Premiere bei der Lit.Eifel
Der Schauspieler Christian Berkel las in Nettersheim nicht nur aus seinem Roman „Der Apfelbaum“, sondern erstmals auch aus seinem neuen Roman „Ada“
Nettersheim – Wie sollte es anders sein bei einer solch dramatischen Lebens- und Liebesgeschichte wie der von Otto und Sala? Natürlich muss auch die Lesung, in der über dieses besondere Paar, das sich zwischen den beiden Weltkriegen kennengelernt, im Zweiten Weltkrieg verloren und Jahre später wiedergefunden hat, einige Hindernisse überwinden.
Zum einen wäre da eine globale Pandemie, wegen der die Veranstaltung mit dem aus Fernsehen und sogar internationalen Kino-Produktionen bekannten Schauspieler Christian Berkel in der Pfarrkirche St. Martin in Nettersheim nur vor 100 Zuschauern stattfinden konnte. Zum anderen war da aber auch ein brennendes Auto kurz vor der Autobahnabfahrt Mechernich, das zu einer Vollsperrung führte. In diesem Stau zwischen Wißkirchen und Mechernich stand auch das Fahrzeug von Christian Berkel – weshalb die Lesung mit 20-minütiger Verspätung begann. Überbrückt wurde die Wartezeit von Moderatorin Katia Franke sowie Nettersheims Bürgermeister Wilfried Pracht, gleichzeitig Geschäftsführer der veranstaltenden Lit.Eifel.
Aber ganz ehrlich: Alles andere wäre bei einem solchen Stoff, den Berkel präsentierte, enttäuschend gewesen. Otto und Sala, die Protagonisten in „Der Apfelbaum“, sind Berkels Eltern. Und unterschiedlichere Voraussetzungen können Menschen eigentlich nicht haben. Sala ist in einer intellektuellen, großbürgerlichen Familie aufgewachsen. Der Vater, der Schriftsteller Johannes Nohl, war ein bisexueller Bohemien und Anarchist, die Mutter, Lola Prusac, eine jüdische Medizinstudentin, die später die berühmten Hèrmes-Seidenschals erfinden sollte. Ganz anders Otto: Er entstammt einem Proletarierhaushalt, seinen Vater hat er nie kennengelernt, der Stiefvater ist ein Säufer, der auch schon mal die Kinder verprügelt. Schon mit acht Jahren musste Otto Geld verdienen – was dazu führte, dass der Junge früh auf die schiefe Bahn geriet.
Berkel berichtete in Nettersheim vom besonderen Kennenlernen der beiden (sie versteckte ihn, der Schmiere stand, vor der Polizei), vom ersten Besuch der beiden bei den jeweiligen Familien, davon, dass Otto von Salas Familie wie ein eigener Sohn aufgenommen und ihm plötzlich eine ganz neue Welt inklusive Medizinstudium offenstand.
Doch dann kam der Zweite Weltkrieg – und Otto und Sala wurden zwangsweise getrennt. Er musste als Arzt in den Krieg und geriet in russische Gefangenschaft, aus der er erst 1950 entlassen wurde. Das Schicksal von ihr und ihrer Familie war noch dramatischer. Wie Berkel bei Recherchen in Lodz herausfand, befanden sich seine Großeltern und seine Mutter zur gleichen Zeit in drei verschiedenen Lagern in Polen. Alle drei überlebten. 1943 wurde Sala in einen Zug nach Leipzig gesetzt, zerriss ihre Papiere. Als Wehrmachtssoldaten den Zug durchsuchen, kann sich die Mutter nicht ausweisen.
Ende mit Cliffhanger
Gebannt lauschen die 100 Zuschauer in Nettersheim den Ausführungen Berkels, der dann das macht, was man eigentlich aus Serien kennt: Er endet mit einem gemeinen Cliffhanger. Gerade, als die Wehrmachtssoldaten Sala kontrollieren, die Spannung am höchsten ist, bricht der Schauspieler ab mit den Worten (und dem Blick auf den Büchertisch): „Wenn Sie wissen wollen, wie es weitergeht: Da gibt es ein paar Möglichkeiten. Wie die Geschichte ausgeht, können Sie sich denken, sonst wäre ich nicht hier.“
Zur Besänftigung kamen die 100 Besucher der Lit.Eifel-Veranstaltung dann aber in den Genuss einer Weltpremiere. Berkel trug zum ersten Mal Passagen aus seinem zweiten Roman „Ada“ vor. Außerdem konnte er schon zwei Tage vor offiziellem Verkaufsstart in Nettersheim erworben werden. Ada ist die Tochter von Otto und Sala – aber eine rein fiktionale Figur. Eine 68er, die später mit der Familie bricht und ihr Leben wieder in den Griff bekommen muss.
Berkel erklärt im Gespräch mit Katia Franke auch die Unterschiede zwischen den beiden Büchern. „Der Apfelbaum“ erzähle diese irrsinnige Liebesgeschichte, in der die Protagonisten wie in „Romeo und Julia“ kaum Zeit miteinander verbringen. Während Otto und Sala aber die Historie dazwischenkommt, sind es in Ada die Probleme des Alltags.
Im Interview kommt er auch auf Politik zu sprechen. Er spricht über den Rechtsruck in der westlichen Welt und verurteilt die Bagatellisierung des Holocausts und des Dritten Reichs auf Schärfste. Er erzählt, dass er sich als Jugendlicher nicht mit Deutschland identifizieren konnte wegen dem, was seiner Mutter widerfahren ist, dass er zeitweise in Frankreich aufgewachsen ist und dachte, dass dann alles besser werde. „Aber man kann sich auch nicht dauerhaft eine andere Identität überstülpen, selbst Schauspieler können das nur zeitweise“, sagt er.
Außerdem verriet er, dass „Der Apfelbaum“ demnächst als sechsteilige Mini-Serie umgesetzt werden soll. Er selbst wird die Rolle des Erzählers übernehmen. Außerdem gab Berkel geduldig Dutzende Autogramme, unterhielt sich äußerst volksnah und liebenswert mit den Besuchern. Nur die Temperatur in der Eifel machte ihm ein wenig zu schaffen. „Ganz schön schattig haben Sie es hier.“
pp/Agentur ProfiPress