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Lit.Eifel 2024: Prof. Dr. Ewald Frie gab im Kommerner Burghof einen fakten- und humorvollen Einblick in das Leben auf dem elterlichen Bauernhof mit elf Geschwistern – und dabei auch in den Niedergang der bäuerlichen Familienbetriebe in den 50er und 60er Jahren

Mechernich-Kommern – Als der Historiker Ewald Frie für seine hochgelobte Dissertation in Neuerer Geschichte ausgezeichnet wurde, waren seine Eltern noch dabei. „Allerdings passten sie nicht ganz in den hochoffiziellen Rahmen und wähnten sich wahrscheinlich auch selbst im falschen Film“.

Prof. Dr. Ewald Frie wurde bei der Lit.Eifel in Kommern hervorragend begleitet und vor überausverkaufter Kulisse moderiert von der WDR-Journalistin Gisela Steinhauer („Sonntagsfragen“). Foto: Manfred Lang/pp/Agentur ProfiPress

Als Frie jetzt für seinen Bestseller „Ein Hof und elf Geschwister“ den Deutschen Sachbuchpreis 2023 verliehen bekam, waren die Eltern zwar nicht mehr dabei, aber eine ganze Reihe seiner Brüder und Schwestern, die auf dem elterlichen Bauernhof im Münsterland aufgewachsen waren.

Wie sie losjubelten, als der Bruder im Juni vergangenen Jahres in der Hamburger Elbphilharmonie als Preisträger verkündet wurde, erinnerte nach Fries eigener Schilderung eher an den Torjubel in der westfälischen Kreisliga als eine Veranstaltung der deutschen Hochkultur und kann auf Youtube dauerhaft eingesehen werden: „Die erste Minute nach Verkündigung des Preisträgers lohnt, danach beruhigt sich die Szene wieder…“

Die Begeisterung von 170 Zuschauern im Kuhstall der Familie Weidenfeld war groß, wo Frie am Freitag vor Pfingsten Kostproben aus seinem systematisch sezierten erzählerischen Meisterwerk über die eigene Familie und den Niedergang der bäuerlichen Landwirtschaft vortrug. Foto: Manfred Lang/pp/Agentur ProfiPress

Auch im Kuhstall der Familie Weidenfeld war der Jubel groß, wo Frie am Freitag vor Pfingsten Kostproben aus seinem systematisch sezierten  erzählerischen Meisterwerk über die eigene Familie und die Entwicklung der Soziologie der Landwirtschaft vortrug. Hervorragend begleitet und moderierte wurde er dabei vor überausverkaufter Kulisse und stillecht im Burghof von der WDR-Journalistin Gisela Steinhauer („Sonntagsfragen“).

Bereits sein zweiter Beststeller

Nicht nur Erzähltes und Vorgelesenes, auch Ewald Fries herzliche Art und sein eher trockener Humor nahm das Publikum sofort für den 1962 als neuntes von elf Kindern in Nottuln geborenen Münsterländer ein. Dr. Heinrich Beyenburg-Weidenfeld, selbst Landwirt und Burghofbetreiber, begrüßte den in Tübingen lehrenden Universitätsprofessor und zweifachen Bestseller-Autor im Beisein auch von Mechernichs Stadtdezernent und Kämmerer Ralf Claßen. Bereits vor „Ein Hof und elf Geschwister“ hatte der Historiker mit „Die Geschichte der Welt“ die Bestsellerlisten gestürmt.

Den Dank an die Lit.Eifel-Gastgeber Svenja und Heinrich Weidenfeld brachte die Trägervereinsvorsitzende Margaretha Ritter (m.) zum Ausdruck. Foto: Manfred Lang/pp/Agentur ProfiPress

Den Dank an den umjubelten Autor, seine charmante Gesprächspartnerin und die Gastgeber Svenja und Heinrich Weidenfeld brachte wiederum die Lit.Eifel-Trägervereinsvorsitzende Margaretha Ritter zum Ausdruck. Sie bewarb die nächsten Höhepunkte des Nordeifeler Literaturreigens gleich mit, eine Lesung mit Franz Müntefering am Mittwoch, 3. Juli, („Unterwegs – Älterwerden in dieser Zeit“) um 19 Uhr im Jugendstilkraftwerk Heimbach und den „Club der toten Eifeldichter“ mit Katia Franke, Ralf Kramp und Manni Lang am Freitag, 21. Juni, um 19 Uhr in der Hellenthaler Grenzlandhalle.

