„Wir brauchen die Leute nicht am Computer, sondern am Patienten“
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat angekündigt, die Krankenhausfinanzierung zu revolutionieren. Anlass für ein Gespräch mit den Geschäftsführern der Kreiskrankenhaus Mechernich GmbH, Martin Milde und Thorsten Schütze, über die Reformpläne, über die Notfallversorgung in der Region und über den Wunsch nach einer massiven Entbürokratisierung
Sehr geehrter Herr Milde, sehr geehrter Herr Schütze, die Bundesregierung liebt offenbar plakative Worte. Mit der Bazooka durch die Pandemie, mit dem Doppel-Wumms zu bezahlbarer Energie und mit nichts weniger als einer Revolution zu bestens finanzierten Krankenhäusern. Was halten Sie von dieser jüngsten Ankündigung unseres Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach?
Milde: Eine Revolution ist erstmal ein großes Wort. Ich glaube, ich würde es Reform nennen, weil es aktuell auch lediglich Vorschläge sind, die an vielen Stellen noch sehr vage sind. Der Grundsatz ist jedoch richtig, dass man das Finanzierungssystem in Krankenhäusern dringend ändern muss. 20 Jahre Fallpauschalen haben gezeigt, dass das nicht das richtige System ist. Dass nur dann bezahlt wird, wenn der Patient ins Krankenhaus kommt, ist vor allen Dingen für Bereiche wie die Zentrale Notaufnahme oder die Geburtshilfe einfach nicht in Ordnung.
Wie lassen sich die Maßnahmen für das Krankenhaus Mechernich einordnen?
Schütze: Was mittelfristig wirklich im Gesetz landet, bleibt abzuwarten. Was sich andeutet, ist, dass Krankenhäuser in den Genuss kommen werden, Vorhaltekosten finanziert zu bekommen. Das wird auch bei unseren Häusern einen Teil des wirtschaftlichen Drucks herausnehmen. Man kann das sehr schön mit der Feuerwehr vergleichen. Auch diese wird nicht anhand der gefahrenen Einsätze finanziert. Wenn man hier eine gute Qualität vorhalten möchte, dann ist das einfach mit entsprechenden Fixkosten verbunden.
Ein weiteres Credo aus den Reformplänen lautet: Mehr Spezialisierung und weniger „alle machen alles“. Was würde das für Mechernich bedeuten?
Schütze: Es ist absolut zielführend, dass nicht jedes Krankenhaus alle medizinischen Leistungen anbietet. Spezialisierung steigert am Ende die medizinische Qualität. Es gibt genügend Studien, die zu zum gleichen Ergebnis kommen. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) folgt diesem Muster seit Jahren mit dem Prinzip der Mindestmengenregelungen.
Milde: Diese Spezialisierung kann in einigen Ballungsgebieten dazu führen, dass Krankenhäuser gewisse Leistungen nicht mehr anbieten dürfen. Wir haben im Rahmen der Krankenhausplanung NRW in Mechernich und Schleiden alle Leistungsgruppen beantragt, die wir aktuell auch anbieten und gehen davon aus, dass diese auch weiterhin von uns erbracht werden dürfen.
Ich muss noch einmal nachhaken: Wenn der Notfall passiert oder die Geburt ansteht, dann wird sich an der Versorgungssicherheit und -qualität aber nichts ändern, oder?
Milde: Nein, definitiv nicht. Es muss ganz klar das Ziel sein, dass wir nach wie vor der kompetente und regionale Ansprechpartner bleiben, wenn es um die Notfallversorgung und generelle medizinische Versorgung hier im Kreis Euskirchen geht. Der ländliche Raum soll in der Krankenhausplanung des Landes daher auch einen besonderen Stellenwert einnehmen, damit die Wege kurz bleiben. Als ich 2020 nach Mechernich gekommen bin, habe ich immer gesagt: Wenn man über Medizin und Pflege hier im Kreis Euskirchen spricht, dann muss man über uns sprechen. Das tut man und das wird auch so bleiben.
Schütze: Zudem sind wir aufgrund unserer erweiterten Notfallstufe in der kompletten Region die wichtigste Anlaufstelle für Notfälle. Das ist ganz, ganz wichtig für die Bevölkerung – und das soll auch so bleiben. Wir sind einfach ein sehr zuverlässiger Partner für die Menschen in der Region und das gilt es zu erhalten und auszubauen.
