Damit es nie wieder passiert
Marina Barth, Chefin des Kölner Klüngepütz, erzählt bei der Lit.Eifel-Lesung die Geschichte Fanny Meyers, einer Puppenspielerin im Hännesche Theater – Zeigt die düstere Seite Kölns in der Nazizeit auf und setzt Menschlichkeit dagegen – Publikum sang Ostermann-Lieder mit
Simmerath – Mit dem Rückzug ins Private, ins Überschaubare, damit habe der Kölner Liedermacher haargenau den Nerv der Zeit getroffen, sagte Marina Barth bei der Lit.Eifel-Lesung: „Dann grooven wir uns jetzt mal ganz hösch ein in die Zeit.“
Leise sang das Publikum den bekannten Gassenhauer von Willi Ostermann in der gemütlich hergerichteten Simmerather Gemeindebücherei mit: „Och wat wor dat fröher schön doch en Colonia…“. Violine (Radek Stawarz) und Akkordeon (Harald Rutar) fügten sich musikalisch unaufdringlich ein. Der Lese-Raum wurde zum Café der 1920er/1930er-Jahre.
Bilder aus dem alten Köln
Marina Barth, die Leiterin des Kölner Klüngelpütz, dem ältesten Kabarett mit eigenem Ensemble, hatte schwarz-weiße Bilder aus dem alten Köln mitgebracht und warf sie via Beamer an die Leinwand. Sie zeigte Willi Ostermann, den staatsen Kerl, die Bastei, das Café Germania, die erste drehbare Schaufenster-Vitrine, die in der Schildergasse stand.
Sie schwenkte zum Lumpenball, die Karnevalsparty in den 20er-Jahren, mit der man dem bürgerlichen Karneval eine richtig lange Nase drehen wollte. Es schien dort wild zuzugehen, erzählte Barth: „Man sieht auch die Herren tragen Lippenstift.“ Das Köln war freizügig.
Hakenkreuze waren unübersehbar
Doch gleichzeitig gab es düstere Seiten in der Stadt und zwar schon sehr früh. „Das Foto ist von 1928. Schon da waren die Hakenkreuze unübersehbar“, so Barth. Zivilisten waren auf Fotos gebannt, die ungehemmt den Hitlergruß zeigten. Auch der Butzweilerhof, damals als Flugplatz ein Tor zur Welt, hatte ein Hakenkreuz erhalten.
Ein Kind dieser Zeit war Fanny Meyer, eine junge Puppenspielerin im Kölner Hänneschentheater und Protagonistin in Barths Roman. Sie gab es wirklich. Fannys erstes Engagement war am Millowitsch Theater, berichtet Barth: „Willy Millowitsch muss sie definitiv gekannt haben, denn er war auch schon zu dieser Zeit am Theater seiner Eltern.“
Fanny und der Lumpenball
Fanny will mit den Kölner Progressiven zum Lumpenball gehen und dort Karneval feiern, der nichts mit dem zu tun hat, was sie bislang vom Gürzenich kannte. Sie ignoriert die beunruhigenden Nachrichten aus der Politik, es ist ihr erster Lumpenball, 1933. Den will sie in vollen Zügen genießen. Doch der Reichstag brennt, die braunen Horden wüten in Köln, Hitler ist an der Macht. Die Schlinge zieht sich langsam zu.
Ein jüdischer Opernsänger wurde mitten in der Vorstellung des Fidelio von der Bühne gerissen. Hans hatte im Publikum gesessen, las Barth: „Niemand hat sich gewehrt. Ich auch nicht. Wir waren wie gelähmt. Man hatte das Gefühl, dass das nicht echt sein kann. Jemand muss denen doch Einhalt gebieten.“
Die eingängigen, fast einlullenden Lieder Ostermanns, die in der Gemeindebücherei gespielt wurden, nahmen einen kurzzeitig aus der Enge der bedrückenden Zeit heraus. Auch „Wenn ich so an meine Heimat denke“, erklang, als ob die Welt in Ordnung ist. Fanny ist 31 Jahre, sie genießt das Leben mit Lothar.
Doch die Zeiten änderten sich, wie Barth beschreibt: „Die Welt gleicht für Juden inzwischen einem Flaschenhals, der immer enger wird. Während die Kölner drumherum ganz normal weiterleben.“
Barths Geschichte nimmt leise gefangen
Die Geschichte der Autorin nimmt leise, unaufdringlich gefangen, berührt, indem sie die Schreckensherrschaft durch den Alltag der Puppenspielerin laufen lässt. Barth fragt nach: „Führte denn kein Weg am Unrecht vorbei?“ Sechs Millionen Juden seien nicht Kriegsopfer. „Ihre Nachbarn, Freunde, Kollegen haben dabei mindestens tatenlos zugesehen“, mahnt sie. Auch Fanny Meier sei unter den Opfern gewesen, ebenso wie fast ihre gesamte Familie.
Trotzdem soll ihr Roman keine reine Leidensgeschichte sein, wie Barth betonte. Vielmehr will sie Fanny auferstehen lassen, mit all ihren Freuden, Vergnügtheiten, mit ihren Hobbys, ihren Fähigkeiten. Denn das hätten doch die Nazis versucht, die Menschlichkeit auszulöschen. Eindringlich fordert sie auf: „Wir müssen uns erinnern, wie so etwas anfängt.“ Damit es nie wieder passiert.
pp/Agentur ProfiPress