Ein Platz zum Treffen
Unterschiedlicher Bürger-Zuspruch der Dorfwerkstätten in Sistig und Scheven – Beide Dörfer haben den Wunsch nach einem öffentlichen Treffpunkt – Idee für Kiosk mit Bistro in Scheven – Alte Schule in Sistig soll saniert werden
Kall – Was braucht es in Dörfern, damit die Bürger möglichst lange und vor allen Dingen ohne Einschränkungen dort wohnen und leben können? Wo drückt der Schuh? Was ist schon vorhanden? Das sind die zentralen Fragen beim Projekt „Altengerechte Quartiere NRW“ des Landesgesundheitsministeriums. Im Kreis Euskirchen sind die Kaller Ortschaften Sistig inklusive Frohnrath und Steinfelderheistert mit rund 1030 Einwohnern und das „Dreigestirn“ Scheven, Dottel und Wallenthal mit insgesamt 890 Einwohnern auserkoren, dass Quartiersmanagerin Friederike Büttner sich genau diesen Fragestellungen widmet. „Es geht darum, dass die Bürger an der Dorfentwicklung teilnehmen“, sagte sie.
In Sistig klappt das hervorragend. Die Veranstaltungen im Saal des Hubertushofs bei Schopps sind regelmäßig gut besucht. Zuletzt, als es um die Nutzung der Alten Schule ging, zeigten – inklusive Vertreter der Gemeinde, die Rede und Antwort standen – mehr als 50 Menschen Interesse.
Das Thema Alte Schule ist nicht neu. Bereits vor einem Jahr wurden Wünsche geäußert, dass das Gebäude, das derzeit teilweise von Flüchtlingen bewohnt ist, wieder für das Dorf geöffnet werden soll. Bei den Dorfwerkstätten mit Quartiersmanagerin Friederike Büttner wurde ebenfalls deutlich: In Sistig fehlt es an einem zentralen Treffpunkt für allerlei Aktionen. Auserkoren wurde die Alte Schule, und zwar als Mehrfunktionenhaus.
Die Finanzierung der Sanierung, so betonte es Susanne Neumann vom Planungsbüro Neuland Plus, die mit Büttner den Abend moderierte, sei im Grunde genommen sichergestellt. Die Sanierung soll laut grobem Fahrplan im kommenden Sommer über die Bühne gehen. Eröffnung soll im Frühjahr 2018 gefeiert werden. Zum Zustand des Gebäudes äußerte sich Tobias Feld, Leiter des Teams Bauen und technisches Gebäudemanagement bei der Gemeinde Kall: „Die Grundsubstanz ist stabil, das Dach ist in Ordnung, die Fenster auch, obwohl sie alt sind.“ Wäre das nicht gegeben, wäre die Gemeinde auch nicht bereit, Geld in die Sanierung zu stecken.
Doch was soll rein in die Alte Schule? Anhand von Fragebögen, die Büttner an alle Haushalte verteilt hatte, wurden bereits einige Nutzungsmöglichkeiten abgefragt – und viel wichtiger: Wer ist bereit, sich zu engagieren? Am Abend wurden diese präzisiert. Im Bereich Beratung und Dienstleistung sind laut Ortsvorsteher Karl Vermöhlen beispielsweise Yogakurse oder Seniorensport denkbar. Auch ein Büro, in dem die Generationengenossenschaft der VR-Bank Nordeifel, die Arbeiterwohlfahrt oder die Rentenberatung tageweise untergebracht sind, wäre denkbar.
Beinahe schon sicher ist, dass der Jugendclub sein Domizil in der Alten Schule beziehen wird. Etwa 40 Quadratmeter würden benötigt, erzählte Brian Linden den Besuchern. Barrierefrei und behindertengerecht soll der Jugendtreff werden, in dem sich beispielsweise ein Kicker, eine Dartscheibe und ein Fernseher mit Sky-Anschluss, um Fußball zu schauen, befinden sollen. 15 bis 20 junge Sistiger würden den Treff wohl regelmäßig nutzen.
