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Familien nach 82 Jahren wieder vereint

Stolpersteine für Elvira und Gustav Kaufmann in Hostel verlegt – 1942 von den Nazis ermordet – 130 Gäste kamen und gedachten bei bestem Wetter – 25 Nachfahren aus den USA/Großbritannien angereist – Stephan Brings trug Gedicht vor, Schülerinnen und Schüler gaben Impulse und mehr

Mechernich-Hostel – Rund 130 Menschen waren dabei, als kürzlich zwei Stolpersteine für Elvira und Gustav Kaufmann vor ihrem ehemaligen Gutshof in der Hosteler Friedentalstraße enthüllt wurden. 1941 wurden das jüdische Ehepaar nach jahrelanger Diskriminierung deportiert, 1942 schließlich im Konzentrationslager Chelmno ermordet.

Anlässlich der Stolperstein-Verlegung für Gustav und Elvira Kaufmann vor ihrem ehemaligen Gutshof in Hostel waren 25 ihrer Nachfahren aus den USA und Großbritannien angereist. Manche von ihnen haben sich zuvor noch nie getroffen. Foto: Henri Grüger/pp/Agentur ProfiPress
Anlässlich der Stolperstein-Verlegung für Gustav und Elvira Kaufmann vor ihrem ehemaligen Gutshof in Hostel waren 25 ihrer Nachfahren aus den USA und Großbritannien angereist. Manche von ihnen haben sich zuvor noch nie getroffen. Foto: Henri Grüger/pp/Agentur ProfiPress

Sie hatten kein Glück. Andere aus ihrer Familie, und der der verwandten Levanos aus Kommern, hingegen schon. Sie konnten nach England und in die USA fliehen. Über 200 Jahre hatten sie zuvor in Kommern gelebt, bevor die Familienmitglieder vor den Nazis in die „große weite Welt“ flohen.

Nun, 82 Jahre später, gab es ein großes „Familientreffen“ der Nachfahren anlässlich der neuen Stolpersteine für Gustav und Elvira Kaufmann. Ganze 25 von ihnen hatten lange Wege in das beschauliche Hostel zurückgelegt – zum Beispiel aus Washington D.C., New Jersey, Boston, Baltimore oder London. Entsprechend gut war die Stimmung bei bestem Wetter – trotz des eigentlich traurigen Anlasses.

Insgesamt erwiesen über 130 Menschen den Kaufmanns die Ehre. Foto: Henri Grüger/pp/Agentur ProfiPress
Insgesamt erwiesen über 130 Menschen den Kaufmanns die Ehre. Foto: Henri Grüger/pp/Agentur ProfiPress

„Albtraum, der wahr ist“

„Manche der Familienmitglieder haben sich wirklich noch nie zuvor gesehen!“, freute sich Rainer Schulz von der Arbeitsgruppe „Forschen-Gedenken-Handeln“, die diesen besonderen Tag überhaupt erst möglich gemacht hatte. Gisela und Wolfgang Freier sowie Elke Höver betreiben sie mit ihm.

Über hundert weitere Gäste aus Hostel und dem Umland, Vertreter der Stadtrats-Fraktionen, der Stadt- und Kreisverwaltung sowie aus der Bürgerschaft waren ebenfalls dabei, um an die Ungerechtigkeiten und Gräueltaten der Vergangenheit zu erinnern. Schülerinnen und Schüler der Gesamtschule Mechernich trugen sogar freiwillig Texte auf Deutsch und Englisch vor. Sie alle hatten eines gemeinsam: auch in der heutigen Zeit wollte man Flagge bekennen – und mahnen: „Nicht mit uns! Nie wieder ist jetzt!“

Organisiert hatte die Verlegung die Arbeitsgruppe „Forschen-Gedenken-Handeln“ bestehend aus (v. l.) Elke Höver, Rainer Schulz sowie Gisela und Wolfgang Freier. Letzterer ist hier nicht dabei. Foto: Henri Grüger/pp/Agentur ProfiPress
Organisiert hatte die Verlegung die Arbeitsgruppe „Forschen-Gedenken-Handeln“ bestehend aus (v. l.) Elke Höver, Rainer Schulz sowie Gisela und Wolfgang Freier. Letzterer ist hier nicht dabei. Foto: Henri Grüger/pp/Agentur ProfiPress

So sei das Gedenken auch dem DRK-Ortsverband Mechernich laut dessen Leiter Sascha Suijkerland „ein besonderes Anliegen“. Neben regelmäßigen Putzaktionen der Stolpersteine betreuen sie auch Veranstaltungen wie diese – und brachten die Familienmitglieder der Kaufmanns/Levanos von Kommern per Shuttleservice nach Hostel.

