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„Mit Tschernobyl fing alles an“

Die Reaktorkatastrophe vor 30 Jahren ist Ursprung der Hilfsgruppe Eifel – Vorsitzender Willi Greuel erinnert sich an die Anfänge

Mechernich/Kall – Der 26. April 1986, der Tag der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl, Synonym für Schrecken, Leid und Tod, veränderte auch das Leben des Lückerathers Willi Greuel. Kurz nach der Explosion des Reaktors, nahm die Hilfsgruppe Eifel ihre Arbeit auf.

Willi Greuel hat mit Helmut Lanio und anderen im Raum Kall/Mechernich nach der Tschernobyl-Katastrophe die „Hilfsgruppe Eifel“ gegründet – zunächst, um krebskranken Kindern aus der Urkraine unbeschwerte Eifelferien zu ermöglichen. Ein Kind aus einer der ersten Reisegruppe, Alonka, änderte alles.

Im Sommer 1992 waren erneut weißrussische Kinder in Bleibuir zu Gast. Unser Bild zeigt sie mit Cleo, dem Hund, den Willi Greuel damals besaß. Foto: Reiner Züll/pp/Agentur Profipress
Im Sommer 1992 waren erneut weißrussische Kinder in Bleibuir zu Gast. Unser Bild zeigt sie mit Cleo, dem Hund, den Willi Greuel damals besaß. Foto: Reiner Züll/pp/Agentur Profipress

„Wir beschlossen spontan, ihr nicht nur die Ferien zu ermöglichen, sondern ihre Krebstherapie zu finanzieren und dafür Geld zu sammeln“, so Willi Greuel und Helmut Lanio: „Ohne das bewusst zu planen, haben wir mit Alonka dem Schicksal ein Gesicht gegeben!“ Die Eifeler nahmen starken Anteil und spendeten in einem Umfang, wie man es bis dahin im früher bettelarmen „Preußisch-Sibirien“ nicht für möglich gehalten hätte.

Das ist bis heute so. Alonka ist trotz allen Bemühungen gestorben, aber an ihrer Stelle hat die Hilfsgruppe Eifel seither Hunderten anderer junger Krebs- und Leukämiepatienten helfen können. Lanio sagte in einem Interview mit der KirchenZeitung für das Bistum Aachen: „Immer geht es um konkrete Menschen und um konkretes Leben.“ Heute vergibt die Hilfegruppe Eifel mit Sitzen in Kall und Mechernich zwischen 300.000 und 350.000 Euro Spenden – im Jahr.

Der Moskauer Botschaftsarzt Dr. Martin Friedrichs (rechts) unterstützte die Hilfsgruppe, die damals noch kein Verein war, 1991 bei Aktionen für die Tschernobyl-Kinder. Foto: Reiner Züll/pp/Agentur Profipress
Der Moskauer Botschaftsarzt Dr. Martin Friedrichs (rechts) unterstützte die Hilfsgruppe, die damals noch kein Verein war, 1991 bei Aktionen für die Tschernobyl-Kinder. Foto: Reiner Züll/pp/Agentur Profipress

„Mit Alonka bekam das Schicksal ein Gesicht“

Die Gruppe um Lanio und Willi Greuel hat 25.000 Menschen zur Typisierung als Knochenmarkspender für Leukämiekranke animiert. Die KirchenZeitung schreibt: „Von diesen potenziellen Spendern aus der Eifel sind mittlerweile fast 300 zum Einsatz gekommen, um einem anderen Menschen irgendwo auf dem Erdball das Leben zu retten.“

Der Redakteur Michael Schwarz und der Journalist Tom Steinicke erinnern jetzt zum Jahrestag der ausschlaggebenden Tschernobyl-Katastrophe in der „Kölnischen Rundschau“ und im „Kölner Stadt-Anzeiger“ an die Anfänge der Hilfsgruppe Eifel für tumor- und leukämieerkrankte Kinder, deren erster Vorsitzender und unermüdlicher Motor Willi Greuel ist.

Mit einem großen Fest wurden die Tschernobyl-Kinder im Sommer 1991 in Bleibuir verabschiedet. Reiner Züll/pp/Agentur Profipress
Mit einem großen Fest wurden die Tschernobyl-Kinder im Sommer 1991 in Bleibuir verabschiedet. Reiner Züll/pp/Agentur Profipress

5,7 Millionen Euro haben die Akteure bislang gesammelt. 25 000 Menschen aus der Region haben sich nacvh Typisierungsaktionen der Hilfsgruppe Eifel in die Deutsche Knochenmarkspenderdatei (DKMS) eingetragen.

