NS-Diktatur: Widerstand und Zuspruch
Dokumentation „Das Bistum Aachen im Nationalsozialismus“ im Einhard-Verlag erschienen – Eine Spurensuche in Biografien und Ereignissen – Auch der Mechernicher Bäckermeister Andreas Girkens und der Münstereifeler Dechant Joseph Emonds opponierten – Geschichten von Gegnern und Unterstützern
Mechernich/Pesch/Aachen – „Auch wenn alle Anstoß nehmen, ich nicht“: Ausgerechnet dieses rasch gebrochene Versprechen des Heiligen Petrus ist der Geschichte des Mechernicher Bäckermeisters und NS-Gegners Andreas Girkens in einer neuen Dokumentation der NS-Zeit im Bistum Aachen vorangestellt.
Denn der aus Hostel stammende Girkens ist seiner Freundschaft zu jüdischen Mitmenschen und seiner Gegnerschaft zu deren Verfolgung durch die Nazis bis zum Schluss treu geblieben. Und den markierte sein Tod am 4. Oktober 1944 in der Außenstelle des Konzentrationslagers (KZ) „Buchenwald“ in Köln-Deutz.
„Andreas Girkens lehnte bis zu seinem Tod […] den Antisemitismus des NS-Regimes ab“, heißt es in dem Buch „Das Bistum Aachen im Nationalsozialismus – Eine Spurensuche in Biografien und Ereignissen“, das jetzt im Aachener Einhard-Verlag erschienen ist. Als „Judenknecht“ wurde er bereits seit 1933 beschimpft, musste mit seiner Familie zahlreiche gewaltsame Übergriffe ertragen und wurde am 3. September 1944 schließlich verhaftet.
Geboren am 11. Oktober 1883 in Mechernich-Hostel eröffnete er nach der Bäckerlehre ein Geschäft in seinem Haus in der Bahnstraße und wurde schnell zu einem geschätzten Mitglied der Mechernicher Gesellschaft. Aktiv war er auch in der örtlichen katholischen Pfarrei „St. Johannes Baptist“.
Sein Nachbar war der jüdische Arzt Dr. Robert David (1865 – 1941). Die beiden Familien waren freundschaftlich verbunden. Auch dies brachte ihm die denunziatorische Bezeichnung „Judenknecht“ ein, die auch oftmals auf sein Schaufenster geschmiert wurde. Sogar das NS-Propagandablatt „Der Stürmer“ beschäftigte sich mit dem Mechernicher Bäcker.
Täglich verhört und gefoltert
In der „Reichspogromnacht“ am 9. November 1938 versteckte er schließlich jüdische Frauen in seinem Haus. Kurz darauf kamen zwei Männer in sein Geschäft, traten und schlugen Girkens und seine Tochter nieder. Die Schergen streuten auch noch Pfeffer in seine blutenden Wunden und verwüsteten den Laden – alles unter den aufmerksamen Augen zahlreicher Schaulustiger, von denen keiner eingriff. Von Zivilcourage keine Spur. Nach ihrer Flucht blieben die Täter unbekannt.
Auch Schadensersatz blieb der Familie Girkens verwehrt. Niemand anderer als der damalige Amtsbürgermeister Johannes Zander schrieb dazu: „Girkens trägt durch seine Einstellung und sein Verhalten die alleinige Schuld an diesem Vorfall.“
Der Druck auf Andreas Girkens und seine Familie stieg immer weiter, auch durch die örtliche Polizei. Sie wollten ihn loswerden. Und so notierten sie auch nur die kleinsten Verstöße, wie den Laden eine Minute zu früh oder zu spät zu schließen, bis hin zu der Beschuldigung, dass er „Feindsender“ hören würde.