Als Stargast trug neben weiteren Rednern Kölsch-Rock-Legende Stephan Brings, der selbst in Hostel wohnt, ein Gedicht seines Vaters aus den 1980er-Jahren vor: das „Gespräch mit David“. Darin wünscht er sich beispielsweise, dass Kinder jeder Herkunft friedlich miteinander spielen können und keine Angst haben müssen. Doch gleichzeitig warnt er vor den Schrecken des Nationalsozialismus und wiederholt mehrfach die verheißungsvolle Zeile: „seit damals lebt er mit dem Albtraum, der wahr ist und nie vergeht.“ Das Publikum war sichtlich berührt.

Nach der Enthüllung legten Angehörige Rosen an den Stolpersteinen nieder. Foto: Henri Grüger/pp/Agentur ProfiPress
Nach der Enthüllung legten Angehörige Rosen an den Stolpersteinen nieder. Foto: Henri Grüger/pp/Agentur ProfiPress

Handeln, statt wegsehen

Doch auch die anderen Redner wussten die richtigen Worte zu finden: Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick erinnerte beispielsweise an die lange Geschichte der Juden in Deutschland und wie sie schon früh diskriminiert wurden. Er betonte, dass früher auch auf den Dörfern viele Menschen weggeschaut oder sogar selbst zu Tätern geworden waren. Dies dürfe nie wieder passieren. Gerade heute sei dies wichtig, da extremistische Weltansichten wieder mehr Zulauf bekämen.

Anthony Golding (l.) und seine Enkelin Chloe Ellam (r.) sowie weitere Nachfahren der Kaufmanns richteten Worte des Dankes an die Anwesenden und berichteten aus Erzählungen ihrer Vorfahren. Foto: Henri Grüger/pp/Agentur ProfiPress
Anthony Golding (l.) und seine Enkelin Chloe Ellam (r.) sowie weitere Nachfahren der Kaufmanns richteten Worte des Dankes an die Anwesenden und berichteten aus Erzählungen ihrer Vorfahren. Foto: Henri Grüger/pp/Agentur ProfiPress

Gisela Freier klärte über die lange Geschichte des Hofes auf, der Eduard Levano bis zu seiner Zerstörung in der Reichpogromnacht 1938 gehörte und von den Kaufmanns bewirtschaftet wurde. Schon ab 1934 hatte man ihnen von allen Seiten „Knüppel vor die Beine“ geworfen, 1935 dann Fensterscheiben zerstört und die Fassade mit folgenden stupfen Parolen aus Ölfarbe beschmiert: „Hier wohnt eine Judensau! Ein Rassenschänder! Heraus aus Hostel! Unser Ziel ist: die Juden an den Nil!“ Dies belegten Gestapo-Akten.

Schülerinnen und Schüler der Mechernicher Gesamtschule beteiligten sich freiwillig mit Impulsen. Foto: Henri Grüger/pp/Agentur ProfiPress
Schülerinnen und Schüler der Mechernicher Gesamtschule beteiligten sich freiwillig mit Impulsen. Foto: Henri Grüger/pp/Agentur ProfiPress

Schließlich dankte Rainer Schulz Familie Kaspari für das Sponsern der Steine, sowie der Mechernicher Stadtverwaltung, Ehrengast Stephan Brings, dem städtischen Bauhof für die Verlegung der Steine und dem DRK für die Betreuung samt Shuttle-Service.

„Klein, aber wichtig“

Doch auch ein Teil der Gäste aus den USA und Großbritannien meldeten sich zu Wort, teils sogar auf Deutsch: Anthony Golding, Chloe Ellam, Helen Stone, Ron Schwarz und Regina Cohen. Sie erzählten Geschichten, die sie von ihren Vorfahren gehört hatten, die flüchten konnten. Von Kommern und Hostel, den „schönen Wäldern“ und dem leckeren Tee im Gutshof.

