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„Schlacke liegt überall“

Tageszeitungen greifen geogene und bergbauhistorisch bedingte Schwermetallbelastung am Mechernich-Kaller Bleiberg auf – Lokalhistoriker Peter Lorenz Könen im „Kölner Stadt-Anzeiger“: „Heutige Grenzwerte werden übertroffen, aber eine akute Gefahr für Mensch und Tier besteht nicht“ – „Kölnische Rundschau“ schreibt: „An der Metallhütte in Kall lag eine Halde, die eine halbe Million Tonnen Schlacke enthielt, und mit der in den Niederlanden Ufer befestigt wurden“ – Bei Bauarbeiten an der B 266 bislang noch nicht auf Schlacken gestoßen

Mechernich/Kall – Die „geogene“, das heisst geographisch bedingte Bleibelastung auch in den Acker- und Gartenböden rund um den Mechernich-Kaller Bleiberg ist hoch. Das ist sozusagen gottgewollt oder entwicklungsgeschichtlich bedingt, da kann man nichts dran machen.

Eine halbe Million Tonnen Schlacke hinterließ die Kaller Metallhütte bei ihrer Schließung Anfang der siebziger Jahre. Das Material kam zur Küstenbefestigung in die Niederlande, auf dem geräumten Gelände entstand das Kaller Gewerbegebiet. Archivfoto: Gemeindearchiv Kall/pp/Agentur ProfiPress

Zu einer zum Teil dramatischen Anreicherung mit Blei, Zink, Zinn und Kadmium kam es dann allerdings während der mehrhundertjährigen Bleiabbau- und Verhüttungsgeschichte. Entlang des Bleibachs standen Dutzende Pochwerke und Bleischmelzen. Vor allem dort, wo Waschgut, Erzsände und schließlich Schlacken aus der Bleiproduktion verkippt oder im großen Stil auch im Straßenbau als „Packlage“ verwendet wurden, kam es zu heute höchst bedenklichen Schwermetallkonzentrationen im Boden.

Wanderdünen aus Bleisand, Bleivergiftung bis Erftstadt

Sie sind zwar nicht „geogen“, wie die allgemeine Bleibelastung im Raum Mechernich-Kall, aber historisch bedingt und allerorten vorhanden. Ein großes Problem waren die Bleisandberge auf „Spandau“, wie das Mechernicher Bergwerk im Volksmund genannt wurde, und entlang des Bleibachs zwischen Kalenberg und Roggendorf.

Dort gab es bis Anfang der achtziger Jahre weite, biologisch scheinbar tote Landschaften aus weißem Bleisand. Der Wind verteilte den feinen Sand im Umland, am Bleiberg gab es Wanderdünen, die ganze Waldteile unter sich begruben.

Nach heutigen Kriterien belastete Schlacken und Sande vom Bleiberg wurden beim Straßen- und Wegebau – hier eine Baumaßnahme in Mechernich – in der ganzen Region verbaut. Archivfoto: Stadtarchiv Mechernich/pp/Agentur ProfiPress

Die Bleibelastung bei vielen Menschen war damals vermutlich signifikant, entlang des Bleibachs kam es bis Erftstadt nach Hochwassern immer wieder zu tödlichen Bleivergiftungen beim Weidevieh.

Dieter Mahlberg und Wolfgang Rau sorgen für Aufklärung

Dann gab es eine große Aufklärungskampagne über die in der Bevölkerung weitestgehend verdrängte und verharmloste Bleisandproblematik – ausgelöst vom späteren DGB-Landesvorsitzenden Dieter Mahlberg aus Euskirchen und publizistisch befördert vom späteren Euskirchener Stadt-Anzeiger-Redaktionsleiter Wolfgang Rau. Der damalige Kölner Regierungspräsident Dr. Franz-Josef Antwerpes sorgte für eine großflächige Abdeckung der Sandhalden und Wanderdünen.

Damit sie sich nicht an Bleidämpfen vergifteten, trugen die Arbeiter in Aufbereitung und Verhüttung am Mechernicher Bleiberg Schutzmasken. Auch über den Verdauungstrakt werden Schwermetalle aufgenommen. Deshalb wurde die Abdeckung quadratkilometergroßer Bleisandhalden zwischen Kalenberg und Roggendorf sowie zwischen Bergheim und Strempt in den achtziger Jahren forciert. Entlang des Bleibachs kam es nach Überschwemmungen bis Erftstadt zu Bleivergiftungen beim Weidevieh. Es gab eine Bleischadenskasse, die Todesfälle finanziell regulierte. Archivfoto: Stadtarchiv Mechernich/pp/Agentur ProfiPress

Die in der Nordeifel erscheinenden Kölner Tageszeitungen haben das Thema jetzt in einem Interview mit dem Mechernicher Lokalhistoriker und Bergbauexperten Peter-Lorenz Könen erneut aufgegriffen. Allerdings mit weit weniger greifbaren Ergebnissen.

