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AllgemeinLit.Eifel

Leben und Liebe der Sylvie Schenk

Die Stolberger Autorin mit französischen Wurzeln las im Aukloster im Rahmen der Lit.Eifel aus ihrem Roman „Schnell, dein Leben“ – Jazz-Musiker und Freund Heribert Leuchter begleitete sie mit eigens komponierten Songs

Monschau – Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten wahren Kuss? Die Autorin Sylvie Schenk schon. Und sie beschreibt ihn in aller Ausführlichkeit in ihrem stark autobiografischen Roman „Schnell, dein Leben“. Ihr Alter Ego Louise ist bereits Studentin, als der Jazz-Musiker Henri ihr näherkommt, sie über ihre Wange streichelt, seine Lippen auf ihre presst und mit seinem Dreitagebart ihre empfindliche Haut zerkratzt. Emotional fühlt sich Louise wie die Figur in einem Picasso-Bild: vollkommen zerrissen. „Er soll aufhören, er soll weitermachen“, so die Gedanken der jungen Frau.

Die deutsch-französische Autorin Sylvie Schenk las aus ihrem größtenteils autobiografischen Roman „Schnell, dein Leben“ im Aukloster in Monschau. Foto: Thomas Schmitz/pp/Agentur ProfiPress

Es ist nicht nur eine Liebes-, sondern eine Lebensgeschichte, die Schenk vor viel zu wenig Zuschauern im Aukloster in Monschau während ihrer Lit.Eifel-Lesung vorträgt. Genauer gesagt: Es ist zu großen Teilen ihre Lebensgeschichte. Denn Louise ist Sylvie und der deutsche Student Johann, den sie in Lyon kennenlernt, ist ihrem Mann nachempfunden. „Ich habe mir aber nicht erlaubt, die echte Geschichte meines Schwiegervaters zu erzählen und auch die Kindheit von Louise und Johann ist nicht echt“, erzählt Schenk im Anschluss an die 75-minütige Lesung.

Denn die Autorin begibt sich auch auf Reise in die Nachkriegszeit, zeigt, dass es sowohl im Land der Täter als auch im Land der Opfer nur Verlierer gab und gibt, dass sie sich auf beiden Seiten mit Armut, Zerstörung, Verlust und Verbrechen auseinandersetzen müssen. Sie zeigt aber auch, dass die Lust und die Freude am Leben in Frankreich schnell wieder hergestellt sind, während die Deutschen sich schwertun, steifer und ernster sind und die Kinder bestimmten Konventionen entsprechen müssen: leise, anständig, fromm, gehorsam, zuverlässig und achtsam, nicht stehlen, nicht lügen, keine unnötigen Fragen stellen. „Und immer das Richtige tun – was das ist, wird von den Eltern vorgegeben“, liest Schenk vor. Louise selbst bemerkt das daran, dass ihr Johann in seiner Heimat ein anderer Mensch ist, verletzlich und angespannt.

Seit vielen Jahren ein treuer Begleiter Sylvie Schenks: Der renommierte Jazz-Musiker Heribert Leuchter sorgte mit eigens komponierten Stücken für eine ganze besondere Stimmung. Foto: Thomas Schmitz/pp/Agentur ProfiPress

Was auffällt bei Sylvie Schenks Vortrag ist die Perspektive, in der sie „Schnell, dein Leben“ erzählt. Nicht aus der Ich-Perspektive, auch nicht als Betrachter in der dritten Person, sondern als Ratgeberin, als direkt Beteiligte, spricht sie ihr eigenes Ich mit Du an. „Ich hatte sonst nicht genug Abstand zu meiner Heldin, deshalb spreche ich das Mädchen direkt an.“ Bei der Verlagssuche gestaltete sich das aber als hinderlich. „Ich habe auf Wunsch einiger Verlage versucht, es umzuschreiben, aber es hat nicht funktioniert. Zum Glück wollte Hanser es genauso haben und bestand auf dem Du“, erzählt sie.

