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Nachbarn erinnern sich noch an die Schreie

Nachbarn erinnern sich noch an die Schreie
Festakt zur ersten Mechernicher Stolpersteinaktion, um Andenken an ermordete jüdische Mitbürger zu bewahren – “Wir haben eine besondere Verantwortung, Menschen aus einem anderen Kulturkreis oder mit einer anderen Religion nicht auszugrenzen”
Mechernich – “Es gibt noch Nachbarn, die sich an das furchtbare Schreien meiner Großeltern erinnern, als sie deportiert wurden”, sagte Doris Strauss-Ruhr (70), Enkelin der im Holocaust ermordeten Mechernicher Familie Ruhr. Sichtlich bewegt sprach sie am Montagmorgen beim Festakt zur ersten Stolpersteinaktion in Mechernich im Oktogonbau am Schulzentrum. Stolpersteine sind in den Gehweg eingelassene Pflastersteine mit zehn mal zehn Zentimeter großen Messingplatten, in denen die Namen und Lebensdaten ermordeter Juden eingraviert sind.
Vertreter der Mechernicher Fraktionen, eine Delegation der Communio in Christo und zahlreiche Lehrer und Schüler der Mechernicher Hauptschule waren unter den etwa 100 Teilnehmern der Gedenkfeier. Die Klasse 7c der Hauptschule Mechernich hatte im September zusammen mit ihrer Lehrerin Gisela Freier die erste Stolpersteinaktion in Mechernich gestartet. Und so gestalteten die Schüler die Feier auch aktiv mit.
Christian Hein, Schüler der Klasse 10, berichtete etwa vom Transport “DA219”, der akribisch von den Nazis dokumentiert wurde. 1164 Juden, darunter 118 Kinder unter zehn Jahren, befanden sich in dem Zug, der 1942 nach Minsk fuhr. Auch die Mechernicherin Jetti Ruhr war unter den Zusammengepferchten. Sofort nach ihrer Ankunft wurde die Tochter des jüdischen Metzgermeisters Heinrich Ruhr erschossen. Ruhr hatte sein Geschäft in Mechernich in der Bahnstraße 12. Auf dem Gehweg davor sind auch die Stolpersteine verlegt.
Dr. Hans-Peter Schick, Bürgermeister der Stadt Mechernich, sagte zu den Versammelten im voll besetzten Oktagon: “Ich empfinde heute Scham und Stolz.” Scham über das, was sich in diesem Land zutragen konnte, Stolz darüber, was die Schüler der Mechernicher Hauptschule auf die Beine gestellt haben, um an diese Dinge zu erinnern. “Wir haben eine besondere Verantwortung, Menschen aus einem anderen Kulturkreis oder mit einer anderen Religion nicht auszugrenzen”, so der Erste Bürger der Stadt.
Herbert Jonen, stellvertretender Vorsitzender der jüdischen Kultusgemeinde Düsseldorf, sagte: “Es ist bereits Tradition, dass die Lehrerin Gisela Freier zusammen mit ihren Schülern der Geschichte ihres Wohnortes nachspürt – mit Erfolg.” Jonen sei überzeugt, dass weder in den Herzen noch in den Köpfen dieser Schüler Platz für Rassismus sei.
Gisela Freier konstatierte, dass es eigentlich gar nicht möglich sei, Schülern die Ermordung von Millionen von Juden verständlich zu machen. Freier: “Denn diesen Zivilisationsbruch kann man gar nicht verstehen. Aber wenn wir uns mit den Augen der Opfer der Geschichte nähern, öffnet das für die historischen Wahrheiten.”
Als Jaron Engelmayer, Rabbi in Köln, das Ehrengebet zum Andenken an die ermordeten Juden erst in Deutsch und dann auf Hebräisch gesprochen hatte, trat eine lange Stille ein. Musikalisch umrahmte das Kölner Ensemble “A Tickle in the Heart” mit Klezmer, also jüdischer Volksmusik, die Gedenkfeier.
Bürgermeister Schick sagte zu Doris Strauss Ruhr, die für den Festakt zusammen mit ihrer Tochter Karen aus den USA nach Mechernich gereist war: “Nehmen Sie das Bild von Deutschland mit nach Hause, dass sich Ihnen durch diese jungen Leute bietet.” Die Eltern von Doris Strauss-Ruhr konnten 1936 vor dem Holocaust nach Südafrika fliehen. Ihr Vater Erich Ruhr, Doris und Karen Strauss-Ruhr sind die einzigen Überlebenden der ehemals großen Familie Ruhr, deren Wurzeln sich bis in die Römerzeit in der Eifel zurückverfolgen lassen.
pp/Agentur ProfiPress

Manfred Lang

28.11.2008