„Abschrecken und vorbereiten…“
Drei von 700 Bundeswehr-Reservisten im Kreis Euskirchen, darunter der neue Mechernicher Kameradschaftsvorsitzende Dr. Ralf Heming, stehen Kölner Tageszeitungen Rede und Antwort über Motive und Struktur
Mechernich/Kreis Euskirchen – „Albert Stumm weiß, worauf er sich eingelassen hat. Wenn der Ernstfall eintreten würde, gäbe es für ihn kein Zurück mehr. Und Ernstfall kann in diesem Fall auch eins bedeuten: Krieg“: Mit diesen Worten beginnt der Redakteur Michael Schwarz (Rheinische Redaktionsgemeinschaft) eine aktuelle Bestandsaufnahme über die Bundeswehr-Reservisten im Kreis Euskirchen. Als Aufhänger diente ihm die Vorstandsneuwahl der Reservistenkameradschaft Bad Münstereifel/Mechernich vor einigen Wochen.
Es gibt 1,2 Millionen Reservisten in Deutschland, darunter aber nur 34.000 „Beorderte“, also Soldaten im Zivilberuf, die einer bestimmten militärischen Einheit zugeordnet sind und die im Ernstfall dorthin unmittelbar einberufen würden. Auch bei Rechtsanwalt Albert Stumm hängt die Uniform im Kleiderschrank: „Die Bundeswehr weiß von mir, hat mir eine Stelle zugewiesen – und da bin ich dann!“
Stumm ist stellvertretender Kreis, Bezirks- und Landesdesvorsitzender im Verband der Reservisten, aber kein bloßer Funktionär und Schreibtischtäter: Der Jurist ist sich für die Munitionsausgabe auf dem Schießplatz nicht zu schade, das Goldene Schützenabzeichen hat er außergewöhnlicher Weise unter anderem mit der Panzerfaust errungen, und er nimmt an Übungen und Märschen teil.
Freiwillig vom MAD überwacht
„Der Stabskorporal der Reserve (d.R.) lässt sich alle paar Jahre gesundheitlich untersuchen und vom Militärischen Abschirmdienst auf seine sicherheitsrelevante Zuverlässigkeit checken,“ schreibt Michael Schwarz in der Montagsausgabe der „Kölnischen Rundschau“ und des „Kölner Stadt-Anzeiger“.
Und weiter: „Wenn der Einberufungsbescheid kommt, gilt für Stumm: raus aus dem Gerichtssaal, rein in die Dienststelle, raus aus der Robe, rein in Uniform, weg von den vielen Verteidigungsfällen für seine Mandanten, ab zum großen Verteidigungsfall fürs Land.“
Ein Szenario, das seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine bei vielen Menschen stärker ins Bewusstsein gedrungen ist. Als am 24. Februar 2022 russische Panzer gen Kiew rollten, war das auch ein „Schockmoment“ für den Mechernicher Dr. Ralf Heming: „Da wurde mir klar: Ich muss mich engagieren.“
„An dem 57-Jährigen prallen die Klischees gleich serienweise ab“, schreibt Michael Schwarz: „1983 demonstrierte er im Bonner Hofgarten gegen den Nato-Doppelbeschluss. Heming ist SPD-Mitglied, promovierter Politikwissenschaftler und Mitarbeiter der SPD-Fraktion im NRW-Landtag. Politisch ordnet er sich eher links von der Mitte ein.“
Seit dem 16. Dezember ist der mit einer Mechernicherin verheiratete Ostwestfale auch Vorsitzender der Reservistenkameradschaft Mechernich/Bad Münstereifel. „Ich war nie Pazifist“, betont der „gelernte“ Panzergrenadier: „An meine 15 Monate Wehrdienst erinnere ich mich noch gerne.“
Über Verweigerung nachgedacht
Als Juso habe er aber auch über Verweigerung nachgedacht, damals in den 80ern. Doch die Worte seines Vaters hätten ihn überzeugt: „Hitler wurde nicht durch gute Worte gestoppt, sondern durch militärische Stärke…“ Das gleiche gelte wohl für andere Despoten ebenso. Diplomatie alleine reiche nicht, sagt Heming. Selbst Willy Brandt habe seine Ostpolitik mit einer starken Bundeswehr flankiert.
„Heming erinnert an Helmut Schmidt, Peter Struck und Boris Pistorius – alle drei SPD-Verteidigungsminister und in der Truppe überaus beliebt“, so der „Kölner Stadt-Anzeiger“ und die „Kölnische Rundschau“: Heming hat seit dem Angriff Russlands ein Umdenken in der Bevölkerung ausgemacht: „Als ich am Volkstrauertag von einer Veranstaltung nach Hause kam, hat mich ein Nachbar erstmals in Uniform gesehen, zunächst hat der Mann verwirrt geguckt, dann den Daumen gehoben.“
„Wann, wenn nicht jetzt?“, fragt Ralf Heming eher rhetorisch, könne das Ansehen der Bundeswehr nachhaltig gestärkt werden, nachdem sie von einst 495 000 auf 180 000 Soldaten geschrumpft worden sei, vor allem, weil 2011 die Wehrpflicht ausgesetzt worden war?
