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300 Jahre Neuhütte

Förderverein, Dokumentationsstätte und jetzt auch noch ein Buch zur Geschichte der Eisenindustrie und der Werkzeugmaschinenproduktion im Feytal – 114 Seiten geballtes Wissen für 20 Euro, erstmals angeboten auf der Vussemer 800-Jahr-Feier am Samstag, 11. Juni

Mechernich-Vussem – „Nur wer die Vergangenheit kennt, kann Geschichte verstehen und die Zukunft gestalten“: Mit diesem Zitat des Sozialisten August Bebel beginnt der Christdemokrat Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick sein Vorwort in jenem Buch, das die Dörries-Veteranen Wilhelm Mausbach und Hans Josef Schmitt zum 300. Jahrestag des Industriestandortes „Neuhütte“ in Vussem herausbringen.

Zur Blüte ein Blick ins Vussemer Feytal mit den Betriebsanlagen von Dörries. Repro: Wilhelm Mausbach/pp/Agentur ProfiPress

Die beiden Männer, die seit über 25 Jahren für eine Entschädigung der zuletzt 300 Beschäftigten im Werkzeug- und Maschinenbau der Dörries-Scharmann AG kämpfen, wollen ihre 114-seitige reich bebilderte Abhandlung am Samstag, 11. Juni, ab 13 Uhr auf der großen 800-Jahr-Feier von Vussem vorstellen und für 20 Euro zum Verkauf anbieten, die Ortsbürgermeister Carsten Vogel plant.

Die Führungsriege des Vereins zur Förderung und Erhaltung der Werkzeugschienenbautradition in der Eifel e.V. mit (v. l.) Wilhelm Mausbach, Kurt Rosarius, Hans Josef Schmitt, Franz Harperscheidt und Herwig Dohmen. Hans Josef Schmitt ist Vorsitzender. Foto: Kirsten Röder/pp/Agentur ProfiPress

Schmitt und Mausbach gehören zum Führungskreis des Vereins zur Förderung und Erhaltung der Werkzeugschienenbautradition in der Eifel e.V., dem bis zu seinem Tode kürzlich auch der bekannte Vussemer Heimatforscher Albert Velser angehörte. Außerdem gehören die ehemaligen Dörries-Mitarbeiter Herwig Dohmen, Karl-Josef Mauel, Kurt Rosarius und Franz Harperscheidt zum Vorstand.

Schon 25 Jahre ohne Abfindung

Der Verein geht auf die 1996 im Zuge des Niedergangs der Bremer Vulkanwerft Konkurs gegangene Dörries-Scharmann AG zurück. Sein Kapital ist die frühere Belegschaftskasse. Der 72 Mitglieder zählende Zusammenschluss ehemaliger Mitarbeiter kämpft bis heute vor den Gerichten und 2021 auch vor dem nordrhein-westfälischen Petitionsausschuss für die Ansprüche der Belegschaft von 1996.

Der Verein hatte nach dem Konkurs zunächst die Lehrlingsausbildung der Dörries-Nachfolgefirmen EDM und MFT in Vussem gesponsert. Auch wurde eine historische Forschungsarbeit zum Industriestandort Vussem-Neuhütte davon in Auftrag gegeben und bezahlt, die den Grundstock für ein kleines Museum, das „Dokumentationszentrum zur Geschichte der Neuhütte“ im früheren Dörries-Verwaltungstrakt in Vussem schuf.

1970 in der Gießerei von Dörries. Repo: Wilhelm Mausbach/pp/Agentur ProfiPress

Man kann eine Besichtigung mit sachkundiger Führung bei Autor und Maschinenbauingenieur Wilhelm Mausbach unter Tel. (0 22 56) 32 62 oder E-Mail w.m.mausbach@t-online.de vereinbaren. Die Historikerin Gabriele Emrich hat eine hundertseitige Expertise von den Anfängen der Vussemer Eisenindustrie 1722 bis zum Antritt von Dörries 1954 erstellt.

Die Dörries-Firmengeschichte und die 300-jährige Historie des Industriestandortes Neuhütte sowie des Eisenerzabbaus und der Verhüttung von Eisenerz in Eiserfey hat Wilhelm Mausbach ausgearbeitet.