Ewald Frie ging bei den Recherchen für sein Buch „Ein Hof und elf Geschwister“ ganz wissenschaftlich vor. Dazu interviewte er seine zehn Geschwister nach bestimmten Kriterien und rief die Erinnerungen in Einschätzungen der zwischen 1944 und 1969 Geborenen an das Leben auf dem Hof ab. Trotz der hohen Kinderzahl betrachtete sich jeder als etwas Besonderes, eben anders als die anderen.

Auch der Mechernicher Stadtdezernent und Kämmerer Ralf Claßen konnte zur Lit.Eifel-Lesung im Kommerner Burghof begrüßt werden. Foto: Manfred Lang/pp/Agentur ProfiPress

Nur zwei von elf wollten Bauern werden, der älteste und der dritte, der schließlich den ehrbaren Beruf des Apothekers ergriff. Aber auch der Hoferbe musste im Sog des allgemeinen Niedergangs der bäuerlichen Familienbetriebe in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts wirtschaftlich das Handtuch werfen. Ewald Frie konnte schon lesen und schreiben, ehe er in die Schule kam, mit landwirtschaftlichen Arbeiten tat er sich eher schwer: „Außerdem hatte ich vor Tieren Angst…“

Ruf der Bauern rauscht nach unten

Der Autor, ordentliches Mitglied in der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, studierte für sein Buch auch einschlägige Statistiken und Berichte aus Bauernkalendern, Magazinen und Jahrbüchern der relevanten Zeit. Einhergehend mit dem wirtschaftlichen Überlebenskampf auf dem elterlichen Hof stieß er bei seinen Recherchen auf den soziologischen Niedergang der Bauern: „Waren wir in den fünfziger Jahren noch hoch angesehene Leute, die eher unter sich, also unter Bauern blieben, so rauschte der Ruf der Landwirtschaft seither nach unten durch.“

Dr. Heinrich Beyenburg-Weidenfeld, selbst Landwirt und Burghof-Betreiber, begrüßt Bestsellerautor Prof. Dr. Ewald Frie in Kommern. Foto: Manfred Lang/pp/Agentur ProfiPress

Frie bedauert die Entwicklung nicht, er ist kein Nostalgiker, und seine Geschwister offenbar auch nicht, die allesamt von einem konservativen, aber toleranten Vater und einer für die Zeit extrem selbständigen und selbstsicheren intelligenten Mutter erzogen wurden. „Bildung und berufliches Fortkommen wurden uns wichtiger als melken und sensen zu können, was eine Generation zuvor noch elementare Fähigkeiten waren, die man aufzählte, um seine Lebenstauglichkeit zu unterstreichen“, so Frie.

„Mein Vater hatte ein Auge fürs Vieh und konnte die Zuchttauglichkeit eines Bullen einschätzen, er konnte Besen binden und Ferkel mit dem Taschenmesser kastrieren und das kommende Wetter am Zug der Wolken vorausahnen.“ Die handwerklichen und intellektuellen Fähigkeiten auf dem Bauernhof seien den Geschwistern aber keineswegs weggenommen worden: „Wir haben diese Dinge freiwillig aufgegeben, weil wir wussten, was danach kommt, wird besser sein“, konstatierte der Schriftsteller in Kommern: „Wir haben Freiheiten dafür bekommen.“

Prof. Dr. Ewald Frie gab im Kommerner Burghof einen fakten- und humorvollen Einblick in das Leben auf dem elterlichen Bauernhof mit elf Geschwistern. Seine Zuhörer waren begeistert. Foto: Manfred Lang/pp/Agentur ProfiPress

