„Aufstehen gegen neue Rechte“
Volkstrauertag in Mechernich: Provokante Predigt von Erik Pühringer regte zum Nachdenken an, worüber das Volk neuerdings trauern sollte – Caja Bank, Giada La Rosa und Jonah Beul vom städtischen Turmhof-Gymnasium hielten der Gesellschaft den Spiegel vor: „Wir haben unser kulturelles und familiäres Gedächtnis verloren“
Mechernich – Der Volkstrauertag habe 2018 eine ganz neue und wirklich traurig stimmende Bedeutung, sagte Pfarrer Erik Pühringer in der Sonntagsmesse. Es sei an der Zeit, dass das Volk darüber trauere, dass trotz der besondere Wachsamkeit erfordernden deutschen Geschichte es nicht gelungen sei, neue rechte Kräfte im Land an gesellschaftlicher Relevanz zu hindern.
„Wir sollten traurig darüber sein, dass wir sie nicht daran gehindert haben, in alle Parlamente einzuziehen“, sagte Erik Pühringer in einer bewegenden Predigt, die auch nach Gottesdienstende für viel Diskussionsstoff und offen bekundete Solidarität unter den Gläubigen sorgte.
Der Geistliche forderte seine Gemeinde auf, klar gegen rechts Position zu beziehen und „aufzustehen gegen die, die uns weismachen wollen, wir könnten unsere besondere Geschichte und unsere besondere Verantwortung für Humanität, Völkerfreundschaft und Menschenfreundlichkeit als historische Episode getrost zu den Akten legen.“
Viel Anerkennung und Zustimmung bekamen auch die drei dieses Jahr noch sehr jungen „Festredner“ bei der anschließenden Feierstunde am Mechernicher Ehrenmal an der Alten Kirche. Caja Bank, Giada La Rosa und Jonah Beul – alle aus dem Abiturjahrgang am Gymnasium am Turmhof -, setzten sich auf ihre Art mit dem Volkstrauertag auseinander – und kamen zu dem vernichtenden Ergebnis, dass weder der Krieg, noch die Erinnerung an seine Opfer wirkliche Relevanz für ihre Altersgenossen besäßen.
Das habe eine Umfrage in der Mittelstufe des Turmhof-Gymnasiums ergeben. Aber auch eine gezieltere Befragung von älteren Schülern, die Geschichte als Leistungsfach gewählt hätten, sei kaum anders ausgefallen. Ein „12er“ Schüler hatte geantwortet: „Der Krieg ist für uns nicht real.“ Caja: „Um ehrlich zu sein: Bevor ich mich mit dem Thema nicht eingehend beschäftigt hatte, wusste ich auch nichts.“
Obwohl ihre Urgroßmutter aus der Heimat vertrieben worden sei und Geschwister durch Krieg und Flucht verlor, sei das kaum ein Gesprächsthema im Haus gewesen. Die junge Frau beklagte den „Verlust des kulturellen wie auch des familiären Gedächtnisses.“
Individualismus statt Staatshörigkeit
Jonah Beul sagte, allein schon der Begriff „Volk“ sei durch den Sprachgebrauch der Nazis als „völkisch“ verbrämt – noch immer. Auch stelle seine Generation die Absolutheit des Staates generell in Frage: „Regierungen haben schon oft geirrt“.
Er sei als Individualist erzogen worden und bemühe sich darum, eine eigene Position zu finden und zu vertreten. Es sei eine spannende und interessante Aufgabe, Menschen mit unterschiedlichen Meinungen nebeneinander zu tolerieren und zu respektieren. Giada La Rosa bedauerte es sehr, dass es immer mehr Menschen gebe, die nicht bereit seien, aus der Vergangenheit zu lernen, sondern immer wieder dieselben Fehler begingen.
Als Deutsche mit italienischen Wurzeln sei sie sehr traurig, dass sich die Gesellschaft ihrer neuen Heimat immer mehr spalte. Die Ereignisse in Chemnitz waren ein Fanal für sie: „Wir sollten alle miteinander wachsam sein, damit sich das Vergangene nicht wiederholt.“
An den Feierlichkeiten zum Volkstrauertag in Mechernich nahmen viele gesellschaftliche Gruppierungen und Vereine teil. Oberstleutnant Lars Rauhut, der Standortälteste in der Bundeswehr-Garnison Mechernich, und Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick legten Kränze nieder. Pfarrer Erik Pühringer segnete das Ehrenmal und mit ihm diejenigen, an deren gewaltsamen Tod das Denkmal erinnert.
Starke Fahnenabordnungen stellten bereits während der Sonntagsmesse in der Pfarrkirche St. Johannes Baptist, aber auch am Ehrenmal Rotes Kreuz, Jugendrotkreuz, Freiwillige Feuerwehr, TuS Mechernich, Kolpingfamilie, Festausschuss Mechernicher Karneval, Karnevalsclub „De Bleifööss“, Prinzengarde, Barbarabruderschaft, Berg- und Hüttenleute.
Rotes Kreuz stellte einen Fahrdienst
Das Rote Kreuz stellte für ältere und gehbehinderte Menschen einen Fahrdienst zwischen Johanneshaus und Ehrenmal und zurück. Musikalisch verschönerten die Bergkapelle Mechernich unter Uli Poth und der Männergesangverein um Gerhard Hallfen die Feierlichkeiten zum Volkstrauertag.
Die meisten Teilnehmer der Feierstunde besuchten anschließend auch noch den Adventsbasar im Johanneshaus am Kirchplatz. Dort wurde wieder gut gegessen und getrunken und Selbstgemachtes für den guten Zweck verkauft. In 50 Jahren haben Mechernicher Christinnen und Christen auf diese Weise 300.000 Euro für Missionsprojekte in Brasilien, Indien und Pakistan gesammelt und gespendet, die Ordensfrauen aus der Mechernicher Familie Roggendorf einst gegründet hatten.
pp/Agentur ProfiPress