Ausgelöscht, nur weil sie Juden waren
Drei neue Stolpersteine in Kommern erinnern an Vater Julius Levy, Mutter Margarethe und den neunjährigen Sohn Herbert, die alle drei deportiert und dann getötet wurden
Mechernich-Kommern – Rainer Schulz misst gerade sorgsam mit dem Zollstock aus, wo die drei Stolpersteine zur Erinnerung an die jüdische Familie Levy im Boden ihren Platz finden sollen. 76 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Befreiung aus der menschenverachtenden Nazidiktatur sollen zum 8. Mai die Gedenksteine am ehemaligen Wohnhaus der Kommerner „Auf dem Wingert 17“, damals noch Weingartenerstraße 305, eingesetzt werden.
Die Familie wurde ausgelöscht, nur weil sie Juden waren. Der Vater Julius Levy, geboren 1897, wurde 1941 ins Ghetto Riga deportiert, von da verlegt ins KZ Stutthoff, um 1944 nach Buchenwald gebracht zu werden, wo er am 26. März 1945 ermordet wurde. Seine Frau Margarethe wurde 1941 im Alter von 48 Jahren ebenfalls ins Ghetto nach Riga deportiert und vermutlich dort ermordet – mit der Mutter ihr damals neunjähriger Sohn Herbert.
In der Kommerner Schulchronik hatte der damalige Schulleiter in einem Eintrag vom Tag des 11. November 1938, einen Tag nach der Pogromnacht, in der auch die Synagoge in Kommern brannte, Erschreckendes notiert: „Heute wies ich den letzten Judenbengel, Herbert Levy, der noch hier den Unterricht besuchte, aus der Schule. Keinem deutschen Kind kann zugemutet werden, sich neben einen Juden zu setzen. Die Mutter hat sogar die Frechheit, während des Unterrichts zu mir zu kommen, erst zu winseln und zu bitten, dann dagegen zu protestieren.“ Nahezu zeitgleich wurde dem Vater Julius Levy der LKW-Führerschein durch die Nazi-Verwaltung abgenommen.
Leidenswege festgehalten
Die Erinnerungskultur hochzuhalten, das liegt dem engagierten Quartett Gisela Freier, ihrem Mann Wolfgang, Elke Höver und Rainer Schulz am Herzen. Nicht zuletzt Gisela Freier folgt den Spuren jüdischer Mitbürger in Kommern bereits seit Jahrzehnten und zeichnet ihre Leidenswege auf. Sie spürte schon immens viele Details auf, reiste sogar zweimal schon persönlich für die Recherche vor Ort nach Jerusalem, pflegte über Jahre Kontakte zu Kommerner Juden in Großbritannien, Australien, Israel, USA und Brasilien. „So hat sich das Netz immer breiter gespannt und man hat immer mehr erfahren“, sagt sie rückblickend und bedauert: „Leider sind unsere jüdischen Zeitzeugen inzwischen verstorben.“ Zuletzt Emmy Kaufmann (verh.: Golding) im Jahr 2010 und Lilly Kaufmann (verh.: Clyne) 2015 mit 105 Jahren.
Es sei unendlich mühsam gerade über Familien, wo keine Hinterbliebenen mehr vorhanden sind, Details zu erfahren. „Das geht dann nur noch über Archive, Chroniken, Dokumentationszentren, Gedenkbücher, KZ-Listen oder ähnlichem“, berichtet Freier von ihrer Erfahrung: „Beispielsweise kann man die ehemaligen KZs bzw. heutigen Gedenkstätten anschreiben. Jedoch nur mit Glück landet man dann einen Zufallstreffer.“ Eher gleich einem Sensationsfund, seltener als die Nadel im Heuhaufen. Dennoch gibt und gab sie nie auf.
„Ich habe seit 2003 bestimmt zusammengenommen fünf Jahre meines Lebens gesessen, dabei recherchiert und gesucht. Manchmal ganz verzweifelt, weil man nichts mehr findet.“ Die Schicksale bewegen sie – und das gewaltig: „An manchen Tagen kann man das nur wenige Stunden machen und aushalten, weil einem dann die Tränen laufen.“ Auch helfende Hände sind wichtig. So hatten Beate Meier und Stefan Meyer, beide vom Mechernicher Stadtarchiv, den gefundenen Schuleintrag „übersetzt“, da er in Sütterlin-Schrift niedergeschrieben wurde.
37 Stolpersteine im Stadtgebiet
In Kommern gibt es bisher 23 Stolpersteine – plus bald auch die drei für die Familie Levy. In Mechernich zählt Freier neun, zwei weitere in Strempt. Eigentlich war geplant, dass der Berliner Künstler Gunter Demnig, der Vater der Stolperstein-Aktion, die er 1996 für die Opfer des Nationalsozialismus ins Leben rief, die Levy-Erinnerungsstücke selbst in die Erde für alle sichtbar und feierlich im großen Rahmen einsetzt. „Das ist leider Corona-bedingt unmöglich“, bedauert Schulz, der den Kontakt unermüdlich weiter pflegt. Diesmal erhielt er die Steine ausnahmsweise auf dem Postweg vom Künstler.
„Mit der Verlegung der Stolpersteine wollen wir auch einen Beitrag zum Festjahr 1700 jüdisches Leben in Deutschland leisten“, sagt Elke Höver, die sonst mit ihren Schülern der Euskirchener Marienschule, den alljährlichen Kommerner Rundgang zur Pogromnacht gestaltet und sich für eine Kultur des Erinnerns ihrer jungen Schülerschaft einsetzt.
Freier ergänzt: „Ganz wichtig finde ich allerdings, dass wir über das Gedenken an die Toten und an die Opfer, nicht vergessen, dass es auch aktuell wieder jüdisches Leben in Deutschland gibt. Es gibt lebende Juden, mit denen wir versuchen sollten ins Gespräch zu kommen.“
Die Stolpersteine sollen die Erinnerung wach halten. Und Schulz verrät: „Das sind auch ganz gewiss nicht die letzten. Wir haben noch Pläne…“
pp/Agentur ProfiPress