Mit dem Angriffskrieg auf ein dem Westen zu tendierendes Nachbarland habe Putin die NATO keineswegs zerstreut, wie er gehofft hatte, sondern geeint. Und das Militärische sei aus der Schmuddelecke mitten in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung gerückt worden. Nicht umsonst werde auch wieder über eine allgemeine Dienstpflicht in Deutschland nachgedacht. Zurzeit der Wehrpflicht sei die Bundeswehr tatsächlich „eine Bürger- und Parlamentsarmee“ gewesen, bekräftigt Albert Stumm.
Eine personelle Durchmischung der Streitkräfte mit normalen „Gliedern der Gesellschaft“ sei eine vernünftige Sache, so der Euskirchener Anwalt. Nach dem Ausfall des quartalsweise nachrückenden „bürgerlichen“ Nachwuchses nach Aussetzung der Wehrpflicht 2011 komme den Reservistenkameradschaften eine wichtige Aufgabe als „Bindeglied zwischen Gesellschaft und Bundeswehr“ zu.
Dr. Ralf Heming will die Reservistenkameradschaften „aus den Hinterzimmern rausholen“ und in Zukunft an Infoständen beim Stadtfest Präsenz zeigen lassen. Auch will er die Kontakte zu den sieben Dienststellen im Kreis Euskirchen verstärken.
Ambitioniert und entschlossen
„Das klingt ambitioniert und entschlossen“, schreibt Michael Schwarz Was sagt die eigene Familie dazu? „Meine Frau hat schon gefragt: Was geht denn hier ab?“, erzählt Heming. Sie habe ja einen „Sozi“ geheiratet, der die Bundeswehr zwar nie ablehnte, aber auch nicht vorneweg marschierte. „Auch mein 18-jähriger Sohn hatte schon ein paar Fragen“, erzählt Heming. Nun ist er der Vater, der Antworten gibt – ohne Zeigefinger, wie schon damals sein Vater.
Bei Stumm liegt der Fall anders. Seine Frau wusste von Anfang an, dass es im Ernstfall gefährlich werden kann. Begeistert sei sie nicht, sagt Stumm: „Aber sie sieht die Notwendigkeit, dass es ja irgendwer tun muss. Und sie vertraut darauf, dass ich ein vernunftbegabter Mensch bin, der sich nicht blind in ein Risiko wirft.“
Und die eigene Angst, jetzt, da ein Einsatz doch denkbarer ist als noch vor dem Februar 2022? „Natürlich mache ich mir Gedanken, aber ich gehe damit um“, sagt Stumm. Man dürfe doch die Bundesrepublik und ihre freiheitlich-demokratische Grundordnung keinem Feind preisgeben.
„Was Angst bedeutet, weiß auch Reinhard Marx“, geht der Redakteur Michael Schwarz schließlich auf seinen dritten Interviewpartner aus den Reihen der Reservisten ein. Der Oberst a.D. (68) ist zwar mittlerweile drei Jahre zu alt für den aktiven Einsatz, aber er erinnert sich noch gut daran, als er 2006 als Reservist im Krieg im ehemaligen Jugoslawien kurze Zeit eingesetzt war. Seine Frau habe er damals zu beruhigen gewusst, doch als in seiner Umgebung scharf geschossen wurde, „da hatte ich Angst“.
„Dass Stumm oder Heming auch einmal Gefechten so nah kommen, ist eher unwahrscheinlich“, heißt es im „Kölner Stadt-Anzeiger“. Reservisten würden ihren beruflichen Fähigkeiten und Alter gemäß eingesetzt, und zuvorderst im Heimatschutz, um etwa Wasser-, Strom oder Informationsstationen zu bewachen.
Im Land ruhen viele so genannte „Schläfer“ hinter den Linien, Menschen, die unter uns leben und arbeiten, es aber im Ernstfall auf Sabotage an der Infrastruktur anlegen werden. Oder es auch schon tun, wie Stellwerkversagen bei der Bahn oder der großflächige Ausfall kommunaler EDV in den vergangenen Monaten manche Verteidigungsexperten befürchten lassen.
In 24 Tagen zum Infanteristen
Die drei Interviewpartner wollen jedenfalls ihrerseits zum bewährten System der Abschreckung beitragen: Die Fähigkeit zum Ernstfall sei die beste Voraussetzung, ihn zu vermeiden. Neuerdings lassen sich auch Menschen im fortgeschrittenen Lebensalter, die nie gedient haben, in zwei zwölftägigen Lehrgängen zum Infanteristen ausbilden. „Reservist ist rechtlich jeder, der mindestens einen Tag gedient hat“, sagt Oberst Reinhard Marx.