Ein Erzklumpen von Fußballgröße in den Händen von Kurt Rosarius und ein zigarettenschachtelgroßes Stück Eisen zwischen den Fingern von Wilhelm Mausbach veranschaulichen den im Vergleich zu heute doch sehr geringen Eisengehalt des Eiserfeyer Vorkommens. Foto: Kirsten Röder/pp/Agentur ProfiPress

Basis des 300-jährigen Jubiläums 2022 ist das Originaldokument der Hüttenkonzession vom 24. Januar 1722, das die Fördervereinsmitglieder heute in Händen halten. Sie erging an den Grafen Franz Georg von Manderscheid-Blankenheim für Johann Diedrich Rodscheidt aus Gemünd zur Errichtung einer Eisenhütte und Eisenschneidmühle. Eine noch ältere Vorgängerhütte ist im Vussemer Weistum aus dem Jahre 1593 verzeichnet.

Der Ingenieur Wilhelm Mausbach und seine Gefährten im Förderverein ließen über Jahre eine 300-seitige Dokumentation im Museum Vussem entstehen. Das Wichtigste daraus hat Wilhelm Mausbach jetzt in seinem 114-seitigen Buch im Selbstverlag zusammengestellt, das die Druckerei Köhring in Bergheim für den Förderverein hergestellt hat.

Johann Diedrich Rodscheidt fing an

Schon lange vor dem früheren Baumaschinenkonzern Dörries-Scharmann wurde in Vussem-Neuhütte Eisen verhüttet und gegossen, mindestens seit 300 Jahren, wie die Museums- und Fördervereinsaktivisten Hans Josef Schmitt und Wilhelm Mausbach im Gespräch mit dem Mechernicher Bürgerbrief betonten.

Den Anfang machte im Januar 1722 der Gemünder Reit- und Hüttenmeister Johann Diedrich Rodscheidt, der erste Hochöfen und Auffrischöfen an Vey- und Hüttenbach betrieb. Die französisch-stämmige Familie Nikolaus Josef Depiereux aus Kohlscheid machte Vussem nach dem Hüttensterben Mitte des 19. Jahrhunderts wieder flott und goss in Neuhütte so ziemlich alles aus Eisen, was man in Haus, Hof und Landwirtschaft brauchte: Ackerwalzen und Radnaben, Viehkessel, Waffeleisen, Ofenroste und Feuertöpfe.

Stammbaum der Firmengeschichte am Standort Neuhütte. Grafik: Wilhelm Mausbach/Repro Kirsten Röder/pp/Agentur ProfiPress

1881 wurde die Gießerei von den Brüdern Hubert, Valentin, Heinrich und Peter Girards übernommen und bald von Peter Girards allein weitergeführt. Aber erst dessen Ehefrau Magdalena Girards machte nach dem Tod ihres Mannes 1918 daraus eine Bohrmaschinenfabrik. Diese bestand bis 1954, zwischenzeitlich weitergeführt von Magdalena Girards Sohn Peter Girards Junior.

1954 machte die Firma Girards dann Konkurs und der Standort wurde, mitsamt der übrig gebliebenen Maschinen von der Maschinenbaufirma Dörries AG übernommen. Dazu gehörte auch die noch immer funktionstüchtige „Girards“-Bohrmaschine, die heute im Vussemer Museum neben zahlreichen Fotos, Zeichnungen, Modellen und Original-Exponaten ausgestellt ist.

Wilhelm Mausbach (l.) und Hans Josef Schmitt vor einer Fotowand des kleinen Vussemer Industriemuseums. Foto: Kirsten Röder/pp/Agentur ProfiPress

Es war der Anfang einer Erfolgsgeschichte: In den nächsten 45 Jahren entwickelte sich Dörries zu einem Qualitäts-Maschinenbauer von Weltrang. Bis zu 300 Mitarbeiter waren am Standort Neuhütte beschäftigt. Das kleine Museum zeigt die gesamte Geschichte des kleinen, aber bedeutenden Industriestandorts Vussem-Neuhütte.

1500 verschiedene Maschinen entwickelt

1500 individuell entwickelte und konstruierte Werkzeugmaschinen verließen das Vussemer Werk im Laufe der Jahre und wurden in aller Welt in Betrieb genommen. „Die meisten davon laufen noch immer“, so Ingenieur Mausbach, zum Teil wurden sie auch in der Fertigung geheimer Anlagen eingesetzt…

Die Kolosse von Werkzeugmaschinen made in Vussem mit einem Gewicht von bis zu 600 Tonnen vermochten den Bruchteil eines Haardurchmessers genau zu fräsen, so Ex-Dörries-Ingenieur Wilhelm Mausbach.