In einem Interview mit dem Kölnische-Rundschau-Redakteur Bernd Kehren bezieht sich Könen auf Recherchen von Rainer Haas aus Kall-Scheven, wonach auch beim Bau der Bundesstraße 266 Schlacke, Haldenabfall aus dem Bergbau, Kies und teilweise altes Straßenpflaster verbaut wurden. Diese Straße wird zurzeit saniert.

Beim Durchstich Bahnhofsberg tonnenweise Abraum entsorgt

An zwei Stellen bei Gemünd-Mauel wird bis zu drei Meter tief ausgebaggert, um die B 266 talseitig abzustützen. Bislang sind die Bauarbeiter (noch) nicht auf altes Abraummaterial gestoßen, so Bernd Aulmann, der Medienbeauftragte des Landesbetriebs Straßen, im Gespräch mit „Kölner Stadt-Anzeiger“ und „Kölnischer Rundschau“.

In Verdachtsfällen würden Proben entnommen. Nach der Untersuchung werde entschieden, ob das Erdreich entsorgt werden muss. In diesem Fall werde das Material entweder deponiert oder behandelt und entsorgt. Beim Durchstich des Bahnhofsbergs in Mechernich habe tonnenweise Abraummaterial aus dem Bergbau deponiert werden müssen.

Das moderne Kall mit beträchtlich gewachsenem „ersten“ Gewerbegebiet, einem Einkaufszentrum, das weit über die gemeindegrenzen hinaus aufgesucht wird. Luftbild: Felix Lang/pp/Agentur ProfiPress

Bernd Kehren schreibt: „Bis zu 70 Zentimetern Tiefe werde im Straßenbau das Material in der Regel maximal abgetragen. Aufgrund der geringen Tiefe habe man seines Wissens, so Projektleiter Andreas Groß vom Landesbetrieb, noch in keinem Fall Schlacke nachgewiesen.“

Laut Groß hat man auch bei den bereits durchgeführten Bohrungen keinerlei Schlacke festgestellt. Es sei aber nicht auszuschließen, dass die Baufirma noch auf Reste aus dem Bleibergbau stößt. Dann sei entscheidend, ob die Schlacke-Schicht abgetragen und entsorgt oder abgedichtet werden könne.

Weiße Planen bei McDonald’s haben nichts mit Blei zu tun

Bernd Kehren: „Mit Schlacke und Bergbau und belasteten Böden nichts zu tun haben indes die weißen Planen, mit denen auf dem Gelände neben McDonald’s in Kall Material abgedeckt ist. Laut Michael Heller, Allgemeiner Vertreter des Kaller Bürgermeisters, handelt es sich um recyceltes Material, konkret um aufbereitetes Abbruchmaterial von Häusern.“

Das Unternehmen „Hilger Holz“ aus Broich, das nach Kall zieht, benötige es, um den Boden zu begradigen. Durch die Planen wird laut Heller verhindert, dass Staub weggeweht wird oder mit Regen in Berührung kommt. Wird dieses Material nämlich nass, dann lasse es sich nicht mehr so gut zur Verdichtung des Bodens verarbeiten.

Der eingangs erwähnte Mechernicher Lokalhistoriker Peter-Lorenz Könen sagte „Rundschau“ und „Stadt-Anzeiger“, man müsste, um alle Sicherheiten gegenüber dem Bürger garantieren zu können, alle Straßen, Wege, Waldwege und landwirtschaftliche Wege in der Region entfernen: „Die Schlacke liegt überall.“

Bis in die siebziger Jahre existierten die bis zu 500.000 Tonnen messenden Schlackenhalden „op Schließemaar“, wie das Gelände der Kaller Metallhütte im Eifeler Volksmund genannt wurde. Dann wurde das Material in die Niederlande gebracht und bei der Küstenbefestigung verbaut. Das (schlechte) historische Bild zeigt die Verkippung von Schlacken mit Hilfe der werkseigenen Eisenbahn. Archivfoto: Gemeindearchiv Kall/pp/Agentur ProfiPress

Gefahren für Mensch und Tier sieht Könen allerdings keine. Bleivergiftungen könne man sich nur durch Einatmen von Bleidämpfen oder über den Verdauungstrakt zuziehen. Untersuchungen auf den verbliebenen Metallgehalt von Bleischlacken seien kaum bekannt.

