Peepshow und Ölkrise
Freilichtmuseum Kommern erinnerte bei seiner 15. „Zeitblende“ an das Jahr 1973, seine Mode, Musik, Tänze und die autofreien Sonntage
Mechernich-Kommern – Seit dem Jahr 2008, dem 50. Jahrestag der Museumsgründung auf dem Kommerner Kahlenbusch, dreht der Landschaftsverband in seinem Freilichtmuseum pro Jahr ein Sommerwochenende lang die Uhren zur so genannten „Zeitblende“ ein halbes Jahrhundert zurück. Am 19. und 20. August war jetzt 1973 an der Reihe.
Manche Besucher schlenderten in knallig bunten Schlaghosen über den Marktplatz Rheinland. „Benzingeruch lag in der Luft, als ein Opel Manta mit typischen Motorengeräuschen an einer kleinen Tanzfläche vorbeirauschte“, schreibt Cedric Arndt für die Lokalteile der Kölner Tageszeitungen und den Mechernicher „Bürgerbrief“: „Dort luden die »Holly Hoppers« zu Mitmachtänzen wie dem »Beat Fox« ein.“
Es war die 15. Retro-Veranstaltung ihrer Art. Die Besucher trafen auf Oldtimer, Campingbüschen inklusive eines genervten Platzwartes und eine Peepshow nebst Türsteher. Immer wieder inszenierten Mitarbeiter des Museums kleine Konfliktszenen, während auf den Straßen rund 200 Fahrzeuge vergangener Tage durchs Gelände knatterten.
AC/DC und die Sesamstraße
Aber nicht nur die Mitarbeiter, auch zahlreiche Gäste hatten sich aufwändig auf die Zeitreise vorbereitet, schreibt Arndt und zitiert Museums-Pressewart Daniel Manner: „Einige Besucher mit historischen Campern sind seit Freitag auf dem Gelände und waren teilweise mehr als fünf Stunden hierhin unterwegs.“
Es wurde bei der „Zeitblende“ an jene beiden Brüder erinnert, die 1973 den Grundstein für die Band „AC/DC“ legten, deren Musik bis heute Hard-Rock-Fans auf der ganzen Welt begeistert. Außerdem flimmerte zum ersten Mal eine Folge der beliebten Kinderserie „Sesamstraße“ über deutsche Bildschirme.
Doch nicht nur Ernie und Bert waren neu in der Flimmerkiste. Erstmals kam auch ein „Erwachsenenfilm“ ins Pantoffelkino: „Liebesgrüße aus der Lederhose“. Das sorgte für Kontroversen: „Der Film wurde sofort durch das Jugendschutzgesetz verboten und erst wieder freigegeben, nachdem alle eindeutigen Szenen rausgeschnitten waren“, berichtete Peter Drespa, der in der Rolle des Pornokino-Betreibers auf dem Kahlenbusch nicht nur freundliche Blicke auf sich zog.
Doch auch nach den Kürzungen sei der Film noch scharfer Kritik ausgesetzt gewesen, räumte Drespa ein. „Gleichzeitig hatte dieser Film aber enorm hohe Einschaltquoten“. Etwas von der Stimmung, die damals herrschte, bekam Peter Drespa am Wochenende selbst zu spüren: „Ein Besucher hat sich bei mir beschwert, dass so etwas nicht in ein Museum gehört!“
Pornos nicht totgeschwiegen
„Aber auch solche Themen sind Teil der Zeitgeschichte und sollten nicht totgeschwiegen werden“, sagte der Schausteller dem Reporter. Für ähnlich großen Wirbel sorgte 1973 der erste autofreie Sonntag am 25. November. Infolge der Ölkrise wurde ein bundesweites Fahrverbot erlassen – und es gab mehr als tausend Bußgelder wegen Verstößen.
Auch diesem Ereignis zollte die „Zeitblende“ Tribut. Deswegen fand der Autocorso zum ersten Mal in der Veranstaltungsgeschichte nur am Samstag statt. Am Sonntag wurde die Rundfahrt zum Rundgang: Demonstrativ ließ sich der wissenschaftliche Referent Daniel Manner in einer Ente von Helfern über das Gelände ziehen – um die Konsequenzen des autofreien Sonntags zu veranschaulichen. „Dies geschah, wie alles an diesem Wochenende, nicht ohne Augenzwinkern“, so Cedric Arndt. www.kommern.lvr.de
pp/Agentur ProfiPress