Was Glück ist, weiß man im Nachhinein
Mit Arnold Stadler las einer der renommiertesten deutschen Autoren bei der Lit.Eifel in Heimbach
Heimbach – Dass mit Arnold Stadler ein Sprachkünstler am Lesetisch sitzt, wird dem Publikum schon nach wenigen Sätzen klar. Von daher hätte es für die Lit.Eifel-Lesung mit dem preisgekrönten Autor, der so meisterhaft Wörter zu Sätzen und klugen Gedanken verbindet, kaum einen geeigneteren Ort geben können, als die Internationale Kunstakademie in Heimbach. Deren Leiter Prof. Dr. Frank Günter Zehnder heißt mit Arnold Stadler einen Autor willkommen, der schon lange „Wunschkandidat“ des Lit.Eifel-Programmbeirates gewesen sei.
Und nicht nur dessen, denn auch unter den Zuhörern sind eingefleischte Stadler-Fans, von denen einige beutelweise Bücher des Büchner-Preisträgers mitbringen, um sie im Anschluss an die Lesung signieren zu lassen.
Bis es so weit ist, erleben die Lit.Eifel-Gäste einen, so Zehnder, „spannenden Abend“, bei dem der vielfach preisgekrönte Schriftsteller einerseits temperamentvoll und teils schauspielernd aus seinem Roman „Rauschzeit“ liest, andererseits ebenso bedächtig wie ausführlich auf Fragen der Zuhörer eingeht und auch von sich selbst erzählt.
Etwa von seiner „ungeheuren Reiselust“, die bis zum heutigen Tag anhalte und die ihn auf langen Reisen unter anderem nach Südamerika und in den Nahen und Fernen Osten führten. Im Gegenzug dazu erzählt er von seinem Vater, der im vergangenen Jahr im Alter von 92 Jahren gestorben sei: „Im selben Raum, in dem er auch geboren wurde.“ Stadlers Elternhaus ist ein Hof aus dem 18. Jahrhundert im badischen 450-Seelen-Dorf Rast, wo er in seiner Jugend selbst zur Mistgabel griff und wo er heute überwiegend lebt und arbeitet, trotz zweier weiterer Wohnsitze. Hier sitzt er schon morgens um sechs am Schreibtisch und schreibt ohne Pause bis zum Mittag.
Sein neues Buch „Rauschzeit“, das manche Literaturkritiker als sein Hauptwerk bezeichnen, spielt zu großen Teilen in Köln, wo Stadler studiert hat und wo sich in ihm, zu Fuß in der Südstadt unterwegs, der Gedanke festsetze, ein Buch zu schreiben. „Die meisten Leute, die das gedacht haben, haben es nie getan und sind gestorben“, sinniert Stadler in Heimbach. Er habe dann noch in der Berrenrather Straße damit begonnen, als schon Über-Dreißigjähriger, wie der heute 63-Jährige erzählt.
„Das ganze Buch geht der Frage nach, was Glück ist“, so Stadler über seinen neuen Roman.
„Was ist Glück? Nachher weiß man es.“, lautet der erste Satz, der sich wie ein roter Faden durch den Roman zieht und mehrfach wiederholt wird. Stadler erzählt die Lebensgeschichte von Alain und Mausi, beide vierzig und seit 15 Jahren verheiratet. Nicht nur ihr Leben, auch die Liebe ist in die Jahre gekommen. Fast scheinen sie die Liebe hinter sich zu haben – jetzt droht „die vegetarische Zeit“. „Es war gar nicht so lange her, da hatte Mausi von mir geschwärmt“, blickt Alain wehmütig zurück. „Kartoffelsuppe“ sei sein Leben geworden.
Als überraschend die gemeinsame Freundin Elfi stirbt, ist Mausi in ihrer Wohnung in Berlin und Alain auf einem Übersetzerkongress in Köln. Es ist ein Tag im Juni 2004. Bei beiden reißen alte Wunden auf.
„Ich bin ja dafür, dass Geschichten gut enden. Bis dahin ist es manchmal ganz schön kompliziert“, stellt Stadler fest. Seine Bücher verstehe er als Partitur. Der „Trostlosigkeit der Welt“ möchte er als Autor „etwas Schönes“ entgegensetzen. Plot, Informationen – das seien Dinge, auf die es ihm nicht ankomme. „Wichtig ist die Sprache, das Poetische.“ Mitunter berichteten ihm Schriftstellerkollegen exakt auf die Seitenzahl, wie weit ihre Romane fortgeschritten seien. „Das könnte ich nie. Ich schreibe kreuz und quer und manchmal schon zu Beginn das Schlussstück.“
Ob er mit zunehmendem Alter dickere Bücher schreibe, fragt ihn eine Zuhörerin hinsichtlich der knapp 550 Seiten von „Rauschzeit“. Zwölf Jahre habe er an dem Buch gearbeitet, erste Notizen habe er bereits 2004 gemacht, entgegnet Stadler und konstatiert: „Dafür ist es ja gar nicht so dick.“
„Dick“ ist hingegen der Applaus, mit dem das Eifeler Publikum den Schriftsteller entlässt. Nur ein einziges Mal muss er Kritik einstecken. Sie würde nur ungern Mausi heißen, gibt ihm eine Besucherin ihr Unverständnis für den Spitznamen von Alains Ehefrau zu verstehen. Stadler schmunzelt zwar, lässt sich aber auf keine Diskussion über tierische Kosenamen ein. „Ich fand den Namen gut, der passt.“
pp/Agentur ProfiPress