Im Bereich Bürgerschaft und Soziales sind unter anderem ein Repair-Café, ein Skattreff, ein Geschichtscafé oder ein offener Treff im Allgemeinen geplant – natürlich nicht immer gleichzeitig, sondern in einem „Raum für alles, der offen genutzt werden kann“, wie Friederike Büttner es formulierte. Denkbar ist auch, einen Raum für eine mobile Ausstellung oder als Café für Wanderer zu nutzen, natürlich gerne in Kooperation mit dem Dorflädchen oder einer örtlichen Bäckerei, wie Susanne Neumann erzählte.
Schevener sehen Gefahr der Vereinsamung
In Scheven ist die Resonanz auf die Dorfwerkstatt geringer, zuletzt kamen sieben Bürger in den Dorfsaal. Ortsvorsteher Hans Reiff sieht das auch darin begründet, dass grundsätzlich in Scheven, Dottel und Wallenthal schon viel los sei und dass man auf hohem Niveau jammere. „Verstecken müssen wir uns nicht“, sagt er und meint insgesamt zwölf Vereine und vereinsähnliche Organisationen, die es in den drei Dörfern gibt.
Doch Verbesserungsmöglichkeiten gibt es immer noch. Und auch ein paar Probleme. Was Reiff und die Anwesenden wirklich besorgt: Wie kann man es schaffen, Menschen, die zurückgezogen leben, vor der Vereinsamung zu bewahren? Zu einer Dorfwerkstatt kommen diese Menschen nämlich nicht, auch wenn eine Bürgerin konstatiert: „Ich finde es erstaunlich, dass die, die Hilfe brauchen, nicht kommen, sodass die, denen es gut geht, auf diese Menschen aufpassen müssen.“
Ideen, wie das funktionieren soll, gibt es einige. Reiff sieht Dorfrundgänge von sogenannten „Besuchsdiensten“ im wahrsten Sinne des Wortes als Türöffner, denn „die meisten haben nicht zu viel Besuch, sondern zu wenig“. Neubürger sollten zur besseren Integration in das Dorf im ersten Jahr von Paten an die Hand genommen werden.
Friederike Büttner setzt außerdem darauf, das Wissen von bestehenden Institutionen zu nutzen und strebt deshalb eine Kooperation mit dem Netzwerk an Urft und Olef an, das insbesondere Menschen ab 55 Jahren mit den gleichen Interessen zusammenbringt.
Was die anwesenden Bürger vermissen, ist die Möglichkeit, sich über das bestehende Angebot im Ort zu informieren – und zwar auf „analogem“ Weg, weil gerade die älteren Menschen weder ein Smartphone besitzen noch ins Internet gehen. So kam unter anderem der Wunsch auf, regelmäßig eine Dorfzeitung zu veröffentlichen.
Eine Lösung für viele dieser Probleme, die allerdings mit hohen Kosten verbunden ist, sei ein sogenannter „Multi-Laden“. Darunter versteht Hans Reiff eine Mischung aus Kiosk, Tante-Emma-Laden und Bistro. Als Verkaufsraum dient die Scheune in Scheven mit einer Größe von rund 50 Quadratmetern. Davor, so die Wunschvorstellung, soll ein Wintergarten gebaut werden, in dem Tische aufgestellt werden.
Offen und einladend soll es sein, so Reiff. Da das ehrenamtlich nicht zu stemmen sei, müsse eine 450-Euro-Kraft als Verkäuferin eingestellt werden. Das Angebot, das von Kooperationspartnern geliefert würde, bestünde aus alltäglichen Dingen: Zucker und Mehl etwa oder Backwaren. Dieses Geschäft diene als Café der Begegnung und damit auch als Möglichkeit, sich mit anderen Schevenern auszutauschen.
