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Kreuzweg zum Absturzort

Kreuzweg zum Absturzort
Am 19. Juni 2008 verstarb Oberleutnant Tim Heinen (Obergartzem) bei einem Hubschrauberabsturz in einem verminten Gebirge in Bosnien. Erst 30 Tage zuvor hatte er seinen Dienst in Sarajewo angetreten. Zwei Jahre später machte sich Vater Fred zu einer “Pilgerreise” auf den Weg zum Unglücksort.
Eine Reportage des ebenfalls in Mechernich-Firmenich/Obergartzem lebenden Redakteurs Rudolph Greuel auf der Basis eines Interviews mit Anne und Fred Heinen.
“Es war Donnerstag, 19. Juni 2008, um 11.47 Uhr: Es gab noch ein Notsignal, dann stürzte der spanische Militär-Hubschrauber vom Typ Bo-105 in einem 1370 Meter hohen Gebirge nahe Travnik (Bosnien) in einen dichten Wald. Unter den vier Soldaten im EUFOR-Flieger war auch ein Mechernicher. Und zwar der 27-jährige Oberleutnant Tim Heinen, der in Zweibrücken bei der Luftlandeaufklärungskompanie stationiert war. In dem stark verminten und kaum zugänglichen Gelände, ehedem Frontgebiet im Bürgerkrieg, kam für die Insassen jede Hilfe zu spät.”
So beginnt der Mechernicher Journalist Rudolph Greuel, jahrzehntelang Redaktionsleiter der Tageszeitung “Kölnische Rundschau” im Kreis Euskirchen, seine eindrucksvolle Reportage über den eindrucksvollen Kreuzweg eines Vaters zum Sterbeort seines Sohnes.
“Zwei Jahre später, ein Mann auf Spurensuche”, schreibt Greuel: “Tims Vater Fred (59), macht sich auf den Weg von Obergartzem zum Absturzort in der Nähe des Städtchens Travnik. Mehr als 1900 Kilometer liegen vor ihm. Schwere Kilometer, denn er tritt die Reise mit einem Trekking-Rad (24 Gänge) und 30 Kilo Gepäck an.”
Aber auch ohne die selbst gewählten Strapazen würde es eine schwere Reise werden, vermutet der Autor: “Vater Fred Heinen will das kleine hölzerne Grabkreuz seines Sohnes nach Bosnien bringen, das Tims Freunde ursprünglich auf dem Friedhof der Pfarrkirche St. Hubertus in Mechernich-Obergartzem mit einem FC-Schal dekoriert hatten.” Das Kreuz wollte Fred Heinen an der Absturzstelle aufstellen, d.h. genau 300 Meter abseits, wo die Bundeswehr eine Stele zum Gedenken an die Opfer errichtet hat.
Entlang der Flüsse und Ströme:
Rheinaufwärts, Donauabwärts
Die Idee zu dieser außergewöhnlichen Aktion war Fred Heinen bereits anderthalb Monate nach Tims Tod, beim sogenannten “Sechs-Wochen-Amt” Ende August 2008 in der katholischen Kirche gekommen. Er wollte eine Pilgerreise zum Sterbeort des Sohnes unternehmen. Der berufserfahrene Vermessungsingenieur begann damit, eine geeignete Fahrtroute auszutüfteln. Er wollte sich vornehmlich an Radwege entlang der großen Flüsse und Ströme halten, vorbei an Rhein, Neckar, Kocher, und Donau. Sie sollten ihn durch Deutschland, Österreich, Ungarn und Kroatien bis zum bosnischen Zielort führen.
Rudolph Greuel: “Pfingstdienstag, 25. Mai 2010 war es so weit: Ehefrau Anne verabschiedet ihren Mann etwas sorgenvoll – auch wenn er für die ersten acht Tage in der Person von Klaus Magdziak einen gut trainierten Radfahrer aus Obergartzem zum Begleiter haben wird. Dank seiner beruflichen Beziehungen hatte Magdziak auch für die ersten Nachtquartiere in THW-Unterkünften sorgen können. Seine Ehefrau Henny begleitete die beiden Radler auf den ersten Tagesetappen im Bagage-Pkw.”