Im Anschluss an die Verlegung war die Stimmung sowohl hier als auch im Dorfsaal ausgelassen. Foto: Henri Grüger/pp/Agentur ProfiPress
Im Anschluss an die Verlegung war die Stimmung sowohl hier als auch im Dorfsaal ausgelassen. Foto: Henri Grüger/pp/Agentur ProfiPress

Ron Schwarz, dessen Großonkel Gustav war, erzählte, wie er bei seinem ersten Besuch in Kommern vor fast 50 Jahren als Amerikaner damals schnell zur „Berühmtheit“ wurde. Seitdem war er mehrere Male zu Besuch. Auch seine Tochter Erica Schwarz war im vergangenen Jahr mit ihrem Mann Chris Bailey in Kommern gewesen, um auf den Spuren ihrer Vorfahren zu wandeln.

Besonders hoben sie aber die wenigen Helfer hervor, die damals Widerstand gegen die Ungerechtigkeiten geleistet haben: „Hierfür sind wir unendlich dankbar!“ Außerdem erzählten die Gäste was hier wohl noch keiner wusste: dass Kommern „tausenden britischen Schulkindern“ bekannt ist. Dies sei der Initiative „Generation to generation“ zu verdanken, die über den Holocaust aufklärt.

Kölsch-Rock-Legende Stephan Brings, der selbst in Hostel wohnt, trug ein selbstgeschriebenes und emotionales Gedicht seines Vaters vor. Dessen Titel lautet: „Gespräch mit David“. Foto: Henri Grüger/pp/Agentur ProfiPress
Kölsch-Rock-Legende Stephan Brings, der selbst in Hostel wohnt, trug ein selbstgeschriebenes und emotionales Gedicht seines Vaters vor. Dessen Titel lautet: „Gespräch mit David“. Foto: Henri Grüger/pp/Agentur ProfiPress

Insgesamt seien sie aber dankbar für die „kleinen aber wichtigen Denkmale“, die Stolpersteine, die an ihre Vorfahren erinnern und sie in Ehren halten. Ein Familienmitglied hielt dann ein Totengebet für die Kaufmanns, ein Grab gibt es nämlich nicht.

„Unbeschreibliches Gefühl“

Für manche der Amerikaner und Briten mit Wurzeln in Kommern und Hostel war er das erste Mal in Deutschland, für andere schon das dritte. Auf sie wirke die Gegend „friedlich und liebevoll“. Schwer vorstellbar, was hier damals geschehen ist. Doch es kann wieder passieren, dass wissen sie. Auch in den USA.

Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick erinnerte beispielsweise an die lange Geschichte der Juden in Deutschland und mahnte zu handeln, statt wegzusehen, wenn Ungerechtigkeiten geschehen. Foto: Henri Grüger/pp/Agentur ProfiPress
Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick erinnerte beispielsweise an die lange Geschichte der Juden in Deutschland und mahnte zu handeln, statt wegzusehen, wenn Ungerechtigkeiten geschehen. Foto: Henri Grüger/pp/Agentur ProfiPress

Dennoch: die Stimmung war ausgelassen, auch beim anschließenden Kaffee und Kuchen im Dorfsaal, organisiert vom Ortskartell und Ortsbürgermeister Joachim Wagner. Kurz und knapp: „wundervoll“, wie eine Amerikanerin bemerkte. Hier hingen auch alte Bilder aus, die Hostel vor rund 100 Jahren zeigten – als die Kaufmanns und Levanos noch in Frieden leben konnten.

Bei Kaffee und Kuchen im Dorfsaal konnten sich die Anwesenden Hostel auf historischen Fotografien ansehen. Foto: Henri Grüger/pp/Agentur ProfiPress
Bei Kaffee und Kuchen im Dorfsaal konnten sich die Anwesenden Hostel auf historischen Fotografien ansehen. Foto: Henri Grüger/pp/Agentur ProfiPress

Nun, fast 80 Jahre nach Ende der NS-Schreckensherrschaft, trafen sie sich wieder hier, wo ihre Wurzeln liegen – und tauschten sich auch mit den zahlreichen Gästen herzlich aus. Ein „unbeschreibliches Gefühl“. Wüsste man es nicht besser, könnte man meinen, sie lebten bis heute hier. Wäre da nicht die kleine Sprachbarriere…

pp/Agentur ProfiPress