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Stolperstein für Mitschüler Edgar

Stolperstein für Mitschüler Edgar
Künstler Gunter Demnig verlegte in Mechernich und Strempt sechs neue Stolpersteine – Mechernicher Hauptschüler gestalteten bewegende Gedenkstunde
Mechernich – Der Frechener Künstler Gunter Demnig hat erneut in Mechernich und zum ersten Mal auch in Strempt sechs weitere Exemplare seiner so genannten “Stolpersteine” verlegt. Anschließend versammelten sich die Teilnehmer zu einer Gedenkstunde im Strempter Pfarrheim. Dort erinnerten die Schüler der Hauptschule Mechernich in bewegenden Texten an die jüdischen Familien Cohn aus Mechernich und Nathan aus Strempt, zu deren Gedenken die Stolpersteine verlegt wurden: In Mechernich an der Ecke Heerstraße 1/Weierstraße, wo die vierköpfige Familie Cohn zuletzt mit ihren Kindern Edgar und Helga gelebt hat sowie in Strempt am Haus Rochusweg 14, von wo aus das Ehepaar Nathan deportiert wurde. Ihren fünf Kindern und deren Ehepartnern war es rechtzeitig gelungen, Nazideutschland zu verlassen, die Eltern hingegen wollten Strempt nicht verlassen.
Mit großem persönlichem Einsatz recherchierten die Mechernicher Hauptschüler die Geschichte der beiden jüdischen Familien. Sie gehören der Arbeitsgemeinschaft “Forschen – Entdecken – Erinnern” unter der Leitung von Lehrerin Gisela Freier an und engagieren sich in ihrer Freizeit dafür, das Wissen über die jüdischen Familien Mechernichs ständig zu erweitern.
Den Anstoß zur jüngsten Stolpersteinverlegung hatte vor zwei Jahren der Mechernicher Karl-Heinz Vossel gegeben. Mit zwei alten Klassenfotos, auf denen drei ehemalige jüdische Mitschüler von ihm zu sehen waren, hatte er die Schüler besucht. “Er erzählte, dass er jetzt, im Alter, immer häufiger an sie denken müsse, aber nicht wisse, was wirklich mit ihnen geschehen ist”, berichtete Gisela Freier während der Gedenkstunde im Strempter Pfarrheim. Er habe den großen Wunsch gehabt, die Namen seiner jüdischen Mitschüler durch die Stolpersteine sichtbar zu machen. Dass dieser nun in Erfüllung ging, erlebte er nicht mehr mit. Freier: “Leider ist Herr Vossel in der Zwischenzeit verstorben.”
Wie die Schüler herausgefunden hatten, wurden der Kaufmann Albert Cohn und seine Familie schon sehr früh von den Mechernicher Nazis traktiert. Am 17. Juli 1934 berichtete der “Westdeutsche Beobachter”, dass sich abends eine große Menge Mechernicher zusammengerottet hätten, um zum Haus von Albert Cohn in der Heerstr. 1 zu ziehen. Man versuchte mit allen möglichen Schikanen, ihn und seine Familie aus der Stadt zu ekeln.
Ein Zeitzeuge ist auch Helmut Weber, ehemaliger Geschäftsführer der Communio in Christo, der aus gesundheitlichen Gründen nicht an der Stolpersteinverlegung teilnehmen konnte, sich aber noch gut daran erinnert, wie sein Mitschüler Edgar Cohn aus der Klasse geholt wurde: “Während des Unterrichts ging die Tür auf und ein SA-Mann aus Vussem in Uniform kam grußlos herein. Er guckte sich um, ging, ohne etwas zu sagen, auf Edgar Cohn zu. Er packte ihn am Arm, zog ihn hoch und zerrte ihn aus der Klasse.” Seine Mitschüler haben ihn nie wieder gesehen. Edgar und seine Schwester Helga waren zwölf und acht Jahre alt, als die Familie nach Lodz deportiert wurde.
Die Stolpersteine für das Strempter Ehepaar Nathan waren Schülerin Luca Starke ein wichtiges Anliegen. Gisela Freier: “In vielen Gesprächen hat sie immer wieder gesagt, dass man auch in den kleinen Orten an die jüdischen Familien erinnern müsse. Die Auslöschung jüdischen Lebens fand nicht nur in den Städten, weit weg von uns statt. Sie fand auch hier bei uns in den kleinen Orten statt. Bis heute gibt es hier keinen einzigen Menschen jüdischen Glaubens.”
Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick zog in seiner Ansprache Parallelen zur heutigen Zeit. “Auch heute noch werden Menschen aus der Gesellschaft ausgegrenzt, zum Beispiel Menschen mit Migrationshintergrund, die in ihren Ländern verfolgt werden und hier eine neue Heimat zu finden glauben.”
Anschließend begrüßte Gisela Freier mit Raphaela Kehren eine Kollegin der Realschule Blankenheim, die einige Passagen aus ihrem Buch “Zwei rostbraune Zöpfe” vorlas. Darin schreibt sie über das jüdische Mädchen Lili Hirsch, dessen Leben im Konzentrationslager Auschwitz endete. Kehrens Recherchen führten sie bis nach Israel zu Lilis Bruder Izak Hirsch, der ihr die Geschichte seiner Familie erzählt hat.
Erich Nathan, der jüngste Sohn von Johanna und Sigmund Nathan, habe am Schluss seiner Lebenserinnerungen gesagt: “Ich kann verzeihen, aber nicht vergessen”, berichtete Gisela Freier und führte fort: “Er zeigt uns mit seinen Worten unsere Aufgabe. Das Gedenken ist nämlich nicht nur eine gesellschaftliche Aufgabe auf höherer Ebene, sondern geht uns alle an.”
pp/Agentur ProfiPress

Manfred Lang

28.10.2011