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AllgemeinRotes Kreuz im Kreis EuskirchenStadt Mechernich

„Das sind wir ihnen schuldig“

Gedenktafel für jüdische Familie Levano aus Kommern in der Kommerner Straße enthüllt – Arbeitsgruppe „Forschen-Gedenken-Handeln“, „Rotarys“ und Spenden machten es möglich – Herzzerreißende Geschichte einer gequälten Familie – Gäste bekannten Farbe und erinnerten sich gemeinsam

Mechernich-Kommern – „Der 1. März ist kein besonderer Tag in der Geschichte Kommerns, er ist auch nicht wichtig im Hinblick auf Ereignisse während der NS-Zeit. Es ist ein besonderer Tag in der Geschichte der Familie Levano. Am 1. März 1910 wurde Lilly geboren, die Tochter von Elvira Levano, der ältesten der Levano-Geschwister“, erklärte Gisela Freier bei der Enthüllung einer Gedenktafel für die jüdische Familie in der Kölner Straße 83. Lilly, die letzte jüdische Zeitzeugin aus Kommern, starb im Jahre 2015 – im Alter von 105 Jahren.

Gemeinsam mit ihrem Mann Wolfgang sowie Rainer Schulz und Elke Höver betreibt Gisela Freier die Arbeitsgruppe „Forschen-Gedenken-Handeln“, die sich mit dem Gedenken an jüdische Mitbürger Kommerns beschäftigt, die vom Nazi-Regime vertrieben oder getötet wurden. So wie die Levanos. Deren Geschichte in Kommern begann übrigens schon im Jahre 1820, also vor über 200 Jahren.

Rainer Schulz (l.) und Wolfgang Freier, die gemeinsam mit Gisela Freier und Elke Höver die Arbeitsgruppe „Forschen-Gedenken-Handeln“ betreiben, enthüllten am Freitag ein Denkmal-Tafel für die jüdische Familie Levano in der Kölner Straße 83. Unterstützt wurden sie bei diesem Projekt vom „Rotary Club Euskirchen“ und dem Erlös aus einer Spendenlesung des Kaller Autors Nobert Scheuer. Foto: Henri Grüger/pp/Agentur ProfiPress
Rainer Schulz (l.) und Wolfgang Freier, die gemeinsam mit Gisela Freier und Elke Höver die Arbeitsgruppe „Forschen-Gedenken-Handeln“ betreiben, enthüllten am Freitag ein Denkmal-Tafel für die jüdische Familie Levano in der Kölner Straße 83. Unterstützt wurden sie bei diesem Projekt vom „Rotary Club Euskirchen“ und dem Erlös aus einer Spendenlesung des Kaller Autors Nobert Scheuer. Foto: Henri Grüger/pp/Agentur ProfiPress

„Sonne der Hoffnung“ schenken

Rund 60 Leute waren an diesem sonnigen Nachmittag mit dabei, als neben der Arbeitsgruppe auch der Mechernicher Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick sowie Schülerinnen und Schüler der Gesamtschule Mechernich die Tafel einweihten. Die Jugendlichen trugen ein Gedicht vor, dass sich damit beschäftigte, wie man sich gegenseitig die „Sonne der Hoffnung“ schenken und Mut machen kann.

Die benötigten 1300 Euro kamen durch eine großzügige Spende des „Rotary Clubs Euskirchen“ und die Erlöse einer Autorenlesung von Norbert Scheuer aus seinem Werk „Winterbienen“ zusammen.

Zu guten Konditionen hergestellt und designt hatte die Tafel Oliver Lehmann aus Kallmuth. Dank dieser wertvollen Unterstützung stehen hier nun die Geschichte, Entrechtung, Verfolgung, Vertreibung und Ermordung der Familie im Mittelpunkt. Ken Derichs und Alexander Schröder vom städtischen Bauhof hatten das Mahnmal schließlich an der Adresse des ehemaligen Firmen- und Wohnsitzes der Levanos befestigt.

Rund 60 Teilnehmer „bekannten Farbe“ und formierten sich rund um das neue Schild. Foto: Henri Grüger/pp/Agentur ProfiPress
Rund 60 Teilnehmer „bekannten Farbe“ und formierten sich rund um das neue Schild. Foto: Henri Grüger/pp/Agentur ProfiPress

Deportiert und ermordet

Es war eigentlich ein ganz normaler Abend im Jahre 1938. Die Familie Levano, die eine sehr erfolgreiche Getreide-, Mehl-, Kraftfutter- und Kunstdüngerhandlung betrieb, „eine der größten und erfolgreichsten Firmen des Kreises Euskirchen“, lebte in ihrer eindrucksvollen Villa in der Kölner Straße.

