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Sprachbarriere aus dem Weg geräumt

Sprachbarriere aus dem Weg geräumt
Im LVR-Freilichtmuseum Kommern wird Barrierefreiheit groß geschrieben – Gebärdensprachdolmetscher Jan Wolf macht es jetzt möglich, dass auch gehörlose Kinder Spaß am Schulbesuch wie vor 100 Jahren haben
Mechernich-Kommern – Welches Kind möchte nicht einmal erleben, wie es war, vor 100 Jahren zur Schule zu gehen? Im LVR-Freilichtmuseum Kommern ist das kein Problem. Dort kann man in einem echten Dorfschulhaus, direkt über der Dorfbäckerei eintauchen in die Welt von früher, wo die Lehrer noch streng waren, Jungen ganz klar bevorzugt wurden, und man sich, wenn man etwas zu sagen hatte, zackig von seinem Platz erheben musste.
Aber ist eine solche Veranstaltung wirklich etwas für alle Kinder? Museumspädagoge Claus Cepok wird immer wieder gefragt, ob es nicht “ein spezielles Programm für Behinderte” gibt. Darauf kann er nur schlicht “Nein” sagen. “Denn alle Angebote, die wir hier haben, sind für alle Menschen da”, stellt er unmissverständlich fest. Natürlich gibt es Einschränkungen. So kommt man beispielsweise mit einem Rollstuhl nicht unbedingt in jedes Haus und jede Ecke des Freilichtmuseums.
Für gehörlose Kinder gibt es jetzt allerdings eine Barriere weniger. “Seit einem halben Jahr arbeitet das LVR-Kulturdezernat daran, mehr Angebote für Gehörlose zu schaffen”, so Cepok, um das Angebot für Menschen mit Behinderungen zu erweitern. In einem ersten Schritt habe man kostenlose Führungen angeboten, jetzt habe man sich erstmals daran getraut, auch ein Schulprojekt für gehörlose Kinder anzubieten.
Grund dafür war eine Anfrage der Mühlenfeldschule aus Kerpen-Sindorf. Die wollte mit ihren Drittklässlern am Schulbesuch wie vor 100 Jahren teilnehmen, fragte sich jedoch, ob ein solches Programm auch für gehörlose Kinder geeignet ist, die dort wie selbstverständlich mit zur Schulgemeinschaft gehören. Museumspädagoge Claus Cepok ließ sich nicht zwei Mal bitten und organisierte kurzerhand den Gebärdensprachdolmetscher Jan Wolf, damit alle Kinder gleichermaßen Spaß am ungewöhnlichen Museumsunterricht haben sollten.
Wolf ist derzeit der einzige, der sich im Kreis Euskirchen auch das Prädikat “staatlich geprüft” geben darf. In Essen und in Frankfurt am Main hat er sich in diesem ungewöhnlichen Beruf ausbilden lassen. Eines ist dem 29-Jährigen ganz besonders wichtig, nämlich, dass er kein “Übersetzer” ist, sondern dass die Deutsche Gebärden Sprache (DGS) als ganz eigenständige Sprache gilt. So unterscheidet sich beispielsweise ihre Grammatik grundlegend von derjenigen der deutschen Lautsprache. Adverbiale Bestimmungen der Zeit werden meistens am Satzanfang, Verben sowohl nach dem Subjekt als auch am Ende des Satzes “gebärdet”.
Aktiv am Geschehen teilgenommen
Zwischen Wolf und einem gehörlosen Mädchen aus der dritten Klasse stimmte die Chemie gleich von Anfang an. Wolf zeigte sich erstaunt, dass das junge Mädchen so selbstbewusst die DGS beherrschte und gar nicht erst mit Lautsprachbegleitenden Gebärden anfangen wollte. Die beiden unterhielten sich denn auch höchst angeregt aus weiter Entfernung und erlaubten sich auch den ein oder anderen Scherz, den man als Zuschauer leider nur erahnen konnte. Dank des Gebärdensprachdolmetschers war es dem Mädchen möglich, nicht nur zu verstehen, was in der Schule anno dazumal vor sich ging, sondern es konnte auch aktiv am Geschehen teilnehmen, eine Möglichkeit, die es auch gerne nutzte und so gleich mehrmals im Mittelpunkt des Unterrichtsgeschehens stand.
Wolfs Aufgabe war es vor allem, den Unterricht von “Fräulein Linn” für das Kind verstehbar zu machen. Fräulein Linn, das ist Museumsmitarbeiterin Ulla Linn, die für die Kinder die strenge Lehrerin mimte. Den Kindern wurde erklärt, dass es früher noch keine Hefte für die Volkschüler der ersten Klassen gab, sondern Schiefertafeln, auf denen man mit einem Schiefergriffel schrieb. Die Kinder erfuhren auch, dass das wichtigste Fach früher Kopfrechnen war, dass man der Lehrerin stets gehorchen musste, und dass man aus Respekt vor dem Amt des Lehrers aufzustehen hatte, wenn man etwas sagen wollte.
Wie anders die Schultaschen früher aussahen, wie laut es war, wenn eine ganze Klasse mit genagelten Schuhen die Schule stürmte und auch, wie anders die soziale Wirklichkeit mancher Kinder vor 100 Jahren aussah, dies und noch viel mehr wurde den Kindern spielerisch vermittelt. Dabei beherrschte “Fräulein Linn” die gesamte Klaviatur der Lehrerin von einst: Sie war streng, laut, fordernd, aber im Grunde genommen auch sehr herzlich.
Jan Wolf hatte derweil im wahrsten Sinne des Wortes alle Hände voll zu tun. Doch nicht nur seine Hände, auch seine Mimik und seine Körperhaltung waren in ständiger Veränderung. Er musste mit seinen Gebärden Mathematikaufgaben stellen, erklären, wie man Buchstaben der Kurrentschrift richtig schreibt, und er musste Fragen seines Schützlings an die Lehrerin weitergeben oder auch Antworten von der Gebärdensprache in die Lautsprache transportieren. Dabei zeigte sich sehr deutlich, dass gehörlose Kinder genau so intensiv und erfolgreich am Unterrichtsgeschehen teilnehmen können wie alle anderen Kinder, wenn sie nur einen Gebärdensprachdolmetscher wie Jan Wolf an der Seite haben, der ihnen dabei hilft, ihre Sprachbarriere aus dem Weg zu räumen.
pp/Agentur ProfiPress

Manfred Lang

06.07.2010