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AllgemeinRotes Kreuz im Kreis Euskirchen

„Déjà-vu“ in Prag

Angelika und Herbert Schmitz vom Roten Kreuz im Kreis Euskirchen erinnern sich für die Jubiläumsausgabe des „Wochenspiegel“ an ihren Hilfseinsatz in der Deutschen Botschaft vor 30 Jahren – Ein Bericht von Manfred Lang für das Rote Kreuz im Kreis Euskirchen

Kreis Euskirchen/Prag – „Déjà-vu“ heißt bekanntlich im Französischen „Schon gesehen“ und bezeichnet Augenblicke, die einem nicht nur bekannt „vorkommen“, sondern die man ein zweites Mal zu durchleben glaubt. Mit allen Emotionen, mit allen Konsequenzen, mit Bildern vor Augen, die kaum verblassen.

30. September 2019, 30 Jahre nach den historischen Ereignissen in der Prager Botschaft: Angelika Schmitz (v.l.), Dirk Kristahl und Herbert Schmitz vom Roten Kreuz im Kreis Euskirchen stehen im Fernsehinterview Rede und Antwort. Foto: Simon Jägersküpper/DRK/pp/Agentur ProfiPress

Die seit Mauerfall und Samtener Revolution bekanntgewordene Euskirchener Rotkreuz-Helferin Angelika Schmitz (63) und ihr Mann Herbert (67) hatten dieser Tage ihr persönliches zweites Erleben dort, wo sie vor 30 Jahren mit Elfie Spilles, Christian Rang, Dirk Kristahl und anderen vom DRK-Kreisverband Euskirchen im humanitären Hilfs- und Kocheinsatz für bis zu 10.000 DDR-Flüchtlinge waren.

Es waren die Szenen, die sich in der Deutschen Botschaft der CSSR auf der Prager Kleinseite abspielten, bevor Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher mit Kanzleramtsminister Rudolf Seiters an seiner Seite die erlösende Ausreisegenehmigung der dorthin geflohenen DDR-Bürger mit einem Sonderzug über Dresden in die Bundesrepublik bekanntgab.

Rotkreuzmuseum für humanitäres Völkerrecht in Vogelsang (v.r.): Die Eheleute Herbert und Angelika Schmitz schwelgen mit dem damaligen Rotkreuz-Kreisgeschäftsführer und heutigen ehrenamtlichen Museumsleiter Rolf Zimmermann in Erinnerungen. Foto: Manfred Lang/pp/Agentur ProfiPress

Alle zwei Stunden 750 Portionen

Angelika Schmitz und ihre Mitstreiter kochten zwei Wochen lang Tag und Nacht, um alle zwei Stunden 750 Portionen Eintopf auszugeben. „Wir lebten wie auf einer Insel“, erinnert sich Ehemann Herbert: „Mitten in Prag, völlig isoliert im Ostblock und abgeschirmt von allen Nachrichten.“ Kochen, schlafen, eine Zigarette rauchen, sich um Kranke kümmern, Kinder trösten, Nachschub organisieren…

Herbert Schmitz (ganz links) und Helfer schieben die zweite „Gulaschkanone“ in den Botschaftseingang des Palais Lobkowitz. Seine Frau Angelika und ihre Küchenhelfer gaben alle zwei Stunden 750 Portionen Eintopf an die DDR-Flüchtlinge aus. Foto: DRK/pp

„Als sich das Botschaftstor des Palais Lobkowitz. auf der Prager Kleinseite jetzt am »Tag der Freiheit« öffnete, da sah ich sie wieder: 500 Menschen, Frauen, Kinder, Männer, und es schien, als wollten sie wieder alle herein, herein, in den Schutz der Deutschen Botschaft“, erzählt Angelika Schmitz dem „Euskirchener Wochenspiegel“ für seine Jubiläumsausgabe.

Tatsächlich strebten diesmal diese 500 gutgelaunten und noch eine Menge Menschen mehr zum „Tag der offenen Tür“ in der Vertretung der Bundesrepublik Deutschland unterhalb der Prager Burg. Diesmal blickte Angelika Schmitz am Tor jenseits der Moldau nicht in verängstigte und verunsicherte, sondern in heitere Gesichter.

Damals kletterten die über die ostdeutsch-tschechische Grenze gekommenen Republikflüchtlinge erst zu Dutzenden und schließlich zu Tausenden über den gusseisernen Zaun, um in der Hauptstadt der damaligen CSSR ihrem Heimatland, dem vorgeblichen „Arbeiter- und Bauernparadies“ DDR, endgültig den Rücken zu kehren.

Erst waren es ein paar Hundert, auf dem Höhepunkt nach Herbert Schmitz‘ Schätzung 7000 Menschen, insgesamt über zwei Wochen vermutlich 10.000, die auf dem Gelände der westdeutschen Botschaft in Prag 1989 auf engstem Raum die Freiheit suchten. Foto: Rotkreuzmuseum Vogelsang/pp

Man schrieb damals September/Oktober 1989 – schon bald würden „Mauerspechte“ in Berlin auf dem vorgeblichen „Antifaschistischen Schutzwall“ stehen und die Mauer, was in Prag noch keiner ahnte, zu Kleinstfragmenten zerbröseln. Ein Jahr später würde Wiedervereinigung sein – und die „Deutsche Demokratische Republik“ Vergangenheit.