Gesundheitsminister Lauterbach erklärte jüngst, dass 60 Prozent der bundesweit rund 1900 Krankenhäuser vor massiven finanziellen Problemen stünden. Es gebe Qualitätsdefizite in der Behandlung von Patientinnen und Patienten, Geräte seien veraltet und das Personal reiche nicht aus. Gehört Mechernich zu den 60 Prozent oder zu den 40 Prozent, die gut dastehen?
Milde: Es sind sogar mehr als 60 Prozent.
Schütze: Auch hier in Mechernich ist die wirtschaftliche Lage angespannt. Warum ist das so? Weil wir nicht, wie andere Unternehmen, beliebig unsere Preise erhöhen können. Der Preis ist uns Krankenhäusern vorgegeben, unabhängig davon, welche Kosten wir haben. Und da die Kosten in den vergangenen Jahren deutlich stärker gestiegen sind, als die Preise, ist es nicht verwunderlich, dass sich viele Krankenhäuser in einer wirtschaftlichen angespannten Situation befinden. Auch in diesem Jahr sieht das nicht anders aus. Zum einen werden die Personalkosten deutlich steigen, die sich je nach Tarifverhandlungen entwickeln, und zum anderen die Sachkosten, die zuletzt zwischen 10 und 12 Prozent angestiegen sind. Unser Preis, also der Landesbasisfallwert, steigt lediglich in diesem Jahr um 4,3 Prozent. Diese Schere zwischen Preis und Kosten geht seit Jahren auseinander.
Vor diesem Hintergrund erscheint der Satz von Karl Lauterbach „nicht die Wirtschaftlichkeit, sondern der Patient müsse im Mittelpunkt stehen“ illusorisch. Wie schaffen Sie es in Mechernich, trotz des Kostendrucks den Menschen in den Mittelpunkt zu rücken?
Milde: Ich glaube, dass das bei uns immer so war und auch noch so ist. Bis einschließlich 2019 haben Krankenhäuser diese Schere durch mehr Leistungen kompensieren können. Durch die Pandemie sind diese Leistungen seit 2020 jährlich um rund 15 Prozent zurückgegangen. Das heißt, die Schere ist auch aus diesem Grund deutlich aufgeklafft. Das führt zu dem bereits erwähnten wirtschaftlichen Druck, der natürlich etwas mit den Menschen macht, die hier in diesem System arbeiten. Wenn Herr Lauterbach dann zu Beginn seiner Pressekonferenz noch sagt, dass Krankenhäuser, um Gewinne zu machen, billige Medizin anbieten, dann ist das ein Schlag ins Gesicht eines jeden Einzelnen, der im Krankenhaus arbeitet – angefangen von der Reinigungskraft über das Pflege- und Ärzteteam bis hin zu Verwaltung und Geschäftsführung.
Reicht es denn dann aus, wenn durch die angestrebte Reform, der Kuchen lediglich anders verteilt wird oder muss nicht deutlich mehr Geld in das System fließen?
Schütze: Bevor wir uns über Reformen von Morgen unterhalten, müssen wir erstmal für eine ausgeglichene Finanzierung von Heute sorgen.
Milde: So ist es. Denn in einem chronisch unterfinanzierten System wird eine Umschichtung die Situation nicht besser machen. Es muss mehr Geld ins System. Das ist zwingend notwendig, ansonsten wird es zwar anders finanziert sein, aber weiterhin unterfinanziert bleiben. Und was ganz wichtig ist: Die Praktiker müssen mitarbeiten. Vertreter von Krankenkassen und Krankenhäusern müssen mit an den Verhandlungstisch, auch wenn Herr Lauterbach das anders sieht. Es wird nicht funktionieren, wenn man in Berlin am grünen Tisch – auch wenn wissenschaftliche Expertise mit dabei ist – etwas ausarbeitet.
Wenn Sie beide sich drei Punkte für die anstehende Reform wünschen könnten, welche wären das?