Bürgerverein Dottel nicht mehr führungslos
Was die Umsetzung von Ideen angeht, geht Dottel derzeit voran. Nach dem Rückzug von Bernd Klinkhammer, der dem Bürgerverein 30 Jahre lang vorgesessen hatte, war der Posten seit Mai vakant. Durch die Dorfwerkstatt in Scheven motiviert, entschloss sich schließlich Friede Röcher dazu, als Vorsitzende die Geschicke des Bürgervereins zu lenken. „Ich spüre eine Aufbruchsstimmung durch die Dorfwerkstatt und habe gemerkt: Die Zeit ist reif.“
Den Chef markiert sie aber nicht. Die Arbeit innerhalb des zehn Leute großen Vorstands sei klar verteilt, für jedes „Event“, ob Nikolaus, Karneval oder Grillfest, gebe es entsprechende Teams. „Alles ist organisiert“, pflichtet ihr Stellvertreterin Brigitte Schwarz bei. Röcher sieht ihr Engagement übergangsweise. „Ich nehme den Staffelstab, den gebe ich aber wieder weiter“, sagte sie.
Eines der ersten Projekte veranstaltet der Verein kürzlich im Bürgerhaus: Kinder mit Eltern und Großeltern bastelten Standleuchten. „Es heißt ja: »Da oben leuchten die Sterne, hier unten leuchten wir«“, zitiert Röcher das Lied „Ich geh‘ mit meiner Laterne“. Mit Transparentpapier wurden von den rund 20 Teilnehmern Gläser beklebt, die während des Martinszuges vor die Türen gestellt und mit Teelichtern beleuchtet werden sollen.
Während des Bastelnachmittags wurden Martinslieder gesungen, als Erfrischung gab es selbst hergestellten Apfelsaft von Röchers Streuobstwiese sowie Apfelstückchen der Sorte Haberts Renette.
An Projektideen mangelt es Friede Röcher nicht. Vor Weihnachten ist ein Plätzchenbacken geplant. Unter der neuen Vermieterin des Bürgerhauses – Petra Meyer löst nach rund 30 Jahren Rudi Müller ab – sollen der Frühschoppen wiederbelebt und ein regelmäßiges Erzähl- und Plauderstündchen veranstaltet werden, teils zu historischen Ereignissen aus Dottel, wie etwa der Schließung der Schule vor 50 Jahren. „Wir müssen den Kontakt zueinander wieder aufbauen, die Leute wachrütteln und füreinander da sein“, so das Ziel der Bürgervereins-Vorsitzenden.
pp/Agentur ProfiPress
Bildzeilen:
Sistig Vermöhlen:
Ortsvorsteher Karl Vermöhlen diskutiert mit Bürgern über mögliche Beratungsangebote in der Alten Schule. Foto: Thomas Schmitz/pp/Agentur ProfiPress
Sistig Publikum:
Gut besucht war der Saal des Hubertushofs bei Schopps. 50 Bürger und Gemeindevertreter beteiligten sich an den Planungen zur Neugestaltung der Alten Schule in Sistig. Foto: Thomas Schmitz/pp/Agentur ProfiPress
Alte Schule:
Das Objekt der Sistiger „Begierde“: Die Alte Schule soll saniert werden und anschließend als Multifunktionshaus dienen. Foto: Thomas Schmitz/pp/Agentur ProfiPress
Scheven:
Auch in Scheven wird über die Zukunft des Ortes und der Nachbardörfer Dottel und Wallenthal diskutiert. Hier sorgt man sich besonders um die drohende Vereinsamung einiger Mitbürger. Foto: Thomas Schmitz/pp/Agentur ProfiPress
Laternenbasteln 03:
Friede Röcher (2. v. r.) wurde durch die Dorfwerkstatt so angespornt, dass sie den seit Mai vakanten Vorsitz des Bürgervereins Dottel übernommen hat. Als eine der ersten Aktionen unter ihrer Ägide wurden Steh-Leuchten für den Martinszug von Kindern mit Eltern und Großeltern gebastelt. Foto: Thomas Schmitz/pp/Agentur ProfiPress
Laternenbasteln 06:
„Da oben leuchten die Sterne, hier unten leuchten wir“: Unter diesem Motto bastelten Kinder voller Freude im Dotteler Bürgerhaus Steh-Lampen, die während des Martinszuges vor die Haustüren gestellt werden sollen. Foto: Thomas Schmitz/pp/Agentur ProfiPress