Aus der umfangreichen Dokumentensammlung des Museums in der früheren Dörries-Verwaltung in Vussem, Dörriesstraße 2. Repro: Wilhelm Mausbach/pp/Agentur ProfiPress

In seinem Buch hat er auch dem Eiserfeyer Erzstollen, der noch immer von der Hauserbachstraße aus zu begehen ist, breiten Platz eingeräumt. 3000 Kubikmeter Eisenerz wurden dort herausgeholt und zu Eisen geschmolzen.

Ein Erzklumpen von Fußballgröße und ein zigarettenschachtelgroßes Stück Eisen veranschaulichen den, im Vergleich zu heute, doch sehr geringen Eisengehalt des Eiserfeyer Vorkommens. Mausbach: „Heute werden Erze mit 70 Prozent Eisengehalt verhüttet, damals waren es unter 13 Prozent…“

„In unserer Stadt spielte der Bergbau eine zentrale Rolle“, schreibt der Bürgermeister in seinem eingangs erwähnten Grußwort: „Er hat die Menschen und ihr Leben über Jahrhunderte geprägt.“ Abbau, Verhüttung und die Weiterverarbeitung, insbesondere das Schmieden von Eisen, hätten im Veytal eine lange Tradition, so Dr. Schick: „Bereits Anfang des 14. Jahrhunderts wurden die ersten Hütten gegründet.“

Kurt Rosarius mit Bohrspänen früherer in Vussem hergestellter Werkzeugmaschinen. Foto: Kirsten Röder/pp/Agentur ProfiPress

Denn alle Standortvoraussetzungen waren erfüllt. Neben abbauwürdigen Eisenerzvorkommen im Boden waren die Buchenwälder zur Holzkohleherstellung und das Wasser des Veybachs und seiner Zuflüsse zum Antrieb der Hammerwerke vor Ort vorhanden. Der Name „Neuhütte“ taucht ab Beginn des 18. Jahrhunderts auf.

„Zum 300. Jahrestag der Ersterwähnung des Industriestandortes Vussem haben die Autoren Willi Mausbach und Hans Josef Schmitt das vorliegende Buch herausgebracht. Sie haben es ihrem verstorbenen Freund, dem langjährigen Vorsitzenden des Vussemer Geschichtsvereines, Albert Velser, gewidmet“, so Schick.

Carsten Vogel plant 800-Jahr-Feier

Albert Velser hat auch die Chronik von Vussem 1890-1990 geschrieben, die ebenfalls auf der 800-Jahr-Feier zum Kauf angeboten werden soll, so Ortsbürgermeister Carsten Vogel. Und zwar aktualisiert um die jüngere Geschichte bis 2015 von Albert Velser und Helmut Mehren.

Ingenieur Wilhelm Mausbach (vorne) mit einer Eisenerzanalyse des Eiserfeyer Stollens, im Hintergrund Kurt Rosarius. Foto: Kirsten Röder/pp/Agentur ProfiPress

Angefangen habe die Eisenindustrie in Vussem als Handwerk. „Da ist noch mit Hand und Pferd und Wasserrad gearbeitet worden“, so Hans Josef Schmitt. Man brauchte verstärkte Luftzufuhr in den Hochöfen, um eine höhere Schmelztemperatur zu erreichen. Entsprechende Ventilatoren wurden mit Wasserkraft betrieben, später von Dampfmaschinen, deren Erfindung in Kombination mit der Entdeckung unerschöpflicher Steinkohlenflöze im Ruhrgebiet zum Aus der Eifeler Hütten führte.

Wilhelm Mausbach verfügt über detaillierte Stammbäume der Unternehmen, die am Standort Neuhütte wirkten, bis 1850 Diedrich Rodscheidt und Nachfahren bis 1785, Carl Henseler und Nachfahren bis 1840, Heinrich Wilhelm Schruff und Ernst Theodor Fingerhut aus Eiserfey und Franz Schmitz von der Burg Heistert. Danach Graugussgießerei von 1855 bis 1979 unter Depiereux, Girards, Pokorny & Wittekind und Dörries.

pp/Agentur ProfiPress