„Miteinander sind wir stark!“
Kommerner Flutgottesdienst zum Jahrestag in der „St. Severinus“-Kirche voller Dankbarkeit, Solidarität und Gemeinschaft zu Ende gegangen – Chor, Orgel und Geige, Flutlied (Stephan Brings), Gebete, Erfahrungsberichte, Applaus und mehr
Mechernich-Kommern – In Kommern wurde der Flutkatastrophe am ersten Jahrestag mit einem „Flutgottesdienst“ gedacht. Die Veranstalter hatten für ein volles Rahmenprogramm gesorgt, so kamen unter anderem Helfer und Opfer zu Wort, die ergreifende Geschichten mit den Anwesenden teilten, Stephan Brings spielte sein Flutlied „1407“ und zusammen konnte man einen Abend der Solidarität, Gemeinschaft und Erinnerung erleben. Anschließend wurde zu einem Stehempfang im Pfarrheim geladen.
„Viele noch auf Hilfe angewiesen“
Der Gottesdienst begann mit einem Orgellied, gespielt vom Organisten Jörg Schreiner. In seiner anschließenden Eröffnungsansprache betonte der katholische Pfarrer Dr. Hans Fuhs: „Das Leben hat sich in nur einer Nacht für uns alle jäh geändert. Uns wurde die Sicherheit und vielen noch mehr genommen.“ Er verglich sie mit der biblischen Flut von Babylon, die Tod und Zerstörung brachte. „Dann kam die nächste Flut, aber diesmal eine der Hilfsbereitschaft, von überall aus der Region, ganz NRW und dem Bundesgebiet. So zeigte sich auf einmal eine unglaubliche Solidarität“, bemerkte Fuhs.
Weiter ging es mit der „Kyrie“. „Siehe, ein Mensch, im Elend, in Not, im Strudel! Ich helfe, so gut ich kann! Tue ich genug, tue ich das Richtige? Zur rechten Zeit, am rechten Ort?“, lautete dazu ein Textauszug. Der evangelische Pfarrer Dr. Michael Stöhr und Feuerwehrfrau Luka Lenz trugen vor, die Gottesdienstgemeinde sang.
Im Anschluss grüßte der Kommerner Ortsbürgermeister Rolf Jaeck die Zuhörerschaft, grüßte den Ersten Beigeordneten Thomas Hambach und den Stadtkämmerer und Dezernenten sowie Mechernich-Stiftungsvorsitzenden Ralf Claßen und den stellvertretenden Bürgermeister Günther Kornell sowie Achim Blindert, der stellvertretend für Landrat Markus Ramers vor Ort war. Jaeck: „Mein besonderer Dank geht an die Stadtverwaltung und die Mechernich-Stiftung, für ihre wertvolle Arbeit und Unterstützung!“
Er fuhr fort: „Es war ein Jahr voller Sorge, Trauer, Arbeit und Gedanken. Die Flut hat unser Leben verändert, viele sind finanziell oder mental noch auf Hilfe angewiesen.“ Er erinnerte an die unglaublichen, gemeinschaftlichen Leistungen und an die Flut von 2016, dankte er den vielen Hilfsorganisationen, die angepackt oder die Hilfskräfte mit Brötchen, Kaffee und mehr versorgt haben und wünschte ein herzliches „Glück Auf!“ zum Abschluss.
Dann folgte das „Nachtlied“ von Edward Elger, gespielt von Dr. Nicole Besse an der Geige und Jörg Schreiner an der Orgel.
„Seid euch selbst gegenüber barmherzig“
Der stellvertretende Bürgermeister Günther Kornell übernahm das Wort für den krankheitsbedingt ausgefallenen Mechernicher Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick. Nach der Begrüßung beschrieb er, wie das doch so heilbringe Wasser im „schlimmsten Hochwasser an Eifel und Ahr seit Menschengedenken“ plötzlich zum Unheil wurde. Er betonte, wie beeindruckt er von der Solidarität, Hilfsbereitschaft und dem Zusammenhalt aller Helfer war und dankte auch allen Spendern, die die Mechernich-Stiftung oder andere Institutionen unterstützt haben. Außerdem hoffe er, dass sich nun mehr Menschen Gedanken über Katastrophenvorsorge machten. Man dürfe die zerstörten Häuser, Erinnerungen und Lebensträume vieler Menschen nicht vergessen.
Dann sang der Dietrich-Bonhoeffer-Chor unter Leitung von Pascal Lucke das Lied „Leite uns Herr“ von Thomas Eger und hüllte die Kirche in andächtige Chorklänge, bevor Pfarrer Dr. Stöhr das Evangelium des Gottesdienstes, „Der barmherzige Samariter“ (Bibelwort Lukas 10, 25-37) vortrug und erklärte, dass jeder auf eine andere, persönliche Weise helfen kann und man auch seine persönlichen Grenzen akzeptieren muss: „Seid euch selbst gegenüber barmherzig, lasst nicht nach zu helfen und behaltet euren Elan!“
Bevor dann Retter und Opfer der Katastrophe zu Wort kamen, Luka Lenz, Ralf Claßen und Maria Jentgen, sang die Kirchengemeinde das Lied „Bewahre uns Gott.“
Ralf Claßen, der Vorsitzender der Mechernich-Stiftung ist, war als erster dran, dankte für die überwältigende Spendenbereitschaft nach der Katastrophe, dem restlichen Vorstand (Maria Jentgen, Volker Zart, Rita Gerdemann, Inge Eich, Dr. Michael Stöhr) für die vielen Orga-Sitzungen und Ortstermine, den Ortsbürgermeistern für ihren Einsatz, aber betonte auch, dass Hilfe auch weiterhin benötigt würde. Insgesamt konnte die Stiftung im Vorfeld über eine Million Euro an Betroffene im Stadtgebiet verteilen.
