Industriearbeiter und ihre Familien zu den größten Entbehrungen verurteilt.“
„Besonders hart werden kinderreiche Familien betroffen, denen es nicht mehr möglich ist, die bescheidenen Ansprüche an Nahrung zu befriedigen“, schreibt das Blatt: „Die Invaliden, Alten, Kranken, Witwen und Waisen, es sind Hunderte, die dem sicheren Verderben entgegengehen, wenn ihnen nicht geholfen wird.“
Die Not, die durch den Aufruf zum passiven Widerstand hervorgerufen wurde und durch den viele ihre Arbeit verloren, war groß. „Hinzu kam noch der Verfall der Währung“, heißt es im Kreisjahrbuch 1984, „der den Arbeitern, so erinnert sich ein alter Bleibuirer, am Monatsende zwar oft einen ganzen Waschkorb voll Geld bescherte, für das man sich dann aber kaum noch ein paar Hosenträger kaufen konnte.“
Auf dem Nährboden dieser Not glaubten die Separatisten, große Bevölkerungsteile für ihre Idee begeistern zu können. Unter dem Schutz französischer und belgischer Truppen sammelten die Separatistenführer Dorten, Smeets und Matthes zahlreiche Anhänger um sich und stellten bewaffnete Verbände auf, die mit Hilfe der Regiebahn wichtige Punkte des Rheinlandes besetzen und Sonderregierungen einsetzen sollten.
Eine freiwillige Notgemeinschaft brachte bei einer ersten Spendenaktion so viel ein, dass der „groß Grevesche Saal Ecke Bahnstraße/ Turmhofstraße ganz mit Gaben der verschieden Art gefüllt war“. Da waren nicht nur Brot, Margarine, Fleisch und Mehl zusammengekommen, sondern auch Gebrauchsgegenstände in einem Gesamtwert von über 1000 Goldmark, die wiederum gegen Lebensmittel eingetauscht werden konnten.
Landrat Graf Spee entführt
Im Oktober 1923 spitzte sich die Lage zu: Separatistenverbände versuchten am 6. Oktober erstmals in Düsseldorf, Fuß zu fassen. Schon wenige Tage später kam die „Republik“ der Eifel näher: Seit dem 21. Oktober wehte in Aachen das grün-weiß-rote Banner auf den öffentlichen Gebäuden und seit dem 22. Oktober in Düren. Vier Tage später tauchten die „Sonderbündler“ in Heimbach auf und besetzten neben den öffentlichen Gebäuden die Klostermühle mit ihren umfangreichen Mehlvorräten.
Einen Tag vorher, am 25. Oktober, waren die Separatisten in der Kreisstadt Schleiden erschienen und hatten Landrat Josef Graf Spee in ein Auto gezerrt und entführt. Das Schleidener Kreisblatt zeichnete ein eindrucksvolles Stimmungsbild der späten Oktobertage: „Das Barometer steht auf Sturm! Auch in den stillen Tälern unserer Eifel. Über den Bergen wetterleuchtet es, grell zuckt bisweilen der Blitz aus dem schwarzen Gewölk, das sich dräuend über uns zusammenbraut und reißt Bauer und Bürgersmann aus dem Gedankenkreis des Alltäglichen. Nur wenige Tage dauert die Herrschaft der Separatisten in Schleiden, seit kurzer Zeit wehte das grün-weiß-rote Banner über unserer Stadt. „
Schon in Düsseldorf hatten die separatistischen Verbände erfahren müssen, dass sie trotz der Not der Zeit auf wenig Zustimmung aus den Bevölkerungskreisen hoffen durften. Obwohl rund 10 000 „Sonderbündler“ in der jetzigen NRW-Landeshauptstadt aufmarschiert waren, warf sich die Bevölkerung den Republikanern so massiv entgegen, dass am Abend ·des 6. Oktober 180 Tote und Verletzte zu beklagen waren.
In den Eifeler Orten war die Bevölkerung nicht so spontan, aber erfolgreich und konnte die bewaffneten und marodierenden „Sonderbündler“ überall vertreiben. Am schnellsten verfuhr man in Heimbach mit diesen Männern: An zwei Tagen hintereinander tauchten separatistische Verbände an der Rur auf und wurden zweimal vertrieben.