Aufgrund der Herrschaft des NS-Regimes waren sie regelmäßige Anfeindungen der Mitbürger zwar schon gewohnt – was sie allerdings an diesem Abend erwarten sollte, veränderte ihr Leben für immer. Es war der 9. November – „Reichsprogromnacht“. Ein hasserfüllter Mob drang in die Villa ein, zerstörte sämtliches Inventar des Hauses, schlug Fenster und Türen ein. Am nächsten Morgen war das langjährige Zuhause der Familie unbewohnbar.

Hugo Levano, der die Firma mit seinem Bruder Eduard groß gemacht hatte, wurde nur wenige Tage nach der „Reichsprogromnacht“, in der in ganz Deutschland zahlreiche jüdische Geschäfte, Häuser und Synagogen von NSDAP und Unterstützern zerstört worden waren, ins KZ Dachau eingeliefert.

Sein Bruder war schon 1937, nach der Arisierung der Firma im Jahr 1936, vermutlich wegen vieler Anfeindungen aus allen Ecken der Gesellschaft und „um sein Lebenswerk und seine Ehre betrogen“, überraschend verstorben. So lief beispielsweise eine konstante Hetzkampagne im „Westdeutschen Beobachter“ gegen den „Getreidejuden Levano“, in der ihm unter anderem „gezielte Rassenschändung“ vorgeworfen wurde.

Zwar kehrte sein Bruder Hugo nach nur wenigen Tagen im KZ wieder Heim, doch: „man kann gar nicht Ermessen, mit welchem Entsetzen der 54-Jährige wieder nach Hause kam. Er, der Deutschland so liebte, war völlig gebrochen“, so Rainer Schulz. Rund ein Jahr später forderte der Kommerner Bürgermeister die Familie per Brief dazu auf, das Haus zu räumen. Sie zogen nach Köln, wo sie bei Bekannten unterkamen. „Von hier wurden sie am 20. Oktober 1941 ins KZ Lodz deportiert und ermordet“, resümierte Schulz.

Schülerinnen und Schüler der Gesamtschule Mechernich trugen ein Gedicht namens „Sonne der Hoffnung“ vor. Hier ging es darum, einander Mut zu schenken. Foto: Henri Grüger/pp/Agentur ProfiPress
Schülerinnen und Schüler der Gesamtschule Mechernich trugen ein Gedicht namens „Sonne der Hoffnung“ vor. Hier ging es darum, einander Mut zu schenken. Foto: Henri Grüger/pp/Agentur ProfiPress

„Farbe bekennen“

Ein Teil des Rotkreuz-Ortsverbandes Mechernich samt dem Vorsitzenden Sascha Suijkerland wohnte der Zeremonie bei, „weil diese Schrecken nie in Vergessenheit geraten dürften.“ Außerdem reinigen sie regelmäßig Stolpersteine im Stadtgebiet Mechernich. Die Verkehrsdirektion Mechernich der Landespolizeibehörde war ebenso vor Ort. Dies ist Teil eines vorgeschrieben „Extremismus-Präventionsprogramms“.

Das unterstützt auch der Mechernicher Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick gerne. Es sei wichtig, in der derzeitigen „besonderen politischen Situation Farbe zu bekennen“ und sich aktiv an die schrecklichen Verbrechen der NS-Diktatur wie an den Holocaust zu erinnern, „damit diese nie in Vergessenheit geraten“. Die zahlreichen Demos in den vergangenen Monaten, die sich gegen Extremismus, Rassismus und Faschismus richteten, machten ihn sehr stolz. Er resümierte: „Wir müssen uns erinnern. Das sind wir diesen Menschen schuldig.“

Gisela Freier und Rainer Schulz erzählten die Geschichte der Familie Levano in Kommern. Von ihrem Beginn vor über 200 Jahren bis zu ihrem Ende durch das NS-Regime. Foto: Henri Grüger/pp/Agentur ProfiPress
Gisela Freier und Rainer Schulz erzählten die Geschichte der Familie Levano in Kommern. Von ihrem Beginn vor über 200 Jahren bis zu ihrem Ende durch das NS-Regime. Foto: Henri Grüger/pp/Agentur ProfiPress

Mit 19 Jahren nach England geflohen

Die Geschichte der Levanos in Kommern begann schon 1820, als Heymann und Elisabeth Levano eine Kerzenzieherei gründeten. Sie bekamen 13 Kinder, ihr Sohn Marcus übernahm den elterlichen Betrieb. Mit Berta Emsheimer bekam er sieben Kinder: Elvira, Hugo, Eduard, Flora, Paula, Arthur und Lilli, die als Kind starb. Als Marcus 1909 verstarb, übernahmen Eduard und Hugo die Firma. Ihre Schwester Elvira heiratete Gustav Kaufmann aus Kommern. Sie bekam zwei Töchter: Eva und Lilly. 1915 zogen sie nach Hostel, wo sie einen großen Bauernhof bewirtschafteten.