Das sei auch kein abgeschlossener Prozess: „Im Augenblick verlieren wir die Fähigkeit, Landkarten zu lesen und stattdessen GPS zu benutzen… und wir machen das gerne.“ Behalten hätten er und viele Geschwister die Religiosität des Elternhauses, die sich nicht nur im ausgeprägten kirchlichen Engagement der Mutter Bahn brach, sondern auch im traditionellen Gebetsalltag mit „endlosen Litaneien“ und dem Ausräuchern von Haus, Ställen und Scheunen zur Weihnachtszeit. „Trotzdem bin ich noch heute ein fast regelmäßiger Kirchgänger!“

Auch der Letzte bekommt Essen

Ewald Frie trug die eigentlich ernüchternde Faktenlage vom Niedergang der Landwirtschaft am Beispiel des eigenen Bauernhofes mit so viel Humor und Mutterwitz vor, dass sich das Publikum zeitweise vor Lachen krümmte. Da war vom „magischen Dreieck“ zwischen Jugendheim, Sportplatz und Pommesbude die Rede, vom Warmhalten des Mittagessens im 50 Grad warmen Backofen, weil die Geschwister zu unterschiedlichen Zeiten von ihren Schulen und Ausbildungsplätzen zurückkamen.

„Auch der letzte bekam noch was, fragte sich nur wieviel? Schmeckte das Essen nicht so gut, stieg die Großzügigkeit…“ Selbst eine Dose Tomatenfisch reichte für alle, „es war nur unsicher, wie viel Fisch beim letzten noch in der Sauce schwamm.“ Bei Familientreffen inspizierten die Onkeln nach dem Essen das Vieh und die Tanten den Gemüsegarten und das Eingemachte im Keller.

Ewald Frie war Freitagabend im Kommerner Burghof nicht nur „Hahn im Korb“ zwischen Moderatorin Gisela Steinhauer (l.) und Lit.Eifel-Chefin Margaretha Ritter, er traf mit Humor und Mutterwitz auch den Nerv der 170 Zuschauer. Foto: Manfred Lang/pp/Agentur ProfiPress
Ewald Frie war Freitagabend im Kommerner Burghof nicht nur „Hahn im Korb“ zwischen Moderatorin Gisela Steinhauer (l.) und Lit.Eifel-Chefin Margaretha Ritter, er traf mit Humor und Mutterwitz auch den Nerv der 170 Zuschauer. Foto: Manfred Lang/pp/Agentur ProfiPress

„Als Vaters Welt verging, hat er seiner zwölf Jahre jüngeren schönen und intelligenten Frau ihre Welt nicht geneidet“, so Frie: „Sie war den meisten anderen Bauern und ihren Frauen überlegen.“ Mit ihrer Hilfe sei es zu einer „Verschiebung unserer Religiosität gekommen“, weg von bedeutungslos gewordenen Riten und Gebräuchen, „hin zu Möglichkeiten einer persönlichen Gottesbegegnung“.

Auch wenn die Familie sparsam war, mit der Erlangung von Bildung wurde nicht gegeizt: „Unser Vater sagte immer, wir sollten Berufe ergreifen, bei denen wir im Warmen und Trockenen sitzen“. Bis auf die Jüngste (* 1969) wollte keine der Schwestern einen Bauern heiraten. Alle haben respektable Berufe ergriffen. Der Apotheker hatte zuerst auch Landwirtschaft studiert, ehe er merkte, dass er chancenlos gegen den ältesten Bruder war.

Der Vater war nicht nur ein erfolgreicher Viehzüchter, der seine Bullen (Name u.a. „Traktor“) zur Körung und erfolgreiche Kühe wie „Wolke 2“ zu Auktionen zwischen Nordseeküste und Alpenvorland brachte und gute Preise erzielte, er war auch ein begnadeter Doppelkopfspieler. Auch wenn die Familie im Übrigen zur Sparsamkeit angehalten wurde, spielte er grundsätzlich um Geld: „Sonst fehlt dem Spiel die Andacht…“, pflegte er zu sagen. Seine Kinder lernten so nebenbei, dass neben Religion und Bildung, Sparsamkeit und Teilen auch ein bißchen „Zocken“ zum Leben gehört…

pp/Agentur ProfiPress