Die „Kölnische Rundschau“ schreibt, Könen habe sich in einem Aufsatz für die Informationsblätter der Arbeitsgruppe Bergbaugeschichte mit dem Verbleib von Bleischlacke am Bleiberg beschäftigt. Sie wurde auf Halden gekippt, die wohl letzte sei noch heute auf der Peterheide zu besichtigen.

Die Halden seien im 19. Jahrhundert billig verkauft worden. Die Erben der Wallenthaler Bergbaufamilie Huttanus annoncierte im Februar 1847 im Wochenblatt und Anzeiger für den Kreis Schleiden und Umgegend eine drei Morgen große Sandhalde in der Bürgermeisterei Keldenich „billigst“, in der „sich Mineralien von Erzen und Bleischlacken vorfinden“.

Jede Menge Haldenmaterial kam in den Straßen- und Wegebau

„Zum Teil wurden die Sandhalden auch mit Mutterboden abgedeckt und aufgeforstet“, so Könen im „Kölner Stadt-Anzeiger“. Bleischlacke sei „massenhaft im Wegebau verwendet worden“, so der Mechernicher im Mediengespräch. Im Wochenblatt und Anzeiger von 1847 fand Könen Hinweise, dass Schlacken für die Straße von Mechernich nach Vussem genutzt wurde, zur Pflasterung von Wasserrinnen in Floisdorf, zum Wegebau in Floisdorf und zur Reparatur eines Weges von Glehn nach Bleibuir. Gekauft wurde jeweils die Schlacke vom „Wenigstnehmenden“.

Laut Könen wurde das Haldenmaterial bis in die 1950er Jahre im Straßenbau verwendet: „Im Mühlental in Kommern erstreckte sich eine etwa 20 Meter hohe Halde von der Elisabethhütte bis zum Pirath & Jung’schen Verwaltungsgebäude“. Letzteres befand sich dort, wo heute die Fußgängerbrücke die B 477 überspannt.

Die Belegschaft der Metallhütte Kall im Jahre 1908. Archivfoto: Gemeindearchiv Kall/pp/Agentur ProfiPress

Der frühere Kommerner Gemeinde- und Amtsdirektor und Heimatforscher Norbert Leduc schrieb: „Die Bleischlacken, die man Anfang dieses Jahrhunderts zu einem Teil noch einmal aufbereiten ließ, wurden jahrzehntelang als Straßenbaumaterial für die Kreisstraßen und Gemeindewege im gesamten Gebiet des Kreises Euskirchen verwendet. Zu diesem Zweck mussten die Schlacken in mühsamer Handarbeit auf Schottergröße »geklopft«, also mit dem Hammer zerschlagen werden.“

Laut Leduc in „Kommern, ein ortskundliches Lexikon (von 1979)“ kam die ehemalige Gemeinde Kommern 1955 tauschweise in den Besitz einer größeren Haldenfläche. Bleischlacken wurden nach der Flurbereinigung 1957 bis 1959 zum Bau von Wirtschaftswegen genutzt. Natürlich waren auch an der Metallhütte in Kall Schlacken in einer  riesigen Halde aufgetürmt. Sie bestand aus einer halben Million Tonnen Schlacke, die in die Niederlande verkauft und zur Uferbefestigung an der Küste genutzt wurde.

Auf dem Grund der Metallhütte entstand Kaller Gewerbegebiet

In Kall wurde noch weit nach dem „Ende auf Spandau“, so der Titel einer Serie und eines Sonderheftes des „Kölner Stadt-Anzeiger“ 1994 zum 40. Jahrestag der Bergwerksschließung, Blei verhüttet. Und zwar aus australischem Erz, das bis 1970 um den halben Erdball verschifft wurde, um in der Eifel verhüttet zu werden, wo es selbst große Bleierzvorkommen gab, deren Abbau aber 1957 als unwirtschaftlich eingestellt worden war.

In den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts bekam Wachendorf eine Wasserleitung. Dass auch dort Bleischlacke zum Verfüllen der Gräben verwendet wurde, darf wegen der Ferne zu Spandau bezweifelt werden. Aber bei anderen Leitungsverlegungen und Wasserrinnenbauten wurde lang auf schwermetallbelastetes Abraummaterial vom Bleiberg zurückgegriffen. Archivfoto: Stadtarchiv Mechernich/pp/Agentur ProfiPress

Während in Mechernich unmittelbar nach der Bergwerksschließung die Bundeswehr eine atombombensichere „Untertageanlage“ unter Bleiberg und Buntsandstein bis in den Granituntergrund trieb, entstand auf dem Gelände der Kaller Metallhütte das prosperierende erste Kaller Großgewerbegebiet.

pp/Agentur ProfiPress