„Holen Sie Kinder aus Tschernobyl in die Eifel“

Im Gespräch mit Michael Schwarz erinnert sich Willi Greuel an die Anfänge. Er, seine Frau Kati und einigen Freunde haben Geld gesammelt, das sie Professor Udo Bode, dem damaligen Leiter der Bonner Kinderkrebsklinik, zur Verfügung stellen wollen. Doch der Professor hatte eine bessere Idee. Er ist zu der Zeit gerade von einem Kongress in Minsk zurückgekehrt, auf dem über die Folgen der Reaktorkatastrophe beraten worden ist. „Holen Sie mit dem Geld Kinder in die Eifel“, rät Bode dem in Mechernich-Lückerath lebenden und in Kall arbeitenden Willi Greuel.

Am 19. Juli 1992 fand in der Aula der Mechernicher St.-Barbara-Schule die erste Typisierungsaktion statt. 2000 Menschen kamen zum Bluttest für die leukämiekranke Alonka. Foto: Reiner Züll/pp/Agentur Profipress
Am 19. Juli 1992 fand in der Aula der Mechernicher St.-Barbara-Schule die erste Typisierungsaktion statt. 2000 Menschen kamen zum Bluttest für die leukämiekranke Alonka. Foto: Reiner Züll/pp/Agentur Profipress

Bei der ersten von acht Ferienaktionen werden 79 Kinder aus dem Grenzgebiet Ukraine/Weißrussland eingeflogen. In den acht Folgejahren betreut die Hilfsgruppe immer wieder Kinder in der Eifel – insgesamt rund 1000. Einige kommen mehrmals. Darunter auch Alonka. An ihrem Schicksal nehmen die Menschen im Kreis Euskirchen ab 1992 großen Anteil. „Es war zu sehen, dass es Alonka nicht gut ging. Sie schwächelte“, erinnert sich Greuel. Diese laienhafte Wahrnehmung findet kurz darauf eine medizinisch-fundierte Bestätigung. Die Hilfsgruppe beschließt, Alonka die Krebstherapie zu finanzieren und dafür Geld zu sammeln.

Doch Alonka stirbt an den Folgen eines Infektes. „Mit solch traurigen Momenten werden die Helfer aus der Eifel mehrmals konfrontiert, Resignation kommt für sie aber nicht in Frage“, schreibt Michael Schwarz. Greuel reist drei Mal in die Gegend von Mogilev, unter anderem um dem von der Hilfsgruppe finanzierten Bau eines Schulheims in einem nicht verseuchten Gebiet beizuwohnen. „Wir haben Baumaterialien hingebracht. Bauarbeiter aus dem Ruhrgebiet haben das Heim gebaut. Es wird heute noch genutzt.“

Alonka (rechts) 1992 bei ihrem zweiten Ferienaufenthalt in Bleibuir. Das Mädchen starb 1995. Foto: Reiner Züll/pp/Agentur Profipress
Alonka (rechts) 1992 bei ihrem zweiten Ferienaufenthalt in Bleibuir. Das Mädchen starb 1995. Foto: Reiner Züll/pp/Agentur Profipress

„Wenn Du Hilfe brauchst, dann packen 150 Leute mit an“

Die Eindrücke, die er mitbringt, sind gemischt. Fürchterlich seien die Zustände für die Menschen dort. „Doch die Kontakte zu ihnen waren sehr beeindruckend.“ Durch Vermittlung des deutschen Botschaftsarztes Dr. Martin Friedrichs, dem Bruder des verstorbenen Tagesthemen-Moderators Hanns-Joachim Friedrichs, bringt die Hilfsgruppe Medikamente in die Region. Die Aktionen der Eifeler werden immer größer: Oldie-Rocknächte, Disco-, Folklore-Veranstaltungen, Rockkonzerte, Volksmusikabende und Prominenten-Fußballspiele werden für die Hilfsgruppe und ihre Schutzbefohlenen veranstaltet.

„Es ist toll, wie die Menschen in der Region unsere Arbeit unterstützen“, lobt Greuel. Rund 25 Menschen zählt der 71-Jährige zum harten Kern der Hilfsgruppe: „Doch wenn man Hilfe braucht, etwa für die Oldie-Nacht, findet man ganz schnell 150 Leute, die mit anpacken.“ Auch wenn Tschernobyl 30 Jahre her ist, die Hilfsgruppe werde auch weiterhin gebraucht. „Wir haben viele junge Menschen, die bei uns mitmachen“, freut sich Willi Greuel. Das mache Mut.

Spinaternte auf den Felder drohte vernichtet zu werden

Im Atomkraftwerk von Tschernobyl kam es am 26. April 1986 zum bis dahin schwersten Unfall in der Geschichte der Kernenergie. Zwei Explosionen zerstörten einen der vier Reaktorblöcke und schleuderten radioaktives Material in die Atmosphäre, das weite Teile Russlands, Weißrusslands und der Ukraine verseuchte. Die radioaktive Wolke zog bis nