Der letzte Weg
Abriss von Haus Risa in Kalenberg – Im Nationalsozialismus „Judenhaus“ des Kreises Schleiden – Historischer Fliesenboden gerettet – Ausstellung im Kommerner Freilichtmuseum
Von Jakob Seibel
Mechernich-Kalenberg – Ein vermeintlich unscheinbar wirkendes Gebäude in Kalenberg diente während der NS-Zeit als „Judenhaus“ des Kreises Schleiden. Daran erinnerte sich auch der Zeitzeuge Wolfgang Abel aus Kommern. Hinter den Türen des bis vor kurzem als Haus Risa bekannten Alten- und Pflegeheims erinnert heute scheinbar nichts mehr an diese Facette des Holocaust in der Nordeifel.
Auch, wenn sich im Laufe der Jahre immer wieder einiges an dem Gebäude verändert hat, ist eines immer gleichgeblieben: seit seiner Errichtung schmücken dieselben Fliesen den Boden des langen Flurs und der Toilette des ursprünglichen Hauptgebäudes, in dem die letzten Juden des Kreises Schleiden zwangseingewiesen worden waren. Über diese Fliesen traten die Opfer aus der Region den Weg in den Holocaust an. Schnell war für Janine Deinzer von der Unteren Denkmalbehörde klar: „Das ist natürlich absolut denkmalwürdig.“

So traf sie sich mit dem Journalisten Franz-Albert Heinen sowie Wolfgang und Gisela Freier und Rainer Schulz von der Arbeitsgruppe „Forschen – Gedenken – Handeln“ und tatkräftigen Ehrenamtlern des Rotkreuz-Ortsvereins Mechernich vor Ort, um die Fliesen als bedeutenden Zeitzeugnisse vor der Zerstörung zu bewahren.
Stadt war „judenfrei“
„Das Gebäude diente nach seiner Errichtung als Bergbauverwaltungsgebäude und wurde danach als Erholungsheim des Kölner Alexianer-Ordens genutzt“, erklärte Franz-Albert Heinen, der sich schon seit einiger Zeit mit den Verbrechen des Nationalsozialismus auseinandersetzt und Mit-Gründer eines Gedenkvereines in Schleiden ist. Ab 1943 wurde Haus Risa zum Zwangs-Sammellager der letzten noch im Kreisgebiet Schleiden lebenden Juden. „So konnte das Regime propagieren, dass die Gemeinden ‚judenfrei‘ waren“, erklärte Heinen. In der Zeitung hatte er von dem anstehenden Abriss des Gebäudes erfahren, das bis zuletzt als Alten- und Pflegeheim diente – und war sofort hellhörig geworden.
„Daraufhin habe ich gefragt, ob ich ein paar Bilder machen könnte“, so Heinen. In einer Nachricht an die Kommerner und Mechernicher Gedenk-Gruppe thematisierte er auch den historischen Boden. Rainer Schulz leitete daraufhin die Rettung der Fliesen ein. Zu dem Zweck nahm er auch Kontakt zum LVR-Museum Kommern auf.

Eine Nachfrage beim Fliesenhersteller „Villeroy und Boch“ ergab, dass die Fliesen-Art von Haus Risa von 1914 bis 1941 hergestellt wurden. Eine Zeitzeugin bestätigte Schulz, dass der Fliesenboden bereits zur NS-Zeit verlegt war.
Das Gebäude selbst wurde in seiner langen Historie selten fotografiert. „Klar ist aber, dass es ursprünglich ein unverputzter Ziegelsteinbau war und erst später verputzt wurde“, erklärte Franz-Albert Heinen weiter. Außerdem wurden verschiedene Gebäudekomplexe angebaut.
DRK-Jugend zur Hilfe
Mit Schlagbohrer und tatkräftiger Unterstützung eines Jugendtrupps des DRK-Ortsverbandes Mechernich war es dann wieder Rainer Schulz, der die Fliesen vom Boden löste. DRK-Bereitschaftsleiter Sascha Suijkerland war mit vier fleißigen, jungen Männern vor Ort, um beim Verladen der Fliesen zu helfen. Mit dabei: der erst 11-jährige Jan. Auf die Frage, was ihn zur Arbeit beim DRK motiviere, sagte er: „Ich habe etwas gesucht, was mir Spaß macht.“

Suijkerland betonte, wie wichtig es sei, die junge Generation mit den Fehlern der Vergangenheit zu konfrontieren: „Dieser Ort hatte in der NS-Zeit was mit fehlender Menschlichkeit zu tun – und da das der erste Grundsatz des Roten Kreuzes ist, schließt sich da für mich der Kreis“. Umso stolzer war er auf sein junges Team und zeigte sich besonders froh darüber, der DRK-Jugend schon früh solche Erfahrungen nahebringen zu können.
Fliesen ins Freilichtmuseum
Zukünftig werden die Fliesen dann im Freilichtmuseum Kommern ausgestellt, wo sie Teil einer Ausstellung zur NS-Zeit und Deportation sein sollen. Darin soll es speziell um die Geschichte von Jüdinnen und Juden im Rheinland gehen.
Zudem plane das Museum, die Fliesen auch wissenschaftlich zu untersuchen und zu restaurieren. „Sie werden als materielle Zeugen der Geschichte dienen und die Erinnerung an die Opfer der Nationalsozialistischen Verbrechen wachhalten“, so Ann Heinen, Wissenschaftliche Leiterin des Kommerner Freilichtmuseums. Wann genau das passiert, stehe aber noch nicht fest.
Sicher ist aber: Sie kommen dahin. Und so werden die Fliesen hoffentlich noch viele Jahre als stumme Zeitzeugen vor dem warnen, was sich vor weniger als 100 Jahren in Deutschland abspielte. Vor langer Zeit ohne böse Hintergedanken liebevoll gefertigt, werden sie im Museum ein Symbol sein für die grausamen Schicksale vieler unschuldiger Kinder, Frauen und Männer, die den ehemaligen Kreis Schleiden einst ihre Heimat nannten – und später Opfer des schrecklichen Nazi-Regimes wurden. Einige taten auf diesen Fliesen einige ihrer letzten Schritte.
pp/Agentur ProfiPress