Gerade zu Beginn der Lesung, als sie über Louises Kindheit in den französischen Alpen berichtet, ist die Geschichte sehr fragmentarisch. Schenk springt zwischen den Bildern, jeder Satz steht für sich, das große Ganze ist nicht auf den ersten Blick erkennbar, aber stets vorhanden. Es gibt außerdem Parallelen in den Kindheitsgeschichten von Louise und Johann: beide werden von den Erwachsenen enttäuscht. Louise in der Klosterschule, „die Nonnen schlagen lieber zu“, formuliert sie es. Johann von einer doch eigentlich so nett scheinenden Frau, die ihm im Zug aus einem Karl-May-Buch vorliest und es dabei doch nur auf den Gemüsekorb abgesehen hat. Nach der Zugfahrt ist nicht nur das für die damalige Zeit kostbare Gemüse weg, sondern auch der Winnetou-Roman.

Konzentriert folgten die Zuschauer im Aukloster den Worten der Autorin, die in Stolberg lebt. Foto: Thomas Schmitz/pp/Agentur ProfiPress

Lehrerin, Musikerin, Schriftstellerin

Sylvie Schenk, Jahrgang 1944, lebt bereits seit 50 Jahren in Deutschland, hat ihren stark ausgeprägten französischen Akzent aber nie abgelegt, ihn höchstens mit etwas Öcher Platt kultiviert, wenn sie ein Wort wie „lachen“ wie „laachen“ ausspricht, mit extra-gedehntem A. Wie ihre Protagonistin war und ist sie Lehrerin, Musikerin, Schriftstellerin. All diese Berufe und Berufungen sind bei der Lesung – und bereits davor – erkennbar.

Die Vorsitzende des Vereins Lit.Eifel, Monschaus Bürgermeisterin Margareta Ritter, freute sich sehr, dass Sylvie Schenk im Rahmen der Literaturreihe in der Nordeifel las. Foto: Thomas Schmitz/pp/Agentur ProfiPress

Um sich zu konzentrieren, spaziert Sylvie Schenk vor der Lesung summend und leise singend vor dem Aukloster umher. Die Musik spielt in ihrem Leben eine große Rolle. Und so verwundert es nicht, dass bei ihren Lesungen stets Heribert Leuchter an ihrer Seite ist, ein renommierter Jazz-Musiker aus Aachen. „Wir sind seit Jahrzehnten befreundet“, berichtet der Saxofonist und Klarinettist. Für „Schnell, dein Leben“ hat er sogar eigens Stücke komponiert – für ein dann doch nicht realisiertes Hörbuch-Projekt. Die bringt er mit Sopran-Saxofon und Klarinette zu Gehör und verstärkt die Intensivität dieser wundervollen Lesung.

Doch auch die Neugierde und Aufgewecktheit einer Pädagogin ist bei Sylvie Schenk noch vorhanden und wird erkennbar, als sie sich Alf Lechners Stahlskulptur „Die Verformung“, die vor dem Aukloster platziert ist, interessiert ansieht. Ebenfalls typisch Lehrerin: Die Autorin steht bei der Lesung. Dadurch erhält ihr Vortrag eine Dynamik, die ihre meist sitzenden Kollegen nicht erreichen.

Ein eingespieltes Team und seit vielen Jahren dicke Freunde: Autorin Sylvie Schenk und Jazz-Musiker Heribert Leuchter. Foto: Thomas Schmitz/pp/Agentur ProfiPress

Einen französischen Verlag hat Sylvie Schenk für den Roman nicht gefunden, auch wenn eine Übersetzerin schon längst angefragt hat. Selbst übersetzen könne sie das Buch übrigens nicht. „Das klingt dann nicht lebendig, sondern tatsächlich wie eine Übersetzung, mir fehlen nach so vielen Jahren in Deutschland die Worte“, gibt Schenk zu und fügt mit einem Augenzwinkern an: „Außerdem bin ich so schon schizophren genug.“

pp/Agentur ProfiPress