Wiedersehen auf dem Damm
Nach den offiziellen Erinnerungsfeierlichkeiten an die Flut in Euskirchen trafen sich NRW-Innenminister Herbert Reul und die Zwillingsbrüder Schilles mit dem damaligen Feuerwehr-Einsatzleiter Rolf Stupp an der sanierten, aber noch immer geleerten Steinbachtalsperre
Euskirchen-Kirchheim/Mechernich-Floisdorf – Nach den Feierlichkeiten zur Enthüllung des Flutopferdenkmals vor dem Kreishaus kam es am Donnerstagnachmittag zu einem denkwürdigen Treffen von Landesinnenminister Herbert Reul und den Floisdorfer Landwirten und Bauunternehmern Peter und Hubert Schilles auf dem Damm der Steinbachtalsperre bei Euskirchen-Kirchheim.
Die drei sind sich bereits mehrfach begegnet, zuletzt am 14. Mai, dem Vortag der Landtagswahl, als Reul mit Eskorte auf dem Floisdorfer Betriebsgelände vorfuhr, um sich noch einmal persönlich mit den „Helden vom Steinbachdamm“ zu treffen, ihnen persönlich zu danken und mit ihnen Kaffee – und einen Schnaps – zu trinken.
Hubert Schilles und Herbert Reul waren sich davor schon einmal persönlich begegnet – im Juli 2021 nach der Jahrhundertflut auf dem Damm der zu bersten drohenden Steinbachtalsperre. Hubert Schilles hatte gerade mit seinem Bagger den verstopften Grundablass des Steinbachstaubeckens unter Lebensgefahr freigemacht – und damit Tausende und ihr Hab und Gut vor Überflutung gerettet.
„Eigentlich wäre mein Bruder Peter an der Reihe gewesen“, erzählte er Minister Reul am Vortag der Wahl. Man sei sich auf der L-11-Brücke in Satzvey zufällig mit entgegenkommenden Fahrzeugen begegnet, habe kurz angehalten und sich abgestimmt: „Mein Zwillingsbruder Peter hatte eigentlich eine andere Arbeit, ich nicht, also bin ich umgedreht und zur Steinbach gefahren. Einen unserer Leute vorschicken, wollte ich nicht, da habe ich es selbst gemacht.“
15.000 Menschen in Gefahr
Bei dem denkwürdigen Treffen ein Jahr nach den tragischen Hochwasser-Ereignissen, das Peter Kramp, der frühere Smurfit-Kappa-Chef und Freund der Gebrüder Schilles, arrangiert hatte, war auch Rolf Stupp, der damalige Feuerwehreinsatzleiter von Euskirchen, mit von der Partie. Die Ereignisse von damals, die Stupp und Schilles im Einsatz und politisch auch Innenminister Reul zu bewältigen hatten, sind heutzutage umfänglich im Internet-Lexikon „Wikipedia“ dokumentiert.
„Nach einer massiven Überflutung der Dammkrone aufgrund eines Starkregens in der Eifel drohte die Steinbachtalsperre zu brechen und gefährdete 15.000 Menschen“, beginnt der Artikel, der die Regenmengen und Folgen der nächsten Tage fast im Minutentakt wiedergibt:
„Der Wetterbericht sagt 80 bis 180 mm Regen voraus. Ab 7 Uhr fielen im Einzugsgebiet 178 mm Regen… Um 16:35 Uhr war der Voll-Stau erreicht. Nach 25 Minuten war er um 18 Zentimeter überschritten. Per 17 Uhr wurde an die Bezirksregierung gemeldet, dass der Stauspiegel 278,88 m ü. NN betrage und 0,3 m³/s über die Hochwasserentlastung abflösse.
Ab 18:10 Uhr informierte die Betreiberin die Einsatzleitstelle der Katastrophenschutzbehörde Landkreis Euskirchen und die Bezirksregierung über die drohende Überströmung. Ein Stunde später stand die Überflutung unabwendbar fest. Unterrichtet wurden auch die Gemeinden Euskirchen und Swisttal. Noch geschützt durch den intakten Damm kam es dort gegen 18:30 zu ersten Todesfällen.
Um 18:42 Uhr wurde Sirenenalarm im 2,5 Kilometer abwärts liegenden Swisttal von der Bürgermeisterin über die Kreisleitstelle Siegburg ausgelöst. Gegen 20 Uhr war der Kronenstau erreicht und der Damm wurde überspült. In der Spitze flossen ca. 69 Kubikmeter pro Sekunde ab und der Wasserspiegel lag ca. 0,40 m über der Dammkrone.