„Ein heute 83jähriger Heimbacher erinnert sich“ in Langs Ursprungsbericht für die „Kölnische Rundschau“: „Es war an einem Freitag, als uns der Kommerzienrat aus Eupen, für den wir in Aachen auf der Salierstraße eine Villa bauten, auf bezahlten Urlaub nach Hause schickte, unter der Bedingung, dass wir beim Zerschlagen der Separatisten in Aachen oder anderswo kräftig mittun sollten. In Aachen war schon damals allerhand los und ich dachte, wenn die Kerle hier drin sitzen, dann müsste in Heimbach auch etwas sein. Ich auf mein Rad – mit der französischen Regiebahn durften wir bei Entlassung nicht reisen – und ab nach Hause, nach Heimbach.“
Der Schuss aus der Dachluke
Der Augenzeuge weiter: „Gegen fünf Uhr abends kam ich zu Hause an und erfuhr gleich, dass man vermutet, auf den Abend separatistischen Besuch zu bekommen. Einige Landwirte sägten von geschältem Eichenholz Knüppel zum Dreinschlagen zurecht, andere Waffen hatte man ja nicht. So bewaffnet, erwarteten wir mit rund 20 Mann den Abend. So gegen sieben Uhr kamen die Kerle. Sie besetzten das Bürgermeisteramt und die Klostermühle, in welcher damals noch mit vollem Betrieb Mehl produziert wurde.“
„In dieser Mühle beluden sie einen Lkw mit Mehl. Wir hockten in einigen Winkeln und warteten auf einen günstigen Augenblick zum Eingreifen. Auf welches Zeichen hin, weiß ich nicht mehr, aber auf einmal war die Prügelei in vollem Gang. Es wurde unbarmherzig draufgeschlagen – das muss ich schon sagen. Die Kerle stoben auseinander und flohen in alle erdenklichen Schlupfwinkel. Einige blieben verletzt liegen. Unter ihnen der Anführer, dessen Namen ich nicht nennen will.“
„Nun wurden alle Schlupfwinkel durchsucht und wir fanden einige Versteckte, die dann durch die Polizei abgeführt wurden. Diejenigen der »Sonderbündler«, die heil davongekommen waren, flohen und nahmen ihre Verletzten mit. Das aufgeladene Mehl wurde zur Klostermühle zurückgebracht. Wo der Lastwagen geblieben ist, weiß der liebe Gott. Der Freitag war jedenfalls um, und die Separatisten hatten ihren Senf weg.“
Ein zeitgenössischer Zeitungsbericht notiert unter dem Titel „Der Kampf um Heimbach“: „Im Laufe des letzten Freitags kam eine etwa 70 Mann starke „Sonderbündler“-Truppe von Düren nach Heimbach und beschlagnahmte dort eine Mühle mit großen Mehlvorräten. Der Müller und seine Familie wurden in rohester Weise misshandelt, sein ganzes Hab und Gut zertrümmert.“
„Ein »Sonderbündler« stieg auf den Speicher und schoss aus einer der Dachluken seine Flinte ab“, heißt es weiter: „Darauf behaupteten die Republikaner, aus dem Hause sei geschossen worden. Die Mehlvorräte wurden auf Autos verladen und teilweise schon wegtransportiert. Inzwischen wandten sich die Horden gegen Heimbach selbst. Das Bürgermeisteramt wurde vollständig verwüstet, die Wohnung des Bürgermeisters demoliert….“
Eine Heimbacherin erinnerte sich 1980, wie die Separatisten an jenem Freitag zur Essenszeit im elterlichen Wohnhaus erschienen waren, sich an den Tisch setzten, die Schusswaffen danebenlegten und sich mit Essen und Trinken aufwarten ließen. Einem alten Mann, der die Straße unvorsichtig betreten hatte, wurde angeblich die Pfeife aus dem Mund geschossen. Das Kreisblatt weiß von einem Mädchen zu berichten, dem die Kleider vom Leib gerissen wurden.
Ein anderes soll gezwungen worden sein, sein eigenes Klavier mit dem Beil zu zertrümmern. Auch der Bürgermeister und sein Sekretär wurden verprügelt. Als es den Heimbachern und einem von Gemünd her eindringenden „Selbstschutzverband aus gestandenen Eifeler Männern“, so das Kreisblatt, gelang, die Separatisten gegen Abend aus dem Ort zu vertreiben, „führten diese rund 15 Geiseln, darunter die Frau des Bürgermeisters, mit sich.“
Die Schlacht war vorbei, aber man befürchtete die Rückkehr der „Sonderbündler“. Noch in der Nacht wurden im ganzen Kreis Schleiden, vor allem im Raum Mechernich, größere „Selbstschutzverbände“ zusammengestellt und nach Heimbach geschickt. Bei den bewaffneten Auseinandersetzungen am Samstag gab es Tote und Verletzte.
