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Ausgerechnet hier, 85 Jahre danach

Rund 150 Teilnehmer beteiligten sich am Gedenkgang für die Opfer von Verfolgung und Gewaltherrschaft durch Mechernich – Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Am Turmhof und der Gesamtschule gestalteten ebenso wie die evangelische und katholische Kirche Stationen auf dem Weg zum Dietrich-Bonhoeffer-Haus

Mechernich – Fünf Tücher liegen auf dem Boden vor dem Mechernicher Dietrich-Bonhoeffer-Haus. Darauf liegen Äste, an denen Papier-Blüten angeheftet sind. Es sind Mandelblüten, auf denen der Text eines jüdischen Autors gedruckt ist. Beides wird zum Abschluss des Gedenkgangs für die Opfer von Verfolgung und Gewaltherrschaft durch Mechernich eine besondere Rolle spielen. Doch der Reihe nach.

Die Lebenswege von Widerstandskämpfern gegen das Nazi-Regime und gegen Rassismus präsentierten die Schülerinnen und Schüler der Gesamtschule Mechernich vor der katholischen Kirche. Die Station war Teil des Gedenkgangs für die Opfer von Verfolgung und Gewaltherrschaft. Foto: Ronald Larmann/pp/Agentur ProfiPress
Die Lebenswege von Widerstandskämpfern gegen das Nazi-Regime und gegen Rassismus präsentierten die Schülerinnen und Schüler der Gesamtschule Mechernich vor der katholischen Kirche. Die Station war Teil des Gedenkgangs für die Opfer von Verfolgung und Gewaltherrschaft. Foto: Ronald Larmann/pp/Agentur ProfiPress

Treffpunkt an diesem Abend ist die Bahnstraße 49. In dem Haus lebte einst Andreas Girkens, ein Bäcker, der sich schützend vor seine jüdischen Nachbarn und Freunde stellte, als auch in Mechernich Häuser und Ladenlokale verwüstet und angezündet wurden. Der „Judenfreund“ bezahlte seine Zivilcourage später mit dem Leben.

Eine große Menschentraube hat sich vor dem Haus versammelt, um an die Reichspogromnacht zu erinnern, die sich vom 9. auf den 10. November 1938 ereignete. „Unser Gedenkgang ist allerdings keine nostalgische Veranstaltung“, sagte Mit-Organisator Franz Josef Kremer in seinen Begrüßungsworten: „Der Gedenkgang will an schlimme Zeiten erinnern, damit dieses sich nicht wiederholen. Er zeigt die Schrecken der Vergangenheit auf, damit sie nicht die Schrecken der Gegenwart werden können.“

Wieder in Angst

Anschließend sind vier Schülerinnen des Gymnasiums Am Turmhof an der Reihe. Gemeinsam mit ihrer Lehrerin Tanja Fenge haben Emily Eckert, Carolina Ulbricht, Yuli Chen und Estelle Drackey einen Text vorbereitet, der die Brücke schlägt von den Gräueltaten des Jahres 1938 zum Samstag, 7. Oktober 2023. An diesem Tag wurde Israel von der Hamas überfallen. „An keinem anderen Tag seit dem Holocaust wurden mehr Juden ermordet als am 7. Oktober und auch in Deutschland leben Jüdinnen und Juden wieder in Angst“, sagt Carolina Ulbricht.

Vor dem Haus von Andreas Girkens, einem Bäcker, der sich in der Pogromnacht schützend vor seine jüdischen Nachbarn und Freunde stellte, begrüßte Franz Josef Kremer die Teilnehmer des Gedenkgangs. Rechts neben ihm die Schülerinnen des Gymnasiums Am Turmhof, die die erste Station gestalteten.  Foto: Ronald Larmann/pp/Agentur ProfiPress
Vor dem Haus von Andreas Girkens, einem Bäcker, der sich in der Pogromnacht schützend vor seine jüdischen Nachbarn und Freunde stellte, begrüßte Franz Josef Kremer die Teilnehmer des Gedenkgangs. Rechts neben ihm die Schülerinnen des Gymnasiums Am Turmhof, die die erste Station gestalteten.  Foto: Ronald Larmann/pp/Agentur ProfiPress

Mit ihren Mitschülerinnen zählt sie auf, dass israelische Flaggen verbrannt wurden – in Leverkusen, in Köln und auch in Mechernich vor dem Rathaus. Es gab einen Brandanschlag auf eine Synagoge in Berlin. Auf Social Media gab es Aufrufe zum Antisemitismus. In Berlin und in Dortmund wurden jüdische Häuser mit Davidsternen markiert. Alle Aufzählungen kommentieren die vier Schülerinnen mit einem Satz, der unter die Haut geht: „Ausgerechnet in Deutschland, 85 Jahre danach.“

Anschließend ziehen die rund 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, darunter auch Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick, Dezernent Ralf Claßen und zahlreiche weitere Vertreter aus Verwaltung und Politik – zum Mechernicher Rathaus. Hier ergreift Franz Josef Kremer als Vertreter der katholischen Kirchengemeinde das Wort. Er hat Zitate mitgebracht – von Hitler, von Göbbels, von heutigen AfD-Politkern –, liest sie vor und lässt die Anwesenden raten, von wem der Ausspruch sein könnte.

