„PULS“ der Zeit . . .
Kunstfilmprojekt mit Behinderten und Prominenten des Künstlers Rolf A. Kluenter wird ab dem 7. Oktober im Stadtmuseum (Kulturhof) Euskirchen gezeigt – „Oper“, „Wagner“, „Gesamtkunstwerk“ „Metaphern für das Leben“ zeigen: „„Das Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderung ist die normalste Sache der Welt“
Euskirchen – Der Künstler diesseits mehrerer Kameras ist schweißgebadet. Der Musiker, den er im Tonstudio Lehser in Zülpich filmt, klimpert hingegen ganz entspannt auf seiner Gitarre. „Puls, Puls, Puls“ summt er hin und wieder in die gezupfte Melodie hinein. Der Herzschlag des Künstlers, Rolf A. Kluenter, so scheint es, rast. Der des Musikers, „Wibbelstetz“, „Troubadour“ und „Eifel-Gängster“ Günter Hochgürtel, dümpelt mit geschätzten 80 Schlägen so dahin. Bruno Lehser am Mischpult wirkt ebenfalls ganz „cool“.
So widersprüchlich die Aufgabenverteilung an diesem Abend, so avantgardistisch und pointiert ist das Kunstfilmprojekt „Puls – Stadt, da pocht das Herz“, das der aus Bürvenich (Stadt Zülpich) stammende und vornehmlich in Shanghai lebende und wirkende Film- und Aktionskünstler Kluenter seit knapp zwei Jahren mit behinderten Frauen und Männern aus dem Heilpädagogischen Zentrum „Haus Lebenshilfe“ in Zülpich umsetzt.
„Und zwar auf Augenhöhe“, wie Kluenter betont: „Hier (be-)lehrt keiner den anderen, alle bringen sich ein, sind kreativ, ungeheuer impulsiv. Das sind sensationelle Leute. Ich mache die Behinderten zu Schauspielern und sie machen mich zum Künstler.“ Im Puls-Filmezyklus, der ab 7. Oktober und bis Ende Januar im Stadtmuseum Euskirchen gezeigt werden soll, spielen sieben Menschen mit Behinderung die Hauptrollen.
In verschiedenen Filmszenen rund um den Euskirchener Bahnhof interagieren sie mit dem Düsseldorfer Autor und Performer Andreas Albrecht – und hinterfragen gleichzeitig die Definitionen „behindert” und „nicht-behindert”. Auch „Promis” wie Bürgermeister Dr. Uwe Friedl, Landrat Günter Rosenke, Lebenshilfe-Geschäftsführer Rolf Emmerich, Diakon Manfred Lang und eben der eingangs erwähnte Chansonnier Günter Hochgürtel agieren vor Kluenters Kameras.
In einer der ersten Szenen unterhalten sich zwei Behinderte über Behinderung – das ist etwas völlig anderes, als ob Wissenschaftler darüber dozieren. Und am Ende fragt einer einen anderen nach der Zeit. Und der gibt falsche Auskunft, wie die Bahnhofsuhr zeigt. Wer ist eigentlich im richtigen Film?
200 Drehtage in acht mal 28 Minuten komprimiert
Der sich seine Welt leistungsorientiert selbst erschaffen will und an der Realität scheitert? Kluenter: „Oder der, der die Welt erwartungsfrei so zu sehen vermag, wie sie ist, und möglicherweise dank seiner vorgeblichen Behinderung so etwas erreicht wie den Zustand der Gnade?“
Am Ende soll während der Ausstellung im Kulturhof in der Wilhelmstraße Euskirchen auf acht Monitoren in jeweils 28 Minuten langen Filmsequenzen eine Botschaft zum Ausdruck gebracht werden, die Kluenter so formuliert: „Das Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderung ist die normalste Sache der Welt“.
Eine ganze Stadt ist gespannt auf das Filmerlebnis und dieses Ergebnis. Ist Euskirchen doch die Kulisse des Kunstfilms – und der kreisstädtische Bahnhof das pulsierende Herz in ihrem Zentrum, über dessen Gleise die Blickachsen wandern, deren Eckpunkte das Amaron-Parkhotel und das Quartier City Süd der Euskirchener Baugesellschaft an der Vogelrute sind, in dem das HPZ Lebenshilfe seine Autismus-Ambulanz untergebracht hat.
Dort hat Rolf A. Kluenter vor anderthalb Jahren seine Dreharbeiten gestartet. Vor der Kamera malten, agierten, sprachen und rezitierten unter anderem autistische Menschen, Therapeuten, Lebenshilfe-Geschäftsführer Rolf Emmerich und Diakon Manfred Lang. Später interviewte Kluenter auch Bürgermeister Dr. Friedl und Landrat Günter Rosenke.