Von Obergartzem ging es zunächst in Richtung Koblenz, dann über Mainz auf Heidelberg zu. Heinen, der Reisetagebuch führte und die Etappenlängen von vorneherein immer auf rund 100 Kilometer festgelegt hatte, musste schnell erkennen, dass sich nicht alles im voraus planen und bestimmen lässt: Bereits auf der zweiten Etappe von Koblenz nach Mainz nur Regen, Regen, Regen . . .
Und Zeit zum Nachdenken, wie das war vor zwei Jahren war . . .
Rudolph Greuel: “Er war gerade auf der Rückfahrt mit dem Auto von Bayern in die Eifel, als er gegen 16 Uhr im Radio von einem Hubschrauberabsturz in Bosnien hörte. »Da habe ich mir noch nichts gedacht«, erinnert sich der Vater des Fallschirmjäger-Oberleutnants Tim Heinen heute.”
“Aber schon kurz vor 19 Uhr an der Moseltalbrücke A 61 war der Obergartzemer voller Sorge: Hieß es doch inzwischen in den Rundfunknachrichten, zwei in Zweibrücken stationierte Soldaten hätten in dem abgestürzten Hubschrauber gesessen . . .”
“Papa, da stehen zwei von
der Bundeswehr vor der Tür”
Der Autor der Reportage, die vergangenen Samstag auszugsweise in der Kölnischen Rundschau erschien, schreibt: “Fred Heinen griff zum Telefon – Anruf zuhause. Tochter Saskia war dran, ließ ihn aber gar nicht erst zu Wort kommen: »Papa, es hat gerade geklingelt. Draußen an der Tür stehen zwei Männer. Ich glaube, die sind von der Bundeswehr.«
In der Tat: Ein Oberstleutnant und ein Militärgeistlicher überbrachten gerade der Familie in Obergartzem die Hiobsbotschaft, als Vater Fred anrief. In dem abgestürzten Hubschrauber hatte Tim gesessen. Und er war bei dem Absturz ums Leben gekommen, gerade mal 27 Jahre alt . . .”
Greuel: “Seine Mutter Anne hatte den ganzen Tag über keine Nachrichten gehört und gesehen. Tochter Saskia und deren Freund Michael spielten gerade mit einem neuen Dart-Spiel. Die Todesnachricht traf alle wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Am Abend dieses Tages, der das Leben der gesamten Familie Heinen veränderte, fieberte Fußball-Deutschland mit Podolski & Co beim EM-Spiel (3:2) gegen Portugal . . .”
“Fred Heinen und Klaus Magdziak haben auf ihrer Fahrt in Richtung Süden Zweibrücken rechts liegen lassen”, fährt der Autor sinngemäß fort: “Fred Heinen erinnerte sich im Vorbeifahren an die Trauerfeier vor zwei Jahren im Heimatstandort Tims. Bundesverteidigungsminister Dr. Franz Josef Jung hielt die Trauerrede. Es war der 24. Juni 2008, fünf Tage nach dem Absturz, und zwar in der Alexanderkirche: Tim Heinen und sein Kamerad, der Oberfeldwebel Zoran Krakic, seien »gestorben, weil sie sich aktiv für eine friedlichere Zukunft auf dem Balkan eingesetzt haben«, sagte der Minister – und er wirkte sichtlich bewegt, während er es sagte.”
Einige hundert Kilometer später: Von Heidelberg ging es über Sindringen am Kocher bis nach Ellwangen. Greuel: “Das Wetter war inzwischen relativ gut, Fred Heinen hat sich »eingeradelt«, wie man so in Radtouristenkreisen sagt. Aber nun hieß es für ihn, weiterhin schwer bepackt, aber ab hier ganz allein weiterzufahren. Die Schönheiten der Landschaft nahmen zu, die körperlichen Strapazen dank wachsenden Trainings ab, aber es gab auch sehr viel Zeit, nachzudenken.”