Durch das überströmende Wasser erodierten auf 134 Metern Breite ein Dutzend übermannshohe Flutrinnen in die Luvseite. Wegen dieses Materialabtrages war der Erdschüttdamm einsturzgefährdet und es bestand akute Lebensgefahr.
Ab 21 Uhr begann die Evakuierung der unterliegenden Orte, in denen die Telekommunikations- und Stromversorgung weitgehend ausgefallen war. Für die Räumungsaufforderungen und zum Transport wurden auch Hubschrauber und Boote eingesetzt. Im Kreis Euskirchen waren 4.500 Menschen zunächst in Schweinheim und teilweise Flamersheim betroffen; Palmersheim folgte.
Ereignisse auf „Wikipedia“ verewigt
Zwei Stunden später forderte der Rhein-Sieg-Kreis ca. 7.700 Menschen in Odendorf, Ludendorf, Essig, teilweise Heimerzheim und Miel zum Verlassen Ihrer Wohnungen auf. Am übernächsten Tag (Freitag) war die Evakuierung vollzogen, dabei mussten etwa 2.000 Menschen in verschiedene Betreuungsstationen gebracht werden. In der Stadt Rheinbach hatten etwa 1.900 Menschen Niederdrees und Oberdrees verlassen müssen, die Allgemeinverfügung folgte später.
Die beteiligten drei Gemeinden, zwei Landkreise und die Bezirksregierung sowie die Hilfsorganisationen lieferten eigene und teilweise widersprüchliche Sachstands- und Gefahrenmeldungen aus. Unterlaufen wurde die Evakuierung durch Berichterstattungen aus den geräumten Orten. Auch begannen erste Aufräumarbeiten.
Gegen 23 Uhr endete die Überspülung der Dammkrone, eine Stunde zuvor hatte der Regen aufgehört. Zwischenzeitlich hatte sich das abgespülte Geröll auch in den Auslauf des Grundablasskanals ergossen. Weil der Grundablass nicht geöffnet war, verstopfte dieser Ablauf. Vom daneben liegenden alten Schieberhaus waren nur noch Teile des Daches sichtbar.“
Hubert Schilles sagte dem Mechernicher „Bürgerbrief“ das Freilegen des verstopften Grundablasses mit dem Bagger sei für ihn ein „kalkulierbares Risiko“ gewesen, er habe sich nicht absichtlich in Lebensgefahr gebracht, auch wenn das im Nachhinein von den Medien anders geschildert worden sei.
Richtig sei sein lebenslanges Gottvertrauen und die Zuversicht im Gebet auch in dieser heiklen Situation gewesen, sagte der bekennende Katholik im Interview. Deshalb habe er auch vor laufenden Fernsehkameras und fragenden Reportern freimütig sein Gottvertrauen dargelegt und seinen Rosenkranz vorgezeigt, den er immer bei sich trägt.
Grüße von Anselm Grün
„Solche Zeugen braucht die Kirche“, schrieb der Mechernicher Diakon und Redakteur Manfred Lang in einem Bericht für die Aachener „KirchenZeitung“. Selbst Pater Anselm Grün schickte aus Münsterschwarzach eine Grußadresse an den bekennenden und praktizierenden Christen aus Floisdorf in der Eifel, aus der auch Anselm Grüns Mutter stammt (Dahlem).
„Man hatte auch andere Bauunternehmen gefragt, die näher dran waren, ob sie nicht den Grundablass an der Steinbachtalsperre freilegen wollten. Aber die haben alle abgewunken…“ Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick berichtete Herbert Reul bei seinem Besuch im Mai, wie die Gebrüder Schilles im Alter von 14 Jahren ihren Vater verloren und die elterliche Landwirtschaft fortführten und nach und nach zu einem Unternehmen mit heute 60 Mitarbeitern ausbauten.
„Die Landwirtschaft mache ich weiter, so lange ich lebe“, so Hubert Schilles damals, „das haben wir unserer Mutter versprochen!“ Auf die eigene Lebensleistung und die seines Bruders und der ganzen Familie angesprochen, sagte Hubert Schilles: „Wir haben auch viel Glück gehabt“.
pp/Agentur ProfiPress