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Aus der Gemeinschaft gerissen

Aus der Gemeinschaft gerissen
Schüler der Mechernicher Hauptschule bereiten mit ihrer Lehrerin Gisela Freier Ausstellung über das Leben jüdischer Mitbürger in Mechernich vor
Mechernich – “Was ist denn passiert in Deutschland, dass heute noch viele Menschen etwas gegen Ausländer haben?” will eine Schülerin der Mechernicher Hauptschule wissen. Die Klasse 8c bereitet gerade eine Ausstellung über das jüdische Leben in Mechernich vor. Keine Erklärung kann eine befriedigende Antwort auf die Frage der Schülerin geben, nicht die Angst um Arbeitsplätze, nicht der Hinweis darauf, dass sich vielleicht altes, braunes Gedankengut in manchen Köpfen erhalten habe. “Wir sind doch auch ganz normale Menschen”, sagt eine Schülerin, die keine gebürtige Deutsche ist.
Manche Schüler befürchten, dass wieder eine menschenverachtende Gruppe an politische Macht kommen könnte. “Nein, es sind zu viele, die nicht so sind”, hält ein Schüler dagegen. In der Klasse 8c alle 23 Schüler. Denn im Unterricht haben sich die Jugendlichen zusammen mit ihrer Lehrerin Gisela Freiern intensiv mit der Judenverfolgung beschäftigt – das hat die Jugendlichen sensibilisiert und zusammengeschweißt. “Wir halten zusammen, das habe ich erst gestern wieder gesehen, als ich Hilfe brauchte und dann alle bei mir standen”, sagt eine Schülerin.
“Tief verwurzelt – Ausgelöscht – Unvergessen”, so lautet der Titel der Ausstellung, die die Schüler vorbereiten. Auch bisher unveröffentlichtes Material soll zu sehen sein. Dabei hat vor allem die Klasse 8c mit ihrer Lehrerin Gisela Freier viele Stunden Arbeit investiert. Gisela Freier: “Aber es ist eine große Ausstellung mit Material, das die Hauptschule über zehn Jahre gesammelt hat, daran waren auch Vorgängerklassen und Kollegen beteiligt.”
Auf einer Zeittafel ist dargestellt, wie das Leben der jüdischen Mitbürger im Nationalsozialismus immer weiter eingeschnürt wurde – wie die Nazis erst jüdische Zeitungen verboten haben, keine jüdischen Frauen unter 45 Jahren mehr angestellt werden durften,
jüdische Kinder vom Schulbesuch ausgeschlossen wurden – und die Nachbarn plötzlich nicht mehr da waren, deportiert in die Gaskammern.
Familienfotos, amtliche Dokumente wie Reisepässe mit dem dicken “J” für Jude darin, aber auch die Schulchronik, ein Zeugnis der Kommerner Jüdin Emmy Kaufmann, die dem Holocaust entkommen konnte oder Stammbäume jüdischer Familien zeigen, wie tief die Juden in Mechernich verwurzelt waren – bis zu ihrer grausamen Verfolgung durch die Nazis.
Schon zahlreiche Aktionen hat Gisela Freier mit ihren Schülern gestartet, um gegen das Vergessen zu kämpfen, Stolpersteine haben sie verlegt, Gedenktafeln angebracht, Grabsteine gesetzt. Auch den Ausstellungs-Titel haben die Schüler im Unterricht erarbeitet – so fragte Gisela Freier in ihrer Klasse, wie die jüdischen Mitbürger denn in der Gemeinschaft verwurzelt waren. Die Antworten der Schüler kamen schnell: “Die sind zusammen in die Schule gegangen”, hieß es da etwa, die Mitgliedschaft in Vereinen wurde genannt oder auch einfach das gemeinsame Aufwachsen über Generationen in der Dorfgemeinschaft.
Woher der zweite Teil des Titels “Ausgelöscht” kommt, ist den Jugendlichen sehr bewusst. Sie kennen die Namen deportierter Kinder aus Mechernich, die in den Konzentrationslagern ermordet wurden. Als Gisela Freier aufzählte, wie dieses gemeinsame Leben schließlich durch die Nazis auseinandergerissen wurde, hörten die Schüler zuerst gebannt zu, dann brach die Empörung hervor und die Jugendlichen konnten ihre Fragen nicht mehr zurückhalten. “Warum?”, hieß es immer wieder und die Kinder verschiedener Herkunft und Religionen berichten auch von ihrer eigenen Geschichte – und ihrer Gegenwart.
Und in dieser fruchtbaren Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und Gegenwart machen die Schüler klar, woher der letzte Teil des Titels kommt – “Unvergessen”. Denn dass die Geschichte der jüdischen Bevölkerung in Mechernich und Kommern lebendig bleibt, ist zu einem großen Teil Mechernicher Hauptschülern und ihren Lehrern zu verdanken. Zu sehen ist die Ausstellung “Tief verwurzelt – Ausgelöscht – Unvergessen” ab Samstag, 5. September, bis Freitag, 25. September, im Rathaus Mechernich.
pp/Agentur ProfiPress

Manfred Lang

03.09.2009