Russischer Alltag aus Kindersicht
Lit.Eifel-Veranstaltung mit der Literaturübersetzerin Barbara Schaefer im Pfarrheim Imgenbroich – Drei Geschichten Anton Tschechows standen im Mittelpunkt – Russische Musik rundete den äußerst gelungenen Abend ab
Monschau-Imgenbroich – Manchmal geschehen glückliche Zufälle: Kurz, nachdem Dr. Josef Schreier und der Verein Lit.Eifel den Vertrag mit der deutsch-schweizerischen Übersetzerin Barbara Schaefer für eine Tschechow-Lesung festgezurrt hatten, lernte Schreier die junge Sängerin Leyla Mammedov aus Baku (Aserbaidschan) kennen, die in Herzogenrath lebt. Flugs kam ihm in den Sinn, dass die Musik als perfekte Umrahmung für die Erzählungen dienen könne. Und tatsächlich gelang die kulturelle Symbiose aus russischer Literatur und russischer Klassik.
Drei Erzählungen hatte die ursprünglich aus Pirmasens stammende, aber seit 30 Jahren in Bern lebende Barbara Schaefer aus dem reichhaltigen Repertoire Tschechows ausgewählt. In zweien spielten Kinder eine große Rolle, die dritte war pure Komödie.
In seiner Anmoderation hatte Josef Schreier die Veranstaltung als „besondere Besonderheit“ und Schaefer als „besondere Literaturvermittlerin“ angekündigt und die Erwartungshaltung in die Höhe getrieben. Doch Schreier hatte nicht zu viel versprochen. Die rund zwei Dutzend Zuhörer, die ins Pfarrheim nach Imgenbroich gekommen waren, erlebten einen vergnüglichen Abend.
Zunächst widmete sich Schaefer dem fast dreijährigen Jungen Grischa. Das wohlbehütete Pummelchen darf zum ersten Mal vor die Tür, wo es eine gänzlich neue Welt erlebt. Er sieht Soldaten in Uniformen mit glitzernden Knöpfen, streunende Katzen, gefährliche Glasscherben. Diese aus Kindersicht absonderlichen neuen Eindrücke beschreibt Anton Tschechow in der Kurzgeschichte vortrefflich, er lässt den Leser respektive den Zuhörer an der Gedankenwelt Grischas teilhaben. Komplett aufgewühlt und fiebrig von den Eindrücken des Tages wird der Junge abends von der Mutter ruhiggestellt.
Anschließend begab sich Barbara Schaefer in der Geschichte „Eine Lappalie“ mitten hinein in die Beziehung zwischen Nikolai und Olga. Das Verhältnis wird von Tschechow als „wie ein sich in die Länge ziehender Roman“, beschrieben, dessen „erste beflügelnde Seiten längst gelesen sind“ und in dem es nun nichts Aufregendes mehr zu erzählen gebe. Doch Olgas Sohn Aljoscha sorgt als Spannungsheber, als er Nicolai im Vertrauen erzählt, dass er sich heimlich mit seinem Vater treffe, dem einstigen Ehemann Olgas. Dass der natürlich kein gutes Wort an Nicolai lässt, lässt den sein Ehrenwort vergessen. Und so hat Aljoscha am Ende der Geschichte gelernt, was Lügen und Heuchelei sind.
Dramatischer Vortrag
Bei dieser zweiten Geschichte wurde deutlich, dass Barbara Schaefer nicht nur Übersetzerin ist, sondern tatsächlich eine Literaturvermittlerin, wie Schreier es angekündigt hatte. Sie flüsterte, dramatisierte, dass es eine Wonne war, ihr zuzuhören. Dass die Geschichten Tschechows dem Zeitgeist ihrer Epoche entsprechen und damals hochaktuell waren, für heutige Zuhörer mit ihrer unaufgeregten Art aber fast schon banal erscheinen, tat deshalb nichts zur Sache.
Deutlich moderner wirkte die letzte Geschichte, die heitere Erzählung „Das Kunstwerk“, in dem ein frivoler Bronzekerzenleuchter ständig weiterverschenkt wird, weil sie den neuen Besitzern nicht sittsam genug erschien. Die beiden dargestellten Frauen im Eva-Kostüm hätten eine Pose eingenommen, die der Erzähler wegen fehlender Courage und mangelndem Temperament nicht beschreiben will. Wie Tschechow hier den Beschenkten immer neue Ausreden in den Mund legt („Selbst die Schlange im Paradies hätte nichts Obszöneres herstellen können“ sagte der Arzt, der den Leuchter als erster geschenkt bekommt), ist urkomisch – genauso wie die Pointe am Schluss.
Was während des Lesens auffällt: Barbara Schaefer trägt beinahe akzentfrei vor. Im normalen Gespräch ist es aber eine interessante Mischung aus Pfälzisch und Schwyzerdütsch mit einem Wiener Einschlag. Zu Tschechow hat sie während ihres Slawistik-Studiums gefunden, ihre Magisterarbeit trug den Titel „Die Darstellung des Kindes in den Erzählungen Anton Tschechows“. Durch einen Zufall arbeitete sie später an einer Neuübersetzung von Tschechows Werken mit, was sie als „Geschenk und Ehre“ bezeichnete.
Wie die russische Sprache klingt, hörten die Zuschauer natürlich durch die Gesangsbeiträge von Leyla Mammedov, die von Markus Berzborn am Klavier begleitet wurde. Stücke von Tschaikowski, Rachmaninow und Rimski-Korsakow brachten die beiden zu Gehör. Aber auch dem Wunsch eines Zuhörers, der gerne eine Kostprobe von Tschechow im Original hören wollte, wurde entsprochen. Allerdings las nicht Barbara Schaefer, sondern Diplom-Regisseurin Tatjana Jurakowa vom Theater Jurakowa-Projekt in Herzogenrath gab den Anfang von „Grischa“ im russischen Original zum Besten.
pp/Agentur ProfiPress