Schrecklich schön und weit und wild
Auf der Fahrt mit der Stella Maris über den Rursee erzählte Matthias Politycki von kleinen und großen Reisen – Er nahm die Zuhörer bei der Lit.Eifel-Lesung mit über Grenzen, raus aus der Komfortzone, hinter die Kulisse der Südsee-Traumstrände und auf indische Müllberge
Heimbach/Schwammenauel – Das Wasser plätscherte gegen den Bug als das Fahrgastschiff, die „Stella Maris“, ablegte. In diesem Moment begann eine besondere Reise, die nicht allein über den Rursee, sondern mit den wogenden Worten von Matthias Politycki in der Lit.Eifel-Lesung in ferne Länder und zu wahren Werten führte.
„Sie werden gleich merken, es wird nicht über Urlaub gehen, sondern über Reisen“, prophezeite Politycki. Der vielfach preisgekrönte Autor berichtete während dem gemütlichen Schippern übers Wasser von Momenten der Glückseligkeit, aber auch von tieftraurigen Augenblicken oder schmerzhaften Niederlagen, die er auf seinen Reisen mit Rucksack erlebt hatte.
„Wir wollen mehr als Vergnügen, wir wollen Glück“, so der in Karlsruhe geborene Weltreisende. Dafür müsse man aber durchaus mal seine Komfortzone hinter sich lassen und andere (Reise-)Wege beschreiten. Er riet, die eigene Reise-Mode zuweilen zu hinterfragen.
Natürlich sei es nicht leicht, Abschied zu nehmen, Bekanntes loszulassen, obwohl man nicht weiß, was einem im unbekannten Land erwarte. Der Tag der Heimkehr sei immer ein ganz besonderer Tag für ihn, verrät Politycki den Zuhörern: „Da weiß man, ob man es geschafft hat – auch vor sich selbst.“
Sein Buch „Schrecklich schön und weit und wild“, aus dem er an diesem Abend Passagen liest, spannt den Bogen einer Reise nach. Er erzählte vom Nicht-Losreisen-Wollen, von der Lust Landkarten zu studieren wie auch vom Aufbrechen oder Ankommen und seinen 180 quälenden Tagen auf dem Kreuzfahrtschiff MS Europa. Freunde zu gewinnen? „Das ist ein schöner Anlass, um über Grenzen zu gehen“, sagte er.
Er gibt viel, wenn er wie auf der Stella Maris eloquent bis in die kleinste Silbe betont vorliest oder mit den Fahrgästen zwanglos plaudert. Unterhaltsam nimmt er sie mit in seine Abenteuerwelt, hinter die Kulisse der Südsee-Traumstrände und auf indische Müllberge. „Es gehört zum Reisen dazu, dass man sich nicht nur die Schokoladenseiten anschaut“, ist er überzeugt.
Es war ein Genuss ihm zuzuhören. Geübt als Erzähler von Hörspielen ließ er die Betonungen an den richtigen Stellen fallen oder hob die Stimme leicht an. Er brauchte keine Spitzen.
Dafür aber braucht er seine Heimat, wie er offenbarte. Denn so wild er gerne unterwegs sei, ziehe es ihn am Ende immer wieder zurück nach Hause, in die doch so geordneten Strukturen Deutschlands, in den Alltag. 97 Länder hat er in 40 Jahren bereits. Ein Zuhörer fragte ihn: „Was war das stärkste Erlebnis?“ Mmh, hörte man, er stöhnte, eine Pause, die Antwort fiel ihm nicht leicht.
Mongolei, ja, das sei (s)ein Traumland. „Diese Weite. Ein Grasland auf dem gar nichts ist“, beschrieb er, was ihn faszinierte. Doch in Wahrheit sei die Liste der besonderen Länder unerschöpflich. Auch die Menschen, denen er begegnete, die machten seine Reisen wertvoll. „Es war ein Geschenk für mich, mit den Menschen im Slum austauschen zu können und von ihnen auch angenommen zu werden“, erzählte er.
Ein Handy habe er nie dabei. Vielleicht auch wegen der Mär vom leichten Gepäck. „Jedes Mal wundere ich mich, wie schnell aus dem Allernötigsten, ein respektabler Haufen wird, der am Ende nur mit Mühe zu verstauen ist“, liest er schmunzelnd. Aber Ausrüstung beruhige halt. Und schwergewichtig hinzu komme ja auch noch das seelische Gepäck, das man mit sich herumtrage. Dem man auch nicht davoneilen könne.
Er habe es versucht. In jungen Jahren habe er dem (Liebes-)Kummer davon trampen wollen. „Wohin? Egal“, sagte er. Das führte ihn allerdings nicht weit, sondern nur bis nach Itzehoe. Eine neue Liebe habe er dort nicht finden wollen. „Ich war ja weggefahren, um wegzufahren und nicht, um anzukommen“, meinte er.
In der Fremde gebe es keine persönliche Wegskizze, machte Politycki deutlich: „Alles muss man aus eigener Kraft herausfinden, entscheiden, auf den richtigen Weg bringen.“ Und zuweilen auch aushalten können. Wie die Speisen, die man unter den Argusaugen des gutmeinenden Gastgebers verdauen muss. Appetitlich klang die vergorene Stutenmilch nicht, die er mit zusammengekniffenen Zähnen getrunken hat, um die darin schwimmenden Haare abzuhalten. Von der Gebärmutter des Dorsches oder Schweinsohrknorpeln ganz zu schweigen.
Der Anlass, das Buch zu schreiben, sei ein durchaus trauriger gewesen, gab er zu. Eigentlich hätte er einen Roman schreiben sollen – so sei es mit dem Verlag vertraglich vereinbart gewesen. Doch dann kam die Flüchtlingskrise. Die habe ihn bewegt, verriet er: „So, dass ich plötzlich merkte und fühlte, hier beginnt ein anderes Reisen“ Sorglos reisen, wie er es über Jahrzehnte kennen lernen durfte, das befürchtet er, werde es nicht mehr geben: „Es war Zeit, das Buch zu schreiben!“
Die Fahrt auf dem Rursee mit Politycki war eine tolle kleine Reise! Auch Margareta Ritter, Vorsitzende der Lit.Eifel, freute sich: „Ich danke Ihnen ganz herzlich für die Art, wie Sie uns mit auf diese Reisen genommen haben.“
pp/Agentur ProfiPress