Im Oktober 2019 wurde in Prag der turbulenten Tage vor 30 Jahren gedacht, die das Gesicht der Welt veränderten. Auch die kurz nach ihrem Hilfseinsatz von Bundespräsident Richard von Weizsäcker im Beisein von Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnete Angelika Schmitz und ihr Mann Herbert aus Euskirchen waren eingeladen.

Neue Rotkreuzler mit dabei

Begleitet wurden die beiden diesmal von drei Rotkreuz-Nachwuchsaktivisten, Simon Jägersküpper, Jona Kutsche und Maren Dederichs. Jägersküpper: „Es waren sehr viele »Original«-Flüchtlinge von damals dabei und eine ganze Menge von ihnen waren von Herzen dankbar, Angelika und Herbert und anderen Danke zu sagen und die Hand zu drücken, die ihnen damals in existenzieller Lage beistanden.“

Das Bundesverdienstkreuz bekam Angelika Schmitz vertretend für viele engagierte Rotkreuz-Einsatzkräfte aus dem Kreis Euskirchen in der Prager Botschaft. Hier der Moment der Verleihung durch Bundespräsident Richard von Weizsäcker, rechts Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher. Repro: Rotkreuzmuseum Vogelsang/pp

Herbert Schmitz, Kreisschirrmeister beim Roten Kreuz, und verantwortlich für den umfangreichen Fuhrpark, legte damals die Strecke Euskirchen-Prag gleich mehrfach zurück, um Feldküchen ins Palais Lobkowitz zu schaffen. Die Fahrt 2019 ganz ohne Grenzkontrollen kam ihm ungewohnt vor, obwohl er und Angelika seither mehrfach privat in Prag waren: „Aber man muss es wahrscheinlich anders erlebt haben, um die Verbesserungen zu erkennen.“

Die Euskirchener DRK-Helfer hatten sich per Lkw aufgemacht, um die zunächst 450, dann 4000 und schließlich bis zu 7000 DDR-Bürger gleichzeitig zu versorgen, die in der Botschaft Unterschlupf gefunden hatten. „Es wurden täglich mehr“, erinnert sich Angelika Schmitz, „und nach dem ersten Sonderzug nach Dresden saßen wir alle erleichtert bei einer Art Abschiedsessen zusammen, als es plötzlich ans Tor klopfte.“

Erste Wahl bei Auslandseinsätzen

Der Botschafter Hermann Huber öffnete und Angelika hörte, wie er rief: „Kommen, Sie herein, herzlich willkommen.“ Die nächsten 500 DDR-Bürger strömten in den Park. Keine Abreise für die Rotkreuzler, Feldküchen wieder anwerfen.

Botschafter Hermann Huber mit Rotkreuzhelfern in der Deutschen Botschaft in Prag. Repro: Rotkreuzmuseum Vogelsang/pp

„Im Gegensatz zu heute – et hätt noch ömme joot jejange – wussten wir ja damals nicht, wie es ausgehen würde“, so Herbert Schmitz: „Nicht, dass wir direkt Angst gehabt hätten, aber keiner hatte eine Vorstellung davon, wie die Regime des Ostblocks auf Massenflucht und die Durchtrennung des Eisernen Vorhanges reagieren würden.“

Bis der damalige Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher jene Worte vom Balkon der Prager Botschaft rief, die Geschichte schrieben, und die Angelika und Herbert Schmitz, Elfie Spilles, Dirk Kristahl und Christian Rang aus Euskirchen niemals vergessen werden: „Wir sind gekommen, um Ihnen zu sagen, dass Ihre Ausreise…“

Der Rest von Genschers Worten ging bekanntlich in grenzenlosem Jubel unter. Es war der 30. September 1989. In Bussen wurden die DDR-Bürger zum Bahnhof gebracht – freie Fahrt in die Freiheit. Vor zehn Jahren, beim 20-Jährigen, war Genscher noch dabei. Jetzt begrüßte Bundesaußenminister Heiko Maas die damaligen Helfer aus Euskirchen.

In Prag 2019 im Gespräch mit Bundesaußenminister Heiko Maas (v.l.) Herbert und Angelika Schmitz und Dirk Kristahl. Repro: Rotkreuzmuseum Vogelsang/pp

Auch die Schauspielerin Jeanette Biedermann (Gute Zeiten, schlechte Zeiten) war wieder dabei. Sie wurde damals als Neunjährige von den Euskirchener Rotkreuzlern versorgt – und gab später in Berlin selbst Suppe aus. Beim „Tag der Freiheit“ mit von der Partie war auch Rudolf Seiters, der als Kanzleramts-Chef neben Genscher auf dem Balkon gestanden hatte und später DRK-Präsident wurde.

Rotkreuz-Freiwillige aus dem Kreis Euskirchen waren oft erste Wahl bei Auslandseinsätzen – nicht nur, aber auch beim Verladen von Frachtgut in Köln-Wahn. „Die Nähe zum Zentrallager Meckenheim, wo viele Hilfsgüter eingelagert waren, zum Flughafen und auch zur DRK-Bundesgeschäftsstelle in Bonn spielten eine große Rolle“, erklärten DRK-Kreisgeschäftsführer Rolf Klöcker und sein Vorgänger Rolf Zimmermann dem „Euskirchener Wochenspiegel“.

pp/Agentur ProfiPress