Aktuelles

ProfiPress

Agentur für Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit, journalistische und redaktionelle Dienstleistungen.

Nachrichten

Fünf weitere Stolpersteine verlegt

Fünf weitere Stolpersteine verlegt
Schüler der Mechernicher Hauptschule erinnerten in einer kleinen Feierstunde an fünf Kommerner Bürger, die von den Nazis deportiert und anschließend ermordet wurden
Mechernich – Es gehört zu den sehr seltenen Augenblicken, wenn der Kölner Künstler Gunter Demnig bei der Verlegung von Stolpersteinen selbst das Wort ergreift. Am Donnerstag im Haus an der Kölner Straße 86, dem einstigen Bürohaus der Getreidehandlungsfirma Markus Levano, das heute von dem FDP-Fraktionschef Árpád Konovaloff und seiner Frau bewohnt wird, war ein solch seltener Moment gekommen. “Ich freue mich, wieder hier in Kommern zu sein”, sagte er. Seine Stolpersteine, die an deportierte jüdische Mitbürger erinnern, nannte er “ein Geschenk der Bürger an die Kommune.” Demnig berichtete, dass er bislang 22 000 Stolpersteine verlegt habe. Noch am Morgen war er in Grevenbroich gewesen, der 525. Kommunen, die bei dieser Aktion bislang mitgemacht hat. Doch Demnig hat auch schon Steine in Österreich, Ungarn, Tschechien, Polen und Frankreich verlegt und wird im nächsten Jahr Steine in Norwegen und Dänemark in das Straßenpflaster einlassen.
“Ich freue mich besonders über das Interesse der Jugendlichen hier in Mechernich”, sagte er. Und damit meinte er vor allem die Schüler der Mechernicher Hauptschule, die gemeinsam mit ihrer Lehrerin Gisela Freier schon bei zahlreichen Stolperstein-Verlegungen dabei waren und die unermüdlich die Geschichte der Mechernicher und Kommerner Juden erforschen. “Gerade, wenn die jungen Leute sich intensiv mit der Geschichte einer Familie befassen, Deportationsakten einsehen oder Abschiedsbriefe lesen, wenn sie sehen, dass die Deportierten vielleicht im selben Alter waren wie sie es jetzt sind, dann können sie etwas von diesem unvorstellbaren Geschehen begreifen”, so Demnig.
Während einer kleinen Feierstunde in der Kölner Straße 86, zu der die Familie Konovaloff geladen hatte und zu der neben Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick und sein Stellvertreter Robert Ohlerth weitere zahlreiche Gäste gekommen waren, präsentierten die Schüler anschließend, was sie über die fünf deportierten Kommerner Mitbürger, für die an diesem Tag die Steine verlegt wurden, herausgefunden hatten.
Im einstigen Bürohaus der Levanos an der Kölner Straße saßen einst jüdische und nichtjüdische Angestellte bei der Arbeit zusammen. Eduard Levano und sein Bruder Hugo leiteten die Firma. Wie groß der Sitz der Unternehmerfamilie einst war, daran konnte sich Zeitzeugin Christine Hiller noch erinnern, die den Gästen eine einige hundert Meter weit entfernte alte Grenzmauer zeigte.
“Wir wollen zeigen, dass die jüdischen Opfer einst ein Leben hatten in ihren Ortsgemeinden, in Nachbarschaften, Vereinen und Schulen”, so Gisela Freier. Neben den Opfern aus der Familie Levano wurde auch für Henriette Steinhardt und ihren Sohn Sigmund ein Stolperstein gesetzt. Sich an Letztere zu erinnern, dies war ein ausdrücklicher Wunsch von Maria Klee, die die beiden noch gekannt hat. Bereits vor eineinhalb Jahren hatte Maria Klee den Schülern den einstigen Synagogen-Leuchter mit in die Schule gebracht, den sie aus dem Resten der Synagoge gerettet und bewahrt hatte. Heute ist der Leuchter bei Emmy Golding in London.
Häftlingsnummer lautete 013079
Die Schüler der 8c berichteten, dass Henriette Steinhardt 1876 im großen “Kaufmannshaus” in Kommern geboren wurde. Sie war eine Tochter von Isaac Kaufmann und somit eine Tante von Emmy Golding und Lilly Clyne, die bei den Levanos arbeitete. 1914 heiratete sie Max Steinhardt aus Mönchen-Gladbach. Die Schüler fanden heraus, dass die beiden nach der Hochzeit in Kommern zunächst in Mönchen-Gladbach lebten, wo sie eine Metzgerei betrieben. Nach dem frühen Tod ihres Mannes kam sie dann mit ihrem Sohn Sigmund Ende der 20er Jahre zurück nach Kommern. Dort war sie Hausmeisterin in der Synagoge und im Gemeindezentrum. Mit ihrem Sohn wohnte sie in dem Haus neben der Synagoge. Am 16. Juni 1942 wurde sie von dort aus nach Theresienstadt deportiert und dort ermordet. “Ihr Sohn Sigmund (geb. 1915) wurde in der Pogromnacht 1938 in Herzogenrath verhaftet, ins Lager Niederbardenberg gebracht und von dort aus ins KZ Sachsenhausen verschleppt. Seine Häftlingsnummer lautete 013079. Er wurde am 16. Dezember 1938 aus Sachsenhausen nach Kommern entlassen. Die Gedenkstätte Sachsenhausen hat uns diese Angaben geschickt”, berichtete eine der Schülerin.
Doch die Schüler fanden noch mehr heraus: Sigmund schlug sich nämlich zunächst als Knecht auf den Bauernhöfen in Kommern durch. “Er war in dem letzten Zug, der mit Juden aus der ganzen Eifel am 24. Juli 1942 von Köln nach Minsk fuhr. Dort wurde er, wie alle anderen, am 24. Juli 1942 an den Massengräbern von Maly Trostenez erschossen. Er wurde nur 27 Jahre alt.”
Die Stolpersteine für die Familie Levano wurden auf persönlichen Wunsch von Familien aus Kommern gesetzt. Hugo Levano wurde 1884 geboren, seine Schwester Flora 1886 und seine Schwester Paula 1887. Sie waren die Kinder von Markus Levano und seiner Frau Bertha, geborene Emsheimer. Minutiös hatten die Schüler herausgefunden, was mit den drei unverheirateten Geschwistern geschehen war. Bis zur Reichspogromnacht lebten sie im großen Haus an der Kölner Straße. Da das Haus danach unbewohnbar war, zogen sie in eine Pension nach Köln-Lindenthal, von dort in die Wörtherstraße nach Köln, wo sie bis zu ihrer Deportation lebten. “Am 22. Oktober wurden sie nach Lodz deportiert, wo sie ermordet wurden”, so eine weitere Schülerin. Obwohl Flora und Paula eine Ausreisegenehmigung nach England hatten, blieben sie bei ihrem Bruder, der es nicht über sich bringen konnte, Deutschland und seine Heimat Kommern zu verlassen. “Er wollte nirgendwo anders leben, er war mit Leib und Seele Deutscher. So gingen Flora und Paula mit ihm in den Tod”, berichteten die Schüler den bewegten Gästen.
Anschließend wurden die neuen Stolpersteine besucht, die Demnig an diesem Tag gesetzt hatte. “Jeder, der einen solchen Stein betrachten will, muss sich dazu verneigen”, so der Künstler, der jedes Jahr mehrere Morddrohungen erhält, über eine der zahlreichen Intentionen seiner Stolpersteine.
pp/Agentur ProfiPress

Manfred Lang

15.12.2009