Schütze: Jeder drei? (Lacht)
Jetzt bloß nicht maßlos werden…
Milde: Der erste Wunsch ist eindeutig der, dass wir unbedingt eine auskömmliche Finanzierung benötigen – wie auch immer die aussehen mag. Wegen mir eine Kombination aus bezahlten Vorhaltekosten und Fallpauschalen. Das hilft aber kurzfristig überhaupt nicht, weil die Umsetzung dauern wird, aber gleichzeitig die Zeit drängt. Wir benötigen dringend ein Soforthilfeprogramm für die Krankenhäuser, sonst ist am Ende nichts mehr da, was man reformieren könnte.
Schütze: Wunsch zwei ist das Thema Notfallversorgung: Das kommt im Reformkonzept definitiv zu kurz. Die Rettungsdienste verteilen die stationären Patienten nach klaren Regeln auf die Krankenhäuser. Das ist gut so. Aber die ambulanten Patienten haben die freie Wahl, so dass bei uns ernste Notfälle ebenso vorstellig werden, wie Patienten mit leichteren Symptomen, für die eine ambulante Versorgung ausreichen würde. Das führt zu langen Wartezeiten, die alle Beteiligten frustriert. Auch hierauf sollten die Reformpläne Antworten liefern.
Und Wunsch drei?
Schütze: Wir benötigen eine massive Entbürokratisierung. Wir haben ausgerechnet, dass aktuell rund 40 Prozent der Arbeitszeit von Ärzten und Pflegekräften rein für Dokumentationen aufgewendet wird. Leider ist mit jedem Gesetz in den letzten fünf Jahren immer mehr Bürokratie hinzugekommen. Man könnte die Chance jetzt nutzen, zu entbürokratisieren. Das würde jedem Krankenhaus in Deutschland massiv zugutekommen. Unsere Mitarbeiter sind doch nicht in die Pflege gegangen oder Arzt geworden, um digital zu dokumentieren, sie möchten sich um die Patienten kümmern.
Milde: Dafür braucht es auch keine große Reform. Das kann man, wenn man es möchte, relativ schnell umsetzen. Wenn wir die Dokumentationszeit von 40 auf 20 Prozent reduzieren könnten, dann hätten wir hier in Mechernich mit einem Schlag rund 60 Pflegekräfte und 25 Ärzte mehr am Patienten. Wir brauchen die Leute nicht am Computer, sondern genau dort, am Patienten.
Infokasten
Die Kreiskrankenhaus Mechernich GmbH bietet ambulante und stationäre Versorgung in den Krankenhäusern Mechernich und Schleiden sowie ambulante Versorgung im Ambulanten Operationszentrum Zülpich (AOPZ), Behandlung von Kindern und Jugendlichen im Sozialpädiatrisches Zentrum (SPZ), im Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) an der Olefmündung und bei den Eifelkids – Ambulante Kinderkrankenpflege. Zudem gehören das Geriatrische Zentrum Zülpich, die Liebfrauenhof Schleiden GmbH und der Vivant-Pflegdienst zum Konzern.
Rund 200 Ärzte und 900 Mitarbeiter im Pflege- und Funktionsdienst gehören zu den insgesamt rund 1.900 Mitarbeitern. De Konzern verfügt über 523 Krankenhausbetten. Jährlich werden rund 26.000 Patienten stationär und etwa 47.000 Patienten ambulant behandelt. Die hauseigene Schule für Pflegeberufe wurde inzwischen für 120 Ausbildungsplätze ausgebaut. Der Umsatz des Unternehmens beläuft sich auf rund 137 Millionen Euro pro Jahr.
Geleitet wird die Kreiskrankenhaus Mechernich GmbH von zwei Geschäftsführern. Martin Milde ist seit dem 1. Januar 2020 im Amt. Der 49-Jährige stammt aus Bleibuir und ist nach Stationen in der Unternehmensberatung und in verschiedenen Krankenhäusern, zuletzt bei den Malteser Kliniken Bonn, an den Bleiberg zurückgekehrt. Thorsten Schütze (40) hat einen ähnlichen Werdegang. Der gebürtige Dortmunder, der im Rheinland aufgewachsen ist, ist seit dem 1. Juli 2020 Geschäftsführer in Mechernich, zuvor war er kaufmännischer Direktor bei den Bonner GFO Kliniken.
pp/Agentur ProfiPress