Maschinengewehre im Einsatz
In allen Zeitungsartikeln der damaligen Zeit wird betont, dass die Bauern und Bürger wie Landsknechte mit Knüppeln und Mistgabel ausgezogen seien. Tatsache scheint aber zu sein, dass auch Jagdgewehre und Pistolen mitgeführt wurden, zumal jeder Selbstschutz-verband von einem Polizei-Wachtmeister befehligt wurde.
„Obwohl damals streng verschwiegen“, schreibt Manfred Lang, „gaben einige Selbstschutz-Mitglieder jetzt, also 60 Jahre nach den Ereignissen, zu, dass von Vlattener und Schmidter Seite auch Maschinengewehre gegen die Samstag zurückkehrenden „Sonderbündler“ eingesetzt wurden. Vermutet wurde, dass die Briten bei der Beschaffung behilflich waren…
In den Erinnerungen eines seinerzeit 83jährigen Heimbachers spiegelten sich die Ereignisse des 28. Oktober 1923 so wider: „Samstagmorgen hieß es, die Separatisten kämen heute unter dem Schutz der Franzosen wieder. Sie kamen wieder, aber ohne Franzosen. Der Anführer hatte sich scheinbar wieder erholt und war am Kopf verbunden. Sie schossen sich mit Karabinern und Revolvern den Weg durch die Dorfstraße frei.“
Der kleine Heimbacher Selbstschutz stand den feuernden Separatisten wehrlos gegenüber und verzog sich in die umliegenden Wälder, wo sie auf Teile des Kreis-Schleidener Selbstschutzes trafen. Erst am Abend griff die versammelte Streitmacht die Besetzer an. Letztere hausten laut Zeugen in Heimbach noch schlimmer als am Vortag. Es wurde geraubt, geplündert und geprügelt. Bürgermeister und Gemeindesekretär, offensichtlich nicht gewillt, nochmals misshandelt zu werden, flohen in Mönchskutten ins Kloster Mariawald.
Während die „Sonderbündler“ im Ort marodierten und sich wohl auch mit gestohlenem Schnaps und Wein betranken, riegelten die „Selbstschutzverbände“ alle Straßen nach Schmidt, Heimbach, Mariawald und Vlatten ab. Der Angriff stand bevor. Es war Samstagabend, 28. Oktober 1923. „Die jungen Burschen aus der Eifel standen auf ihrem Posten, fest entschlossen, die »Sonderbündler« aus Heimbach zu vertreiben“, heißt es in einem Bericht. Über ihre Zahl ist nichts überliefert. Möglicherweise kamen sie zu Hunderten.
Als die Dunkelheit anbrach, schlich sich ein Wachtmeister zur alten Mühle an der Teichstraße und gab mit einem Pistolenschuss das verabredete Zeichen, von allen Seiten gleichzeitig Heimbach anzugreifen. In der damaligen Presse las sich das so: „Mit Todesverachtung drangen die wutentbrannten Eifeler Bauernsöhne und Arbeiter in Heimbach ein.“
„Die »Sonderbündler« zogen sich in den Bahnhof zurück, wo sie (wegen der französischen Regiebahn, Anm. d. Red.) Asylrecht haben, gaben aber unter dem Druck der Verhältnisse die Geiseln heraus“, heißt es weiter: „Die Heimbacher Bevölkerung, die von einem Tyrannenjoch befreit war, jubelte den Befreiern zu.“
Der 83jährige Augenzeuge, den Lang interviewte, sah es so: „Der Schuss des Wachtmeisters krachte – der Angriff ging los. Es gab Gefangene, Verletzte und was nun noch weg konnte von den besoffenen Brüdern, floh bei hellem Mondschein in die Berge, beschossen von einigen auf der Burgruine anwesenden Wachtmeistern. Die Kerle, die mit ihrem Lastwagen entkommen wollten, wurden auf der Straße nach Vlatten vom Selbstschutz beschossen und zur Umkehr gezwungen. Dann versuchten sie es nach Schmidt, wurden wiederum beschossen und sind dann wahrscheinlich in Richtung Hausen entkommen.“
„Wenn es Tote gegeben hat, dann haben die »Sonderbündler« sie mitgenommen“, berichtet der Mann: „Fest steht, dass eine stattliche Anzahl Separatisten verhaftet und abgeführt wurden, auch die Verletzten – einer wurde unter einem Holzstapel mit der Mistgabel hervorgeholt…“ Anna Thäns aus Hasenfeld erinnert sich, dass, so heißt es wörtlich in ihrem Augenzeugenbericht, „auf manchem Misthaufen unbewegliche Körper lagen.“ Es sei von gefallenen Separatisten die rede gewesen, „eigene“ Leute seien nicht ernsthaft zu Schaden gekommen.