“To(rt)ur oder
Pilgerreise”
Rudolph Greuel fragt sich in seinem Artikel: “Warum nahm Fred Heinen diese To(rt)ur auf sich?” Und antwortet in einem Atemzug: “Es soll für ihn eine Pilgerreise sein, er wollte es sich ganz einfach antun, wie er mir wörtlich sagte.” Und rekapituliert die Ereignisse von vor zwei Jahren: “Vermutliche Absturzursache war ein technischer Defekt”.
“Tim war mit Leib und Seele Soldat, aber auch immer kritisch, auch was die technische Ausrüstung bei der Bundeswehr anging”, sagt Mutter Anne. Und Vater Fred hatte Minister Jung nach der Trauerfeier gesagt: “Sorgen Sie für die beste technische Ausrüstung, damit Unglücke wie dieses nicht mehr geschehen.”
Die Tour zum Todesort des Sohnes ging weiter über Donauwörth, Abensburg, Straubing und Passau. Das Tagespensum von 100 Kilometern hat Fred Heinen eingehalten. Das hölzerne Grabkreuz, das er zwischen den Satteltaschen verstaut hat, hütete der Vater des Verunglückten wie einen Augapfel. Er erinnert sich im Interview mit Rudolph Greuel: “Das Donauhochwasser hat seinen Scheitelpunkt erreicht. Ein Tag Zwangspause, auch wegen zwei kapitalen Speichenbrüchen, ein neues Hinterrad musste her. Zumindest bei den Übernachtungen gab es keine Probleme.”
Nennenswerte Probleme hatte Mutter Anne auch nicht vor Augen, als ihr Sohn Tim am 19. Mai 2008 in den Einsatz ins bosnische Sarajewo flog. “Gott sei Dank nicht nach Afghanistan”, dachte sie. Als Glücksbringer hatte sie Tim den ersten Ring mitgegeben, den ihr Fred einst geschenkt hatte. Greuel: “Was sollte schon schiefgehen?”
Hinter der österreichischen Grenze passierte der Obergartzemer Fred Heinen auf seiner 1900 Kilometer langen Pilger-Radfahrt Linz, Tulln und St. Orth. Das Hochwasser hat dort Spuren hinterlassen. Er berichtet im Interview: “Waten durch Schlamm, Umwege, die Fähren haben ihren Betrieb eingestellt, notgedrungen musste ich in einem Container übernachten. Dann kam schweißtreibende Hitze auf, nur wenig Kühlung durch den ständigen Gegenwind . . .”
“Warum tue ich mir das an?” fragte sich Fred Heinen bisweilen selbst. Und er denkt dabei “wie schon öfters zuvor” über Schuld nach. Natürlich. Hätte er den Tod des Sohnes verhindern können?
“Man muss sein Kreuz
wie einen Schatz tragen”
Nein, natürlich nicht. Rudolph Greuel: “Die Antwort war wie immer Nein. Denn Tim (Grundschule Kommern, Marienschule Euskirchen, Abitur) ging seinen Weg. Er verpflichtete sich für zwölf Jahre beim “Bund”, machte an der Bundeswehr-Uni München seinen Diplom-Kaufmann, forcierte mit Lehrgängen seine Karriere (unter anderem durch ein Survival-Training in Norwegen) sprang 15 Mal mit dem Fallschirm ab. Egal wie schwer, seine Devise hieß »Durchhalten«. . .”
Das sagte sich auch Fred Heinen beim täglichen Anblick des Grabkreuzes. “Man muss sein Kreuz tragen und wie einen Schatz fassen, nicht wie eine Last”: Das, so Heinen, habe schon der französische Erzbischof Francois Fenelon (1651-1715) gesagt.
Rudolph Greuel schreibt: “Neusiedler See, Csepreg (Ungarn), Zalaegerzeg, Gyekenges (Ruhetag), kroatische Grenze, Durdevac – es gab kaum noch Radwege. Jetzt schaffte Fred Heinen täglich »nur« noch rund 60 Kilometer. Immer noch Hitze. die Sonne brannte. Die Straßen teils holperig. Aber da war ja, das Ziel, die Absturzstelle.”