Am 3. September 1944 wurde der vielfach Verfolgte und Geschundene schließlich verhaftet und erst in ein Aachener Gefängnis und dann nach Köln-Deutz gebracht. Seine Tochter wollte den Haftbefehl sehen – und bekam als Antwort einen Faustschlag ins Gesicht…
„In Köln wurde Girkens täglich verhört und gefoltert“, so das Buch, „er war übersät mit Hämatomen und unterernährt“. Schon nach einem Monat Klingelpütz starb er am 4. Oktober 1944. Seinen versiegelten Sarg erhielten die Angehörigen nach Bestechung, und zwar unter der Bedingung, ihn sofort zu beerdigen. Heute ist ihm in Mechernich die „Andreas-Girkens-Straße“ gewidmet.
„Antideutsche Stimmungsmache“
Es gab noch mehr Menschen im Bistum, die nicht einfach wegschauen wollten. Gräfin Marie-Elisabeth zu Stolberg-Stolberg (1912 – 1944) und Dechant und Pfarrer Joseph Emonds (1898 – 1975) zum Beispiel gründeten einen Helferring für politisch Verfolgte und riskierten damit ihr Leben.
So gelang es ihnen, viele Menschen, die kurz vor der Deportation standen, zu retten. Bis zu seinem Tod im Jahr 1975 blieb Emonds Pfarrer in Kirchheim bei Euskirchen und Dechant des Dekanates Münstereifel. 2014 ehrte ihn die israelische Gedenkstätte „Yad Vashem“ als „Gerechter unter den Völkern“. In Kuchenheim wurde eine Schule nach ihm benannt.
Das von Helmut Rönz und Keywan Klaus Münster in Verbindung mit dem Landschaftsverband Rheinland herausgegebene Buch beleuchtet viele Geschehnisse der NS-Zeit aus dem Bistum Aachen. So zum Beispiel auch das Werk des Benediktinerpaters Clemens von Birgelen (1904 – 1954). Er war seit 1939 Spitzel für die Gestapo Aachen und lieferte Berichte zu mehreren Aussagen und Geistlichen, in denen er der katholischen Kirche „antideutsche“ Stimmungsmache im holländischen Grenzgebiet unterstellte. Die Nazis sahen in als „durchaus zuverlässigen“ V-Mann. Nach dem Krieg wirkte er weiter in der Seelsorge.
Viele waren ähnlich eingestellt. Die Aachener Synagoge am damaligen „Promenadenplatz“, heute „Synagogenplatz“, wurde auf Befehl und unter den Augen des Aachener NS-Polizeichefs Carl Zenner nachts von Feuerwehrleuten niedergebrannt. Dabei wies er die Polizeibeamten ausdrücklich an, nichts dagegen zu tun.
„Lasst euch nicht verblenden!“
Die Rede ist weiter vom Ehepaar Otto und Hulda Pankok (1893 – 1966 / 1895 – 1985), das durch Kunst Kritik am Naziregime übte und schließlich selbst verfolgt wurde. Ihr Zyklus „Passion“ aus dem Jahr 1934 ließ schon auf eine frühe Ablehnung der Nazis schließen und tauchte in der NS-Propagandaausstellung „Entartete Kunst“ in München auf.
Schließlich lebten die Künstler in Pesch bei Nettersheim. Sie versteckten dort auch Verfolgte. Nach dem Krieg war Otto Pankok als Professor an der Kunstakademie Düsseldorf tätig, zu seinen Schülern zählte Günter Grass.
Auch der damalige Aachener Bischof Joseph Vogt (1865 – 1937) wird mit einer Predigt thematisiert, in der er unter anderem sagte: „Lasst euch von solchen Irrlehren nicht verblenden!“. Er protestierte immer wieder gegen den Nationalsozialismus, insbesondere die Programmschrift des NS-Chefideologen Alfred Rosenberg („Mythus des 20. Jahrhunderts“) und verteidigte das Existenzrecht der Konfessionsschulen und katholischer Jugendverbände.
pp/Agentur ProfiPress
Helmut Rönz und Keywan Klaus Münster: „Das Bistum Aachen im Nationalsozialismus – Eine Spurensuche in Biografien und Ereignissen“: © 2022 einhard verlag GmbH, Aachen, 208 Seiten, zahlreiche Illustrationen, ISBN 978-3-943748-71-0, 29,80 Euro