Ein englischer Offizier, der das Heimbacher „Schlachtfeld“ eine Woche später besichtigte, habe gesagt: „So was habe ich noch nicht gesehen!“ Anna Thäns arbeitete damals bei Klostermüller Kaspereit und war mit dessen Töchtern befreundet. Sie erlebte das Eindringen der Separatisten: „Sie schossen mit ihren Gewehren in die Möbel und verwüsteten alles beim Klostermüller.“
Heimbach war zwar die schwerste, aber beileibe nicht die einzige Auseinandersetzung der Eifeler mit den „Sonderbündlern“. Zu Zusammenstößen kam es auch in Olef, Gemünd, Schleiden und Kall. In der Kreisstadt Schleiden tauchten die Separatisten am 22. Oktober auf. Am darauffolgenden Tag war im Kreisblatt zu lesen: „Hier wurde gestern nachmittag von »Sonderbündlern«, welche mit Lastautos von Gemünd kamen, das hiesige Kreisgebäude besetzt und die grün-weiß-rote Fahne geheißt.“
Zur Unterschrift nach Koblenz
Während die Separatisten sich an diesem Tag in Schleiden ruhig verhielten, kam es drei Tage später zu einem ernsten Übergriff: Der damalige Landrat des Kreises Schleiden, Josef Graf von Spee, wurde in ein Auto gezerrt und entführt. Er wurde von den Republikanern zunächst nach Daun gebracht, in einem Hotel interniert und verhört. Er werde wieder freigelassen, sagten die Separatisten, wenn sich die Gründe seiner Verhaftung als „nicht stichhaltig“ herausstellen würden.
Stattdessen wurde Graf Spee am Freitag, 27. Oktober, aus dem Hotel ins Dauner Amtsgerichtsgefängnis umquartiert. Weitere drei Tage später wurde er nach Koblenz zur Regierung der Rheinischen Republik geschafft. Graf Spee sollte per Unterschrift die Regierungsgewalt des republikanischen Kabinetts anerkennen, was er verweigerte.
Das begründete der Landrat mit der „persönlichen Unkenntnis“, was denn die preußische Regierung zu einer solchen Anerkennung sagen würde. So kam es, dass die Separatisten dem Landrat erlaubten, nach Berlin zu reisen, um mit der Reichsregierung zu sprechen. Binnen neun Tagen musste Graf Spee sich wieder in Koblenz stellen, ohne vorher nach Schleiden zurückzukehren.
Der Schleidener hielt Wort und kehrte nach Ablauf der Frist nach Koblenz zurück: allerdings, um sich nun endgültig zu weigern, die Regierung der Rheinischen Republik durch Unterschrift anzuerkennen. Die „Sonderbündler“ reagierten mit „Amtsentsetzung“ Graf Spees und stellten statt seiner einen anderen Landrat aus Kall an die Spitze des Kreises Schleiden.
Die Amtsentsetzung war nur von kurzer Dauer. Josef Maria Augustin Hubertus Apollinaris Rudolf Paschalis Graf von Spee (* 18. April 1876 in Düsseldorf; † 10. November 1941 in Bonn), so sein vollständiger Name, war von 1916 bis 1933 Landrat des Kreises Schleiden. Der Zentrumspolitiker wurde 1933 von den Nazis vorläufig und 1934 endgültig abgesetzt.
Nach dem durchschlagenden Erfolg des Eifeler Selbstschutzes bei der Vertreibung der Separatisten in Heimbach, das damals und bis zur kommunalen Neugliederung 1972 ebenfalls zum Kreis Schleiden gehörte, formierten sich die Verbände, um das Schleidener Tal zu „befreien“.
„Während die »Sonderbündler« beim Herannahen der Arbeiterkolonnen“ das Weite suchten, kam es in Olef, Gemünd und Kall zu schweren Zusammenstößen“, so das Kreisblatt: „In Olef, Gemünd und Call fiel die erregte Bevölkerung über die Republikaner her und richtete sie übel zu. In manchen Geschäften gab’s Scherben.“
Anführer angeschossen
In Keldenich, wo auch Einheimische zu den Separatisten gehörten, die sich nach der „Befreiung“ Kallos in einer Gaststätte verschanzt hatten, kam es zu einem Schusswechsel, an den sich der zur Zeit des Interviews 86jährige Kaller Franz Sistig erinnert. Demnach führte Obermeister Birkenfeld der Kaller Hüttenwerke „Schliesemaar“ eine starke Gruppe seiner Arbeiter nach Keldenich. Erst nachdem Birkenfeld den Anführer der Separatisten mit einem Pistolenschuss schwer verletzt hatte, flohen die übrigen.