Seither sind 200 Drehtage vergangen, stundenweise Filmmaterial bespielt, noch mehr Zeit mit schneiden, vertonen, arrangieren komplizierter Szenenwechsel verbracht, um Lebensmetaphern umzusetzen, Parallelen zu knüpfen, Platons Höhlengleichnis in lange Schatten auf Euskirchener Bahnsteigen zu projizieren und alles in allem den Puls der Zeit pochen zu lassen und in Filmszenen und Standfotos zu zeigen, wie das Leben so spielt.
Dreh- und Angelpunkt von „Puls – Stadt, da pocht ein Herz!” ist der Euskirchener Bahnhof, die Züge, die dort eintreffen und abfahren, sind wie das Leben. Mal sitzt man drin, manchmal rauscht das Leben an einem vorbei und man sitzt auf dem Bahnsteig fest. Was haben Segelschiff und Zug gemeinsam, was unterscheidet ein Leben auf Schienen von der Schifffahrt?
Angelegt als Reportage, so Kluenter, werde die Videoinstallation in ihrem Verlauf zu einer Mischung aus Schauspiel und Poesie. Sie hat Handlung – sogar einen integrierten Krimi um eine verschwundene Tasche, eine angedeutete Liebesgeschichte, philosophische Anwandlungen über die Zeit. Kluenter kommt selbst ins Schwärmen: „Das ist Gesamtkunstwerk, das ist Oper, das ist Wagner!“
Inklusion und ein Abschied auf Raten
Wer Kluenters gemeinsam mit den „Lebenshilfe“-Leuten, Filmschauspielern und Bürvenicher und Eppenicher Bürgern umgesetztes dörfliches Filmkunst- und Fotoaktionsprogramm „Kleiner Kosmos Felsenkeller“ anlässlich der Landesgartenschau Zülpich in Erinnerung hat, der weiß, warum man sich nun die urbane Kunstfilmvariante in Euskirchen unbedingt anschauen sollte.
Zumal der Eintritt mit zwei Euro pro Erwachsenem und einem für Ermäßigte sehr überschaubar ist. Die sich über zwei Jahre hinziehenden Dreharbeiten sind gesponsert worden. „Gott sei Dank gibt es Menschen und Einrichtungen, die ein Herz für solche Kunstprojekte haben, zumal es hier um Inklusion in Reinkultur geht“, so Rolf A. Kluenter.
Dennoch sind die nunmehr sechs Jahre währenden Projektarbeiten mit Behinderten in der alten Heimat Bürvenich und der letzte Schliff für die Ausstellung für ihn „ein langer Abschied auf Raten“. Nach der Eröffnung im Oktober will er nochmal im Januar zu persönlichen Führungen nach Euskirchen kommen, dann will und muss er sich wieder mehr um die Familie in Shanghai, seine Kunstdozenturen in China und Nepal, Ausstellungen und sein avantgardistisch künstlerisches Fortkommen kümmern.
„Es soll aber kein tränenreicher Abschied werden“, verriet der Bürvenicher, dessen Mutter aus Schützendorf stammt, im Interview: In seinem zum Künstlerhof umgebauten elterlichen Bauernhof will er in Zukunft sporadisch Workshops anbieten, in denen Lebenshilfe-Bewohner und andere Kursteilnehmer zusammen arbeiten.
pp/Agentur ProfiPress
Sonderausstellung:
7.10.2017 – 28.01.2018, Rolf A. Kluenter: „PULS – Stadt, da pocht ein Herz!“, Video-Installation auf sieben parallel geschalteten Bildschirmen und einem weiteren Monitor zusammen mit konzeptionellen Fotografien des Künstlers, Stadtmuseum Euskirchen im Kulturhof, Wilhelmstraße 32 – 34, 53 879 Euskirchen, Tel.: (0 22 51) 650 74 34, museum@euskirchen.de; www.kulturhof.de/museum, Eintritt ein und zwei Euro, Öffnungszeiten: Di, Mi, Fr 15 – 18 Uhr, Do 15 – 19 Uhr, Sa 11 – 15 Uhr, So 11 – 18 Uhr, Begleitprogramm www.kulturhof.de/museum, zur Ausstellung erscheint ein Katalog. Mit freundlicher Unterstützung von: Lebenshilfe HPZ, EUGEBAU, e-regio, Parkhotel, Urfey Euronix