Er war auch selbst stark von der Flut betroffen: „Es ist lange her, doch die Angst bleibt.“ Auch er habe ganz neue Solidarität und das „Wir-Gefühl“ in seiner Nachbarschaft in Gemünd erlebt. Er dankte allen Hilfsorganisationen, Helfern und den Planern des Gottesdienstes, und wünschte ein ebenso herzliches „Glück Auf!“
Eine junge Heldin erzählte
Einer der ergreifendsten Momente des Abends: Die freiwillige Feuerwehrfrau Luka Lenz (19), seit kurzem erst aus der Jugendfeuerwehr Kommern in die aktive Feuerwehr gewechselt, war in der Flutnacht im Dauereinsatz und sprach stellvertretend für alle Kommerner Helfer: „Wir waren zwar vorgewarnt, doch dieses Ausmaß konnte sich niemand vorstellen.“ Sie beschrieb, wie die Feuerwehr vorsorglich den Mühlensee abpumpte und sie schon im Laufe des Tages immer mehr Notrufe ereilten. „In den Augen vieler meiner Kollegen konnte ich schnell die Hoffnungslosigkeit erkennen, als das Wasser in unserem Gerätehaus schon bis zur Hüfte hoch stand. Ihnen lag noch die Flut von 2016 in den Knochen und sie wussten schon, dass es keine wirkliche Hoffnung mehr gab, irgendwas zu retten.“
Dann beschrieb sie, wie alles plötzlich einem Katastrophengebiet glich und sie in all dem Wirrwarr von vermissten Kameraden und Kindern erfuhren, die zum Glück wieder auftauchten. Sie beschrieb, wie ihr Feuerwehrauto in den Fluten nichtmehr voran kam, ihre unbeschreibliche Angst, als das Leben ihrer Kameraden in ihren Händen lag, obwohl die Truppe den Grundlehrgang nicht einmal komplett abgeschlossen hatte und den Schmerz dabei, Erinnerungen und Existenzen, wie kaputte und verschlammte Fotos, in den Müll zu werfen.
Sie zitierte ihren Kollegen: „Man funktionierte“, erzählte von dem Gefühl, nicht genug helfen zu können und auch im Nachhinein keine wirkliche Ruhe zu finden. Doch schlussendlich betonte sie, dass diese Nacht ihr gezeigt habe, was der Sinn dahinter ist, Feuerwehrfrau zu sein und wie stolz sie sei, ein Teil dieses Teams zu sein. Augenblicklich brach die gesamte Kirche in tosenden Applaus aus und man spürte, dass sie die Menschen wirklich erreicht und bewegt hatte.
Die dritte Rednerin im Bunde, Maria Jentgen, leitet das „Kriseninterventionsteam“ des Rotkreuz-Kreisverbandes Euskirchen und war als Helferin zu Wort gekommen: „Wir sind zu den Leuten hingefahren, haben geholfen, wo es ging und waren einfach da, wo Worte fehlten.“
Mer verjesse nie d´r veezehnte Juli
Anschließend trat Promigast Stephan Brings, von der gleichnamigen Kölschrock-Band „Brings“, mit seinem Flutsong „1407“ und Gitarre, gemeinsam mit dem Mechernicher Kirchenmusiker Erik Arndt am Klavier, auf und berührte die Menschen spürbar. „Ich schwör Dir, mer verjesse nie d´r veezehnte Juli“ war das Motto und auch er sang „wenn et rähnt, bliev ich wach“ – wie so viele nach der Katastrophe. Brings betonte im Anschluss, dass die emotionale Ansprache von Luka Lenz auch ihn tief ergriffen hätte und dankte, wie Lenz, zum Abschluss allen Helfern und Spendern während und nach der Katastrophe.
Maria Jentgen und Rita Gerdemann hatten im Anschluss Fürbitten vorbereitet, in denen sie die Ereignisse der Flutnacht, ihre Gefühle und Dankbarkeit zum Ausdruck brachten, bevor das Vaterunser gebetet, der Segen durch die Pfarrer gegeben und der Gottesdienst mit dem „Abendlied“ von Joseph Rheinberger, gespielt von Dr. Besse und Schreiner, (fast) ein Ende fand. Ortsbürgermeister Rolf Jaeck betonte zum Abschluss: „Herzlichen Dank an euch alle und denkt daran: Miteinander sind wir stark, alleine nicht!“
Nach dem Gottesdienst wurde noch zum Stehempfang im Kommerner Pfarrrheim, wo es frische Brötchen und Getränke gab und die Gäste und Veranstalter den Abend in Ruhe und Andacht ausklingen lassen konnten.
pp/Agentur ProfiPress