Aus Angst vor einem Wiederauftauchen von bewaffneten Separatistenverbänden blieb der Eifeler Selbstschutz zunächst zusammen, so der frühere Oberkreisdirektor Dr. Felix Gerhardus 1961 im Schleidener „Heimatkalender“, dem Vorgänger des Kreisjahrbuchs: „Das Kreishaus glich einem Heerlager. Von allen Seiten waren die Bauernburschen und jungen Arbeiter herbeigeströmt, mit Knitteln bewaffnet. Sie hielten Tag und Nacht Wache, um einen nochmaligen Versuch der Separatisten, sich in den Besitz der Gewalt zu versetzen, zu vereiteln. Die Abwehr der Separatisten im Kreis Schleiden war das Signal für eine große Säuberungsaktion im ganzen Rheinland.“
Während die Selbstschutzmänner in Schleiden die Rückkehr der Separatisten vereiteln wollten, marschierten die Heimbacher schon zwei Tage nach dem „Kampf um Heimbach“ ihrerseits nach Juntersdorf und halfen dort bei der Vertreibung der Republikaner, die sich in einem Brikettwerk verbarrikadiert hatten.
In den Eifelorten Daun, Trier und Wittlich sowie an der Mosel ist es in den folgenden Tagen zu schweren Auseinandersetzungen gekommen. Da dort auch Handgranaten geworfen und viel Pulver und Blei verschossen wurden, gab es auf beiden Seiten Tote und Verletzte.
Nazis glorifizierten Abwehr
Als die wilden Gefechte in der Hocheifel verebbten, erhielt die Tondorfer Poststation einen Anruf, ein Pkw mit vier Separatistenführern sei auf der B 51 aus Richtung Daun kommend unterwegs und werde auch durch Tondorf kommen. Paul Schröder, der zur Zeit von Manfred Langs Recherchen in Gemünd wohnte, war Sohn des Postmeisters und erinnert sich an die Geschehnisse:
„Gemeindepolizist Matthes, Förster Warner und einige beherzte Burschen, darunter auch ich, errichteten an der Kreuzung eine Straßensperre aus Bauernwagen und legten uns, illegal mit Pistolen bewaffnet, in den umliegenden Gebäuden auf die Lauer. Weil es so lange dauerte, radelte Polizist Matthes mit zwei Burschen den Separatisten entgegen. Da kam der Wagen tatsächlich angebraust, rauschte aber an Matthes und seinen Gehilfen vorbei und steuerte Tondorf an.
Dort müssen die Republikverfechter „Lunte gerochen“ haben, denn plötzlich wendeten sie und bogen mit Vollgas in einen Feldweg Richtung Rohr ab. Die Tondorfer konnten nur noch beobachten, wie die „Sonderbündler“ auf Schusters Rappen im Wald, Richtung Hümmel, verschwanden. Das war vor allem für einen Bauern aus Hümmel oder Wershofen verhängnisvoll, der am nächsten Tag den vier Flüchtlingen begegnete und rief: „Da kommen die Separatisten!“
Die vielen Widerstandsgefechte hatten den vier flüchtigen Republikanern die Folgen eines solchen Warnrufs klargemacht. Sie schossen den Bauern nieder. Paul Schröder vermutete, dass es sich bei den vier Flüchtenden um „Köpfe“ der Rheinischen Republik gehandelt haben muss.
Sie waren möglicherweise auf dem Weg ins Rechtsrheinische, wo am 16. November 1923 bei Aegidienberg im Siebengebirge eine vernichtende Schlacht stattfand, die bis auf einige Nachgeplänkel ins Jahr 1924 hinein das Ende der rheinischen Separationsbestrebungen bedeutete.
Einer örtlichen Bürgerwehr gelang es im Siebengebirge, bewaffnete Milizen der „Rheinischen Republik” zu vertreiben und Versuche der Wiedereroberung zurückzuschlagen. Schließlich griffen Verbände der französischen Besatzungsarmee ein, um die öffentliche Ordnung wiederherzustellen. Die Anführer gingen zum Teil ins französische Exil.
Die letztlich frankophile Haltung der Bewegung, viel mehr aber noch die Abwehrhaltung des Großteils der Bevölkerung sorgten nach 1933 für eine Glorifizierung. Am 24. September 1935 wurde an der Gabelung Aegidienberger Straße/Höveler Straße das „Separatisten-Abwehr“-Denkmal in Bad Honnef-Aegidienberg zur Erinnerung an das Schicksal der Getöteten und Geiseln eingeweiht. Es wurde 2019 in die Denkmalliste der Stadt Bad Honnef aufgenommen…
pp/Agentur ProfiPress