Ganz großes Kino
Christoph Leisten las zum Abschluss der Lit.Eifel 2016 im LVR-Industriemuseum Euskirchen-Kuchenheim aus seinen literarischen Notizen aus Marokko – „Argana“ und der Zauber einer toleranten multikulturellen Gesellschaft am Schmelztiegel zwischen Afrika, Europa und dem Orient
Euskirchen-Kuchenheim – Keine Frage: Das war ganz großes Kino, was Christoph Leisten bei der letzten von 35 Lit.Eifel-Veranstaltungen am Donnerstagabend im LVR-Industriemuseum Euskirchen-Kuchenheim zu bieten hatte.
Der mehrfach in Frankfurter Allgemeiner Zeitung, Neuer Züricher Zeitung, Deutscher Welle und im marokkanischen Fernsehen besprochene und sogar ins Arabische übersetzte Marokko-Experte, Lyriker und Essayist las aus seinem neuen Marokko-Reiseführer „Argana – Notizen aus Marokko“ vor, der genau so wenig Reiseführer ist wie Heinrich Bölls „Irisches Tagebuch“, Elias Canettis „Stimmen von Marrakesch“ oder Leistens eigenes Buch „Marrakesch – Djemaa el Fna“, das 2005 das Medieninteresse um den 1960 in Geilenkirchen geborenen Würselener auslöste.
Margareta Ritter, die Bürgermeisterin von Monschau und Vorsitzende des Lit.Eifel-Vereins, eröffnete den stimmungsvollen Abend mit Christoph Leisten und über 30köpfigem Publikum in einem der Seminarräume des Museums an der ehemaligen Tuchfabrik Müller, das schon seit Jahren Austragungsort literarischer Veranstaltungen ist. So hat der Förderverein des Museums seit über 15 Jahren mit „Gespräch und Rezitation“ eine eigene Literaturreihe, in der auch schon zwischen Museum und dem erfrischenden Nordeifeler Literaturfestival „Lit.Eifel“ kooperiert wurde.
Christoph Leistens bei Rimbaud erschienene Marokko-Notizen sind eine Art literarisches Patchwork aus Prosaminiaturen, Versatzstücken aus in 34 Jahren bei zahllosen Marokko-Aufenthalten selbstgesammelten Erfahrungen und Erinnerungen und ausgreifenden szenarischen Schilderungen mit ungeheurer Sprachgewalt.
Leisten vermag mit Wörtern einen Sonnenuntergang über Fes an den imaginären Himmel in den Köpfen seiner Zuhörer zu malen – oder ihnen die Stadt Essaouira als Konglomerat aus Geräuschen und Gerüchen in sinnliche Vorstellung zu rücken. Der studierte Germanist und Philosoph, Lehrer am bischöflichen Clara-Fey-Gymnasium in Schleiden, von Bernhard Albers entdeckte und ins Rimbaud-Verlagsprogramm aufgenommene Lyriker und Essayist Christoph Leisten vermag es, seine Leser und Zuhörer mitzunehmen in Landschaften und zu Menschen, die sie nie wirklich gesehen haben.
Das tut er mit so demütiger Zurückhaltung, dass er viel verrät, ohne die Intimsphäre seiner Gewährsleute zu verletzten. Wenn von „A.“ die Rede ist, handelt es sich um Angehörige einer befreundeten marokkanischen Familie. Auch ein „M.“ kommt vor, Leistens Trauzeuge Martin Schulz, seines Zeichens Europapolitiker und möglicherweise nach Frank Walter Steinmeiers Wahl zum Bundespräsidenten neuer deutscher Außenminister.
Einen anderen Eifel-relevanten Promi, Wolfgang Niedecken, so verriet Christoph Leisten im abschließenden Interview mit Manfred Lang, traf er ebenfalls in Marokko und ist seither gut mit ihm bekannt. Am meisten allerdings beeindruckte am Donnerstag Leistens Schilderung einer im Grunde ungeheuer humanen und toleranten Gesellschaft, in der der wohlmeinende Muslim seinen Freund, den Christen, darauf aufmerksam macht, dass es Zeit und gut für ihn ist, an diesem hohen Feiertag in die Kirche zu gehen.
Und das ist auch ein Grundanliegen des Autors an seine Leser: Nur gegenseitiges Verstehen und Tolerieren garantieren den Frieden. Die meisten marokkanischen Familien fielen aus allen Wolken, wenn sie von Radikalisierung und Verrohung ihrer im europäischen Exil lebenden Söhne durch Al Kaida oder den IS erführen: „Das hat mit dem friedliebenden und toleranten des über Jahrhunderte im Zusammenleben von Muslimen, Juden und Christen und in der kulturellen Mischung aus afrikanischen, europäischen und orientalischen Einflüssen entstandenen marokkanischen Islam nichts zu tun.“
pp/Agentur ProfiPress