Da kommt was auf uns zu
Wissenschaftsautor Ranga Yogeshwar (58) las und redete beim Eifel-Literatur-Festival in Bitburg über das Thema Zukunft – Online droht die individuelle Manipulation: „Jedem seine eigene Wahrheit“
Bitburg – 800 sahen und hörten den Kölner Wissenschaftsjournalisten Ranga Yogeshwar beim Eifel-Literatur-Festival in Bitburg. Der Physiker, Wissenschaftsjournalist, Autor und Moderator von Fernsehsendungen wie „Quarks & Co.“ oder „Die große Show der Naturwunder“ sprach über Zukunft.
Der 58jährige Sympathieträger gewann freundlich und natürlich sofort den Draht zur Menge. Dabei ging es nicht weniger als um „den Wandel unserer Welt“, so die Festivalberichterstatterin Anke Emmerling. Yogeshwar las aus seinem Bestseller „Nächste Ausfahrt Zukunft“.
Ein kaputter Kaffeeautomat, der Yogeshwar zwingt, seinen Kaffee nach alter Sitte mit kochendem Wasser selbst aufzubrühen, führt zu einer banalen wie tragischen Erkenntnis: Die Übertechnisierung unseres Alltags nimmt uns unsere Autarkie. „Der Automat degradiert den Verbraucher zum Knöpfchen-Drücker, kommandiert und erpresst ihn“, so schreibt Emmerling.
Zurzeit finde ein „disruptiver Wandel“ statt, doziert der populäre Autor, und der bringe eine schlagartige Verdrängung bewährter und erfolgreicher Entwicklungen durch Innovationen mit sich. Das gelte besonders im Bereich der Digitalisierung, die unsere Vorstellung von Zukunft am stärksten präge.
Smartphon so klug wie 1983 ein Rechenzentrum
Yogeshwar zeigte in Bitburg Bilder von 1983 aus einem Rechenzentrum, in dem er gearbeitet hat, Räume mit riesigen „Supercomputern“ und erklärt, dass deren Leistung heute bereits täglich für jedermann und –frau verfügbar ist, im handlichen Smartphone. Der Vormarsch von künstlicher Intelligenz und Vernetzung berge Risiken und schaffe gesellschaftliche Veränderungen, warnt der Autor und führt die Informationsübermittlung an.
Alle, die ein gedrucktes Produkt läsen, teilten die gleichen Informationen. „Im Netzwerk jedoch werden wir nach unseren Vorlieben gefüttert, jeder hat eine andere Wahrheit“. Das begünstige die Verbreitung von Fake-News und damit die Diskrepanz zwischen Fakt und Vorstellung. Besondere Gefahr berge die Lernfähigkeit der Computer. Als griffiges Beispiel dafür las Yogeshwar zunächst vor, wie er auf einem Klangkunstfestival 1979 die Begeisterung über eine synthetisch erzeugte Stimme mit dem Einwand dämpfte: „Aber sie atmet nicht“.
Anke Emmerling schreibt: „Dann ließ er die aktuelle Tonaufnahme eines Dialogs ablaufen, in der vermeintlich zwei Menschen einen Termin vereinbaren, aber einer von ihnen ist eine virtuelle Sprachassistentin, die verblüffend echt wirkt. Es folgt ein Versuch mit dem Publikum. Es soll in Hörbeispielen einschätzen, ob Klaviermusik von Menschen oder Computern gemacht ist. Weil keine Unterscheidung möglich ist, bleibt als Ergebnis eine große Verunsicherung zurück.“
Software, die täuscht und schnüffelt
Täuschungen dieser Art werden zunehmen, warnte Yogeshwar und: „Wenn wir nicht aufpassen, werden uns die digitalen Produkte eine Norm aufdrängen“. Doch damit nicht genug der bedrohlichen Zukunftsaussichten. Der Wissenschaftsjournalist berichtete über die Entwicklung von „Schnüffel-Software“ auf elektronischen Readern, die den Leser genau scannt und aus seinen Regungen sowohl personalisierte Umformungen der Lektüre wie auch Analysen seines Gesundheitszustandes generiert.
Ranga Yogeshwar gestaltete den Abend mit einem Mix aus Lesepassagen, Erzählungen, Ton- und Bildaufnahmen abwechslungsreich. Und er fesselte, weil er immer wieder eigene biografische und wissenschaftliche Erfahrungen einbrachte.
Emmerling: „Das macht ihn authentisch und überzeugend. Er leistet Aufklärung und Sensibilisierung und hinterlässt Denkanstöße. Kritische, wie die Frage: »Wollen wir eine Zukunft, in der der freie Wille nicht mehr da ist, da durch Datensammlung jeder unserer Schritte manipuliert und gelenkt werden kann?« Und ermutigende wie den Appell, offen für jede neue Erkenntnis zu sein, und im Wandel die Chance der Gestaltung zu begreifen.“
pp/Agentur ProfiPress