Noch mit 90 Jahren gemeinsam zittern
In Sistig hat sich das Gruppennetzwerk „55+“ gegründet – Besucher entwickelten bereits zum Auftakt erste Projektideen – Nächstes Treffen am Dienstag, 21. März, 18.30 Uhr, im Lichtblick
Kall-Sistig – Die Ideen sprudelten und am Ende der Gründungsversammlung des Gruppennetzwerks „55+“ im Sistiger Bürgerhaus standen auch schon die ersten Projekte fest, die die Sistiger angehen wollen. „Ich bin ein Workaholic, will aber jetzt öfter abschalten. Das funktioniert wunderbar beim Wandern. Will jemand mitkommen?“, fragte etwa Ortsvorsteher Karl Vermöhlen und freute sich, dass spontan zehn Hände hochgingen. Auch bei anderen Themen ging es schnell. Der eine, ein Flüchtling aus dem Zweiten Weltkrieg, will anhand von Fotos seines Vaters dessen Geschichte erzählen, ein anderer interessiert sich für Ahnenforschung, da ergab sich ein Verknüpfungspunkt – auch zum Netzwerk an Urft und Olef, das ebenfalls einen Ahnenforscher in seinen Reihen hat. Weitere Interessen wurden geäußert: etwa eine Fahrt ins Seniorenkino im belgischen Büllingen oder gemeinsames Kochen (und viel wichtiger: gemeinsames Essen).
Paul Stanjek vom Verband „Zwar – Zwischen Arbeit und Ruhestand“ in Nordrhein-Westfalen, der selbstorganisierte Netzwerke bei deren Aufbau unterstützt, und Friederike Büttner als Quartiersmanagerin im Kreis Euskirchen dürften zufrieden gewesen sein mit der Gründung des Gruppennetzwerks. Zwar hätte die Resonanz auf die Startveranstaltung besser sein können – aber weil die gut 20 Teilnehmer offen über Themen wie verpasste Wünsche im Leben und über Erwartungen ihres (zum Teil noch bevorstehenden) Ruhestands sprachen, war der Abend in Sistig dennoch erfolgreich. So kam auch das ein oder andere Geheimnis auf den Tisch. „Ich wollte mal Pastor werden“, gestand einer. Und eine Besucherin gab zu: „Ich stelle fest, dass ich bislang ein schönes Leben hatte.“
Durch die Entwicklung erster Projektideen legten die Sistiger den Grundstein für ein Gelingen des Gruppennetzwerks. Warum eine solche Einrichtung überhaupt nötig ist, erklärte Manfred Poth, allgemeiner Vertreter des Landrats: „Die Pflegebedarfsplanung hat ergeben, dass im Jahr 2040 1700 Plätze in Pflegeeinrichtungen fehlen. Deshalb müssen wir darstellen, wie wir in Zukunft zusammenleben.“ Zwar zielt das Gruppennetzwerk auf die sogenannten „Best Ager“ ab 55 Jahren – doch offen ist es für alle Generationen. Gleich mehrere Partner machen gemeinsame Sache: Neben dem Kreis Euskirchen und der Gemeinde Kall sind das der Verband Zwar, das Netzwerk an Urft und Olef sowie die Stiftung evangelisches Alten- und Pflegeheim Gemünd (Eva).
Gemeinde stellte vor zehn Jahren die Weichen
Die Gemeinde Kall habe bereits vor zehn Jahren durch die Entwicklung einer Energieleitlinie erste Weichen gestellt, berichtete Bürgermeister Herbert Radermacher. Mit einer Mobilitätsoffensive der RVK wurde diese Arbeit fortgesetzt. Das Projekt wurde ergänzt durch das Thema „Mobilitätssicherung und sichere Mobilität älterer Menschen“. „In den vergangenen zwei Jahren haben wir intensiv gearbeitet“, sagte Radermacher und ergänzte: „Jetzt findet sich alles wie in einem Mosaik zusammen.“ Das Gruppennetzwerk sei ein zukunftsweisendes Projekt für die Gemeinde Kall.
Karl Vermöhlen erklärte, dass das Gruppennetzwerk nicht zwangsläufig etwas mit Altwerden zu tun habe, sondern das Jungbleiben und Spaß haben im Vordergrund stünden – und das alles vor der entscheidenden Frage: Was machen wir aus unseren Möglichkeiten? „Wir wollen mit Spaß altern und mit 90 noch synchron zittern“, sagte der Sistiger Ortsvorsteher.
„Dass Menschen im Ruhestand nicht wissen, was sie tun sollen, ist nur ein Punkt“, berichtete Malte Duisberg, Leiter der Stiftung Eva. Ein weiterer ist die Bekämpfung der Alterseinsamkeit. „Menschen, die alleine zu Hause sind, müssen in Kontakt mit anderen kommen. Wer nicht einsam ist, ist länger gesund“, sagte er.
Mit dem Netzwerk an Urft und Olef gibt es seit 2010 ein kommunenübergreifendes Netzwerk im südlichen Kreis Euskirchen. 550 Mitglieder hat es, 120 kommen aus Kall. Koordinatorin ist Corinne Rasky, die die vier Säulen des Netzwerks formuliert: etwas für mich tun, mit anderen etwas für mich tun, mit anderen für andere etwas tun und aufeinander aufpassen. „Jedes Mitglied bringt seine Individualität und Erfahrung ein. Das Netzwerk endet, wo Visionen enden. Wir freuen uns auf jeden Fall über den neuen Standort des Netzwerks in Sistig“, sagte Rasky.
Das Gruppennetzwerk „55+“ trifft sich alle zwei Wochen. Nächster Termin ist am Dienstag, 21. März, 18.30 Uhr, im Lichtblick neben der Kirche. Dabei soll weit über Projektideen gesprochen und bereits bestehende konkretisiert werden.
pp/Agentur ProfiPress