Er ist Vorsitzender der Kreisgruppe Düren/Euskirchen im Verband der Reservisten in der Deutschen Bundeswehr mit rund 700 Mitgliedern in fünf Reservistenkameradschaften. Dazu gehören im Kreis Euskirchen die Kameradschaften in Euskirchen und Zülpich sowie eine weitere für Bad Münstereifel/Mechernich.
Bundesweit hat der Verband rund 110 000 Mitglieder. Der Bundestag stellt ihm aktuell 21 Millionen Euro im Jahr zur Verfügung. „Ohne Reservisten geht es nicht“, betont Marx im Gespräch mit Michael Schwarz: Diese Erkenntnis habe sich nach dem völkerrechtswidrigen Einmarsch Russlands in die Ukraine auch bei vielen Entscheidungsträgern der Republik verstärkt.
Zuständig ist der Verband für die Betreuung, Ausbildung und Information aller Reservisten und Ungedienten. Dazu gehören militärische Ausbildung wie Märsche und Schießübungen, sicherheitspolitische Bildung, Kameradschaftstreffen und internationale Kooperationen. Rund 45 500 Übungen machten die Reservisten laut Bundeswehr im Jahr 2022. „Jeder Reservist“, erläutert Marx, „hat auf freiwilliger Basis die Möglichkeit, seine im Dienst erworbenen Fähigkeiten zu erhalten.“
Im Ernstfall können Reservisten einberufen werden. Der Verteidigungsfall wird vom Bundestag festgestellt. Sollte der etwa wegen eines Angriffs dazu nicht in der Lage sein, springt ein Gemeinsamer Ausschuss ein. Sollte auch der außer Gefecht sein, ist der Bundeskanzler beziehungsweise die Bundeskanzlerin am Zuge. Vor dem Ernstfall tritt zunächst der Spannungsfall ein.
17 Prozent Reserve in Afghanistan
Der Schwerpunkt der Reserve, so Marx, liege im Heimatschutz, dem Schutz kritischer Infrastruktur sowie in Friedenszeiten auch im Rahmen der Amtshilfe bei schweren Unfällen oder Katastrophen. Auch bei der Flut 2021 seien Reservisten im Kreis Euskirchen zur Stelle gewesen.
Der Verband ist organisiert in rund 2500 Reservistenkameradschaften bundesweit. Er führt etwa 100 Geschäftsstellen mit teils hauptamtlichem Personal. Alle Reservisten und Reservistinnen, denen kein Dienstposten zugewiesen ist, sind in der Allgemeinen Reserve zusammengefasst. Diese können, soweit sie wehrrechtlich verfügbar sind, nach Bedarf und Verfügbarkeit Dienst in der Bundeswehr leisten.
„Auslandseinsätze von Reservisten kommen häufiger vor, als allgemein bekannt ist“, sagt Marx. In Afghanistan habe ihr Anteil zeitweise bei 17 Prozent gelegen. Dabei handelt es sich allerdings vorrangig um Reservedienstleistende, die noch nicht lange aus dem aktiven Bundeswehrdienst ausgeschieden sind. Einsätze im Ausland können Reservisten auch nicht befohlen werden, sie beruhen auf Freiwilligkeit.
Für die Zeit von Übungen und im Einsatz erhalten Reservisten das Netto-Gehalt, das sie in ihrem Beruf verdienen, vom Bund. Das sei auch wichtig, um Arbeitgeber für die Sache zu gewinnen. Ist das Gehalt ihres Dienstgrades höher, erhalten Reservisten dieses.
Dem NRW-Landesverband der Reservistenkameradschaft steht mit Rene Zander, Oberstleutnant der Reserve, ein Zülpicher vor. Auch Albert Stumm, stellvertretender Landesvorsitzender, wohnt in der Römerstadt und arbeitet als Anwalt in Euskirchen. Ein Führungswechsel fand kürzlich bei der Reservistenkameradschaft Bad Münstereifel/Mechernich statt: Dr. Ralf Heming löste Karl-Heinz Cuber ab, der nach zwölf Jahren an der Spitze der Kameradschaft ins zweite Glied rückte.
Der bisherige, fünfzehn Jahre tätige Schatzmeister Karl Robert Lang stand aus Altersgründen nicht mehr für eine Wiederwahl zur Verfügung, will aber seinen Nachfolger, Oberfeldarzt Dr. Jörg Harren, ins neue Amt einarbeiten und begleiten. Der Presse- und Öffentlichkeitsarbeiter der Reservistenkameradschaft, Manfred Lang, wurde zusätzlich in die Schriftführertätigkeit gewählt.
pp/Agentur ProfiPress