Auch sie erwischte das Novemberpogrom 1938, das die Wohngebäude des Hofes unbewohnbar machte. Landwirtschaftliche Geräte wurden zerstört und gestohlen, auch das Vieh nahmen die Angreifer mit. Daraufhin zogen die Beiden nach Köln, wo sie 1942 schließlich nach Chelmno deportiert und ermordet wurden. Ihre Töchter konnten 1939 nach England entkommen.

Auch der Mechernicher Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick betonte: „Wir müssen uns erinnern. Das sind wir diesen Menschen schuldig.“ Foto: Henri Grüger/pp/Agentur ProfiPress
Auch der Mechernicher Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick betonte: „Wir müssen uns erinnern. Das sind wir diesen Menschen schuldig.“ Foto: Henri Grüger/pp/Agentur ProfiPress

Auto-Pionierin wurde 105 Jahre alt

Gisela Freier von der Arbeitsgruppe kannte Lilly persönlich. Öfter besuchte Freier die alte Dame in London und telefonierte mit ihr. Lilly starb drei Wochen nach ihrem letzten Besuch im Jahre 2015. Zu ihrem 100. Geburtstag hatte die Arbeitsgruppe ihr ein Aquarell der Villa Levano geschenkt, wie sie auch ihren Kindheitstagen kannte. Dieses ist mit in die Infotafel eingeflossen.

Schon 1931, mit 21 Jahren, machte Lilly ihren Führerschein. In der Eifel schon eine kleine Sensation. Von ihrem Onkel Eduard bekam sie zu diesem Anlass ein Auto geschenkt: ein gelbes Cabrio der Marke Opel, das auch auf der Tafel verewigt wurde. Freier: „Was muss dieses Auto für ein Aufsehen erregt haben mit der jungen Frau mit Lederkappe und Lederhandschuhen am Steuer…“ Noch bis ins hohe Alter sei sie gerne Auto gefahren.

Sie war früher oft in der Villa, da sie auch dort nach der Schule ihre Ausbildung als Bürokauffrau begann und ihre Onkel und Tanten ihr hier ein liebevolles Zuhause schenkten. Bis ins hohe Alter schwärmte sie von dem riesigen Garten, den Rosen, schönen Sitzplätzen und den zahllosen Geranien, die die Fassade schmückten.

Auch ihr Onkel Arthur Levano wuchs in diesem Haus auf, kämpfte für Deutschland im Ersten Weltkrieg und führte ab 1920 ein großes Bekleidungsgeschäft in Hanau. Dieses wurde 1937 arisiert. Er kehrte nach Kommern zurück, floh 1939 nach England. Hier baute er ein neues Leben auf, heiratete und bekam seinen Sohn Adrian. Arthur starb 1960 in Birmingham, als einziges Kind von Marcus Levano, das den Holocaust überlebt hatte. Bis heute hält Adrian Levano Kontakt in die ehemalige Heimat seiner Familie und zur Arbeitsgruppe „Forschen-Gedenken-Handeln.“

Vertreter des DRK-Ortsbandes unter Sascha Suijkerland (3. v. l.) und der Verkehrsdirektion Mechernich der Landespolizeibehörde wohnten der Enthüllung ebenso bei. Foto: Henri Grüger/pp/Agentur ProfiPress
Vertreter des DRK-Ortsbandes unter Sascha Suijkerland (3. v. l.) und der Verkehrsdirektion Mechernich der Landespolizeibehörde wohnten der Enthüllung ebenso bei. Foto: Henri Grüger/pp/Agentur ProfiPress

Neue Stolpersteine, internationale Gäste

Am Sonntag, 5. Mai, werde man dann zwei Stolpersteine für Adrian Levanos Tante Elvira ihren Mann Gustav Kaufmann in Hostel verlegen. Hierzu kämen eigens rund 20 verwandte Gäste aus England und den USA angereist. „Darauf freuen wir uns schon sehr“, betonte Rainer Schulz. Natürlich hoffe man auch dann wieder auf zahlreiche interessierte Besucher.

Weitere Informationen rund um die Familie Levano und das grauenhafte Schicksal, das ihr das NS-Regime samt vielen Kommerner Bürgerinnen und Bürger auferlegten, finden sich ab sofort auf der neuen Infotafel. Um Aktionen wie diese möglich zu machen, bitte man weiterhin dringend um „Spenden gegen das Vergessen“. Hierzu können sich Interessierte per Mail bei Rainer Schulz unter zweirad-schulz-kommern@t-online.de melden.

pp/Agentur ProfiPress