Thema suchte sich den Autor
Lit.Eifel 2018 präsentierte im Hermann-Josef-Kolleg des Klosters Steinfeld den Publizisten und Bestseller-Autor Stefan Aust (71) mit der neuesten überarbeiteten und um 150 autobiografische Seiten erweiterten Version seines Topsellers „Der Baader-Meinhof-Komplex“
Steinfeld/Eifel – Mit Stefan Aust (71) holte die „Lit.Eifel 2018“ einen der profiliertesten deutschsprachigen Publizisten zur Lesung ins Kloster Steinfeld. Der frühere „Spiegel“-Chefredakteur und aktuelle „Die Welt“-Herausgeber, Begründer der Fernsehsendung „Spiegel TV“ und Bestseller-Sachbuchautor las in der Aula des Hermann-Josef-Kollegs aus der neuesten überarbeiteten und um 150 autobiografische Seiten erweiterten Version seines Topsellers „Der Baader-Meinhof-Komplex“.
Gut 100 zum Teil prominente Zuhörer lauschten Aust nicht nur andächtig, sie bombardierten ihn geradezu mit Fragen, so auch Kalls Bürgermeister Hermann-Josef Esser, den Parallelen zwischen RAF und aktuellem IS-Terrorismus interessierten und die Frage: „Wann wird dieser Wahnsinn ein Ende haben?“
Aust, der nach eigenen Angaben nie Kommunist war, nie mit der Rote Armee Fraktion sympathisiert hat und doch einzelnen Baader-Meinhof-Leuten wie Ulrike Meinhof selbst sehr nahe stand, antwortete Esser – und es war ebenso spektakulär wie ernüchternd, was der gebürtige Landwirtssohn aus Stade den Eifelern zu sagen hatte: „Damit werden wir wohl noch eine ganze Weile leben müssen!“
Und weiter: „Der Terrorismus damals wie heute hatte eine Art religiöse Dimension, Gudrun Ensslins evangelischer Pastorenvater sprach nach den Frankfurter Kaufhausbrandstiftungen von der »heiligen Selbstverwirklichung«.“
Der Fanatismus und Dogmatismus habe schon bei den RAF-Leuten in den Siebzigerjahren ebenso religiöse Dimensionen angenommen wie heute bei den IS-Kämpfern. Beide Terrorgruppen seien zudem von den gleichen Clans und Familien in El-Fatah-Camps zu Guerillas ausgebildet worden, so Stefan Aust, der im Namen der Lit.Eifel von Kalls Bürgermeister Hermann-Josef Esser begrüßt und verabschiedet wurde.
Todesangst vor Baader und Mahler
In Steinfeld, wo Stefan Aust auch im neuen Gästehaus des Klosters übernachtete, erzählte der Autor ebenso viel aus dem neuen autobiografischen Teil wie er aus dem 1000-seitigen Gesamtwerk vorlas. Natürlich habe er Todesangst gehabt, als Andreas Baader hinter ihm her war. Zeitweise habe er Schusswaffen besessen und getragen und sei einmal nur um Haaresbreite einem Killerkommando entkommen.
Der Grund: Aust hatte Ulrike Meinhofs Töchter außer Landes geschafft und sie in Rom an den Vater übergeben. Die RAF hatte geplant, die Mädchen in einem afrikanischen Terrorcamp zu Kinder-Guerillas ausbilden zu lassen. Außerdem deckte Aust den mit ihm befreundeten und als „Verräter“ geltenden Ralf Peter Homann.
Der 71-jährige Starjournalist und Buchautor war zeitweise nah dran an den Protagonisten des „gewaltsamen Jahrzehnts“ zwischen dem tödlichen Schuss auf Benno Ohnesorg aus der Waffe eines, wie sich später herausstellte, von der Stasi beauftragten Polizisten 1967 und dem Deutschen Herbst 1977.
Wer sonst, wenn nicht Aust, hätte dieses Werk so schreiben können? Schon als Redakteur einer Schülerzeitung kam er über einen Mitschüler in Kontakt zu Klaus Rainer Röhl, dem Mann von Ulrike Meinhof. Röhl holte Aust später zu dem linken Blatt „Konkret“. „Da war ich plötzlich im Zentrum des Geschehens“, erinnerte sich Aust in Steinfeld.
Leute wie Jan-Carl Raspe, Horst Mahler, die Anwälte Christian Ströbele und Otto Schily sowie natürlich Ulrike Meinhof gingen dort ein und aus. So ist es nicht verwunderlich, dass er deren späteren Weg verfolgte: „Nicht der Autor hat das Thema gesucht“, so Aust bei der Lit.Eifel, „sondern das Thema den Autor“.
Standardwerk der RAF-Geschichte
Für die „Faz“ ist „Der Baader-Meinhof-Komplex“ ein „Klassiker der jüngeren Geschichtsschreibung“, der Redakteur Michael Hesse vom „Kölner Stadt-Anzeiger“ bezeichnet es als „das bedeutendste Buch über die RAF“ und Carsten Tergast vom „Büchermagazin“ nennt es das „Standardwerk der RAF-Geschichte“.
Stefan Aust wurde 1946 in Stade geboren. Seine journalistische Karriere begann er 1966 als Redakteur bei „Konkret“ und den „St.-Pauli-Nachrichten“. Ab 1970 arbeitete er beim Norddeutschen Rundfunk, darunter 14 Jahre lang für das Fernsehmagazin Panorama. 1988 wurde er Chefredakteur des „Spiegel TV Magazins“, 1994 wurde er zum Chefredakteur des „Spiegel“ ernannt. Aust ist außerdem an der N24 Media beteiligt und seit 2014 Herausgeber der „Welt“, deren Chefredakteur er 2016 kommissarisch war.
Der Journalist und Autor erhielt zahlreiche Preise, unter anderem den Adolf-Grimme-Preis in Silber für „Spiegel TV“, die Goldene Feder, die Goldene Kamera. „Der Baader-Meinhof-Komplex“ wurde 2008 vom Regisseur Uli Edel unter anderem mit Martina Gedeck, Moritz Bleibtreu und Johanna Wokalek verfilmt. Rund 2,5 Millionen Kinozuschauer hatte der für einen Oscar nominierte Streifen.
In Steinfeld beantwortete der Lit.Eifel-Gast zahlreiche Frage aus einem lebhaft diskutierenden Auditorium, anschließend signierte Stefan Aust seine Bücher.
pp/Agentur ProfiPress