Mandelblüten vor dem Dietrich-Bonhoeffer-Haus als hoffnungsvolle Botschaft, die der jüdische Schriftsteller Schalom Ben-Chorin während des Zweiten Weltkriegs zu Papier gebracht hatte: „Die Hoffnung ist nicht totzukriegen.“  Foto: Ronald Larmann/pp/Agentur ProfiPress
Mandelblüten vor dem Dietrich-Bonhoeffer-Haus als hoffnungsvolle Botschaft, die der jüdische Schriftsteller Schalom Ben-Chorin während des Zweiten Weltkriegs zu Papier gebracht hatte: „Die Hoffnung ist nicht totzukriegen.“  Foto: Ronald Larmann/pp/Agentur ProfiPress

Der hier etwa: „Eine … mit jedem Mittel der Verleumdung und einer wahrhaft balkenbiegenden Lügenvirtuosität arbeitende Tagespresse.“ Wer dachte, das Zitat stamme von AfD-Politiker Björn Höcke, lag falsch. „Adolf Hitler hat es gesagt“, so Franz-Josef Kremer, der die Zuhörer bedrückender Weise noch mehrfach in die Irre führen konnte, bevor der Gedenkgang weiterzog zur Kirche St. Johannes Baptist.

Zum Handeln bewegen

Dort übernahmen die Schülerinnen und Schüler der Gesamtschule das Mikrofon. Sie hatten ihrer Station gemeinsam mit Lehrerin Nelly Anton das Leitmotiv „Wissen ist nur dann etwas wert, wenn es auch zum Handeln bewegt“ gegeben. Das bezogen sie einerseits auf den Klimawandel, andererseits im übertragenen Sinn auf den klimatischen Wandel im gesellschaftlichen Diskurs.

Zudem präsentieren sie die Lebensbilder von mutigen Menschen, die sich gegen das Nazi-Regime gestellt hatten. So erinnerten sie an den mutigen Mechernicher Bäcker Andreas Girkens ebenso an Joseph Emonds, Priester aus Kirchheim, der viele Menschen vor Verhaftung und Verschleppung bewahren konnte. Die neun Schülerinnen und Schüler der Jahrgänge 8 und 10 erinnerten zudem an den evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer, der sich am Widerstand beteiligte und später im KZ Flossenbürg starb. Sie berichteten auch über Anne Frank und über die Aktivitäten von Sophie Scholl und der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“.

„Freunde, dass der Mandelzweig wieder blüht und treibt“, lautet das Lied mit dem Text von Schalom Ben-Chorin, das die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zum Ende des Gedankengangs gemeinsam sangen, begleitet von Pfarrerin Susanne Salentin auf der Gitarre.  Foto: Ronald Larmann/pp/Agentur ProfiPress
„Freunde, dass der Mandelzweig wieder blüht und treibt“, lautet das Lied mit dem Text von Schalom Ben-Chorin, das die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zum Ende des Gedankengangs gemeinsam sangen, begleitet von Pfarrerin Susanne Salentin auf der Gitarre.  Foto: Ronald Larmann/pp/Agentur ProfiPress

Zudem machten sie noch einen Exkurs zu Rosa Parks, einer Afroamerikanerin, die am 1. Dezember 1955 festgenommen wurde, weil sie sich geweigert hatte, ihren Sitzplatz im Bus für einen weißen Fahrgast zu räumen.

Anschließend verteilten sie Stifte und Steine und baten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die Kiesel mit einem Spruch, einem Gedanken oder einer Botschaft zu versehen. Die Steine sollten dann auf dem Weg zum Dietrich-Bonhoeffer-Haus ausgelegt werden, um diese Sprüche, Gedanken und Botschaften Menschen mitzugeben, die die Steine später einmal finden würden.

Dass die Liebe bleibt

Am Dietrich-Bonhoeffer-Haus angekommen, wartete eine Gruppe der evangelischen Kirchengemeinde um Pfarrerin Susanne Salentin auf die Teilnehmer des Gedenkgangs. Sie hatten dort die Zweige mit den Mandelblüten drapiert, auf denen der Text des Liedes „Freunde, dass der Mandelzweig wieder blüht und treibt“ stand.

Ein Text mit einer besonderen Bedeutung. Denn er stammt von dem jüdischen Schriftsteller Schalom Ben-Chorin, der 1913 als Friedrich Rosenthal in Deutschland geboren wurde. 1935 konnte er nach Israel fliehen, wo er sich Schalom Ben-Chorin nannte, was so viel bedeutet wie „Frieden, Sohn der Freiheit“.  

Vor dem Rathaus las Franz Josef Kremer von Nazi-Größen und AfD-Politikern vor und ließ die Teilnehmer raten, wer es gesagt haben könnte. Verwechslungen waren bedrückender Weise garantiert.  Foto: Ronald Larmann/pp/Agentur ProfiPress
Vor dem Rathaus las Franz Josef Kremer von Nazi-Größen und AfD-Politikern vor und ließ die Teilnehmer raten, wer es gesagt haben könnte. Verwechslungen waren bedrückender Weise garantiert.  Foto: Ronald Larmann/pp/Agentur ProfiPress

Mitten im zweiten Weltkrieg dichtete er die Zeilen „Freunde, dass der Mandelzweig wieder blüht und treibt, ist das nicht ein Fingerzeig, dass die Liebe bleibt?“ Inspiriert von dem Mandelbaum hinter seinem Haus. Später, so wird berichtet, sei dieser Baum gefällt worden, um Platten darüber zu legen. Doch eines Tages haben sich die Wurzeln des Baumes wieder den Weg durch die Platten gebahnt. Schalom Ben-Chorin soll dazu gesagt haben: „Die Hoffnung ist nicht totzukriegen“.  

Eine wunderbare Botschaft zum Ende dieses Gedenkgangs. Von Pfarrerin Susanne Salentin auf der Gitarre begleitet, wurde zudem das Lied gesunden, dass eben mit diesen schönen Zeilen endet: „Freunde, dass der Mandelzweig wieder blüht und treibt, ist das nicht ein Fingerzeig, dass die Liebe bleibt?“

pp/Agentur ProfiPress