Doch bis dahin gab es kein Durchkommen: “Deutsche Offiziere in Sarajewo, die von seiner Fahrt wussten, hatten ihn schon vorgewarnt. Der einzige Wirtschaftsweg, der zur Absturzstelle hoch oben im verminten Waldgebiet führt, war am Tag seiner Abfahrt wegen Geröllmassen und umgestürzter Bäume unpassierbar geworden . . .”
Über Garesnica ging es nach Gradiska über die bosnische Grenze bis Banja Luka. Von hier aus hatte der Hubschrauber am 19. Juni 2008 den verhängnisvollen Rückflug nach Sarajewo gestartet. Als Fred Heinen dort nach 21 Etappen und 23 Tagen ankam, wurde für ihn nach bisher gefahrenen 1900 Kilometern zur Gewissheit, dass er sein Ziel nicht erreichen würde. Der Weg zum Absturzort war noch immer verschüttet . . .
“Als Rentner komme ich wieder –
mit dem Fahrrad”
Dafür gab es in Sarajewo am Gedenkstein für in Bosnien gefallene, verunglückte und verstorbene deutsche Soldaten auf dem ehemaligen Botschaftsgelände eine kleine Gedenkfeier. Fred Heinen vertraute den Soldaten das Grabkreuz seines Sohnes an. “Sobald es möglich ist, zum Absturzort zu gelangen, fliege ich nach Bosnien und werde es dort aufstellen”, sagte er im Interview zu Rudolph Greuel. Und noch etwas: “Ich werde, sobald ich Rentner bin, diese Tour mit dem Fahrrad nochmal machen.”
Vor Ort wird er dann sicherlich auch wieder mit deutschen Soldaten sprechen, die dort Dienst tun. “Die Bundeswehr hat sich um uns nach dem Absturz sehr bemüht, wir sind gut betreut worden,” berichtet Fred Heinen. Und die spanische Regierung hat den Einsatz Tim Heinens posthum geehrt: In Berlin überreichte Botschafter Rafael de Mazarredo im Januar 2009 Tims Eltern den spanischen Militärverdienstorden im Beisein des damaligen Verteidigungsministers Franz-Josef Jung.
Abschließend schreibt der frühere Rundschau-Redaktionsleiter Rudolph Greuel, der wie Heinens ebenfalls im zur Stadt Mechernich gehörenden Doppelort Firmenich/Obergartzem wohnt: “Fred Heinen ist unversehrt wieder aus Bosnien nach Obergartzem heimgekehrt. Vor der Abfahrt hatte Ehefrau Anne einen Kuchen mit der Aufschrift gebacken »Pass joot op Dich op«. Fred Heinen hat gut auf sich aufgepasst.”
“Ihren Sohn Tim konnten Anne und Fred Heinen nicht schützen”, resümiert der Autor der Reportage: “Der hatte am 12. Juni seiner Mutter noch telefonisch zum Geburtstag gratuliert und mit der Feldpost eine Karte geschickt: »Hallo Ihr Lieben«, hieß es darin: »Alles Gute aus Bosnien und ein besonderer Gruß an Dich, liebe Mutter. Ich hoffe, Ihr habt schön gefeiert (auch wenn das ohne mich besonders schwer fällt). Hier ist alles in Ordnung . . . Bis bald, Euer Tim«. Die Karte traf zwei Tage vor dem tödlichen Absturz in Obergartzem ein.”
Tim Heinen wurde am 2. Juli 2008 in Obergartzem beigesetzt. Am 13. August 2010 wäre er 30 Jahre alt geworden.
pp/Agentur ProfiPress

Drei Fragen an Anne Heinen
Was haben Sie gesagt, als Ihr Mann Ihnen die Radtour nach Bosnien ankündigte?
Wenn Du meinst, dass Du das wirklich willst und tun musst, dann tu es.
Haben Sie sich keine Sorgen gehabt?
Ich hatte Ängste. Angst, dass er einen Unfall haben oder sogar überfallen werden könnte.
Wollen Sie nicht auch einmal zum Absturzort?
Nein, auf keinen Fall. Ich möchte aber gern mal nach Sarajewo, durch die Stadt schlendern und vielleicht die Cafés aufsuchen, in denen Tim in seiner Freizeit war.
rg/pp

Manfred Lang

21.09.2010