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“Brabbeln” für die armen Seelen

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“Brabbeln” für die armen Seelen
In Lorbach halten Junggesellen eine jahrhundertealte Tradition aufrecht – Schnaps und “Taat”
Der Erlös des Heischegangs wird für die Unterhaltung der Kapelle verwendet.
Mechernich-Lorbach – “Wer Flahs plöcke well, moss fröh oppstohn. Wer de Jungfraue freije wöllt, daasch nett schloofe john . . .”, murmeln die Burschen, die da vor dem Haus stehen, im Leierton vor sich hin. Im Mechernicher Höhenort Lorbach schlagen allerdings nur Neuzugezogene vor Schreck die Türe zu. Denn das Allerseelen-Brabbeln hat im Dorf eine lange Tradition. “Ein uralter Brauch”, so Ortsvorsteher Manfred Kreuser, der selbst schon als Jugendlicher mitzog und das Gebet noch immer auswendig kann, das die Jungen seit Jahrhunderten beim Heischegang durchs Dorf aufsagen.
Für Kerzen gesammelt
Obwohl etliche Junggesellen heute das Eifeler Platt als Umgangssprache gar nicht mehr beherrschen, kennen sie das alte Allerseelengebet “Zöm Trueste de ärme Siejele em Fechfüer”. Zum Troste der armen Seele im Fegefeuer wurde früher für Kerzen gesammelt, die in der Kirche aufgestellt wurden, wie es im gebrabbelten Text noch heute heißt: “En de Kerech solle se brenne sto. De Keaze stohn op de Bröck on lüete en de Baach – mir john dörech de janze Faar.”
Später wurden vom eingesammelten Geld keine Kerzen mehr gekauft, sondern Totenämter beim Pfarrer bestellt. Der Erlös des Brabbelgangs dient auch im 21. Jahrhundert noch kirchlichen Zwecken, so Manfred Kreuser: “Da kommen immer ein paar hundert Euro für unsere Dorfkapelle zusammen, die die Bürger selbst gebaut haben und unterhalten.”
Aber auch die Junggesellen gehen auf ihrem Heischegang durchs rund 350 Einwohner zählende Lorbach nicht leer aus: Sie werden unterwegs reichlich beköstigt. Es gibt “Taat” und Schnittchen, zuweilen ein Schnäpschen oder ein Glas Bier. Und nicht nur die Stimmen der “Brabbeler” haben an Sicherheit eingebüßt, wenn die Junggesellen gegen 23 Uhr ins Dorfgemeinschaftshaus zurückkehren.
Im Nachbarort Kallmuth wird eine ähnliche Tradition hochgehalten, nämlich das “Allersiele-Sönge” (Allerseelen-Singen). Heimatforscher Karl Guthausen, lange Zeit Lehrer im Dorf, hatte diesen Brauch bekannt gemacht. Der Landschaftsverband Rheinland drehte schon in den 50er Jahren einen Dokumentarfilm, um das Allerseelen-Singen für die Nachwelt festzuhalten. Während die Junggesellen im Pfarrdorf Kallmuth, zu dem auch Lorbach gehört, beim Rundgang von Haus zu Haus tatsächlich singen, wird es in Lorbach “gebrabbelt”.
Und das darf man wörtlich nehmen, denn der Sinn der Worte erschließt sich dem Zuhörer beim unverständlichen Sprechen der Junggesellen keineswegs. Allenfalls einzelne Brocken kann man verstehen. Und das ist auch gut so, denn im Lorbacher Brabbeltext geht es keineswegs nur fromm und züchtig zu. Am Schluss des “Gebrabbels” wird deutlich, worum es bei dem alten Brauch letztlich geht: Nämlich um die vielerorts in der Eifel stark ausgeprägte Solidarität der Lebenden mit den Verstorbenen. Denn am Ende erinnert das Gebet daran, dass jeder einmal aus dem einen Lager ins andere wechseln muss: “Die Jabe, die Ihr oss jött, jeht üch seleve ahn. Dat ös dä Wäesch zom iewije Lövve, do ös keene Zwiefel dran, do ös keene Zwiefel dran.” (ksta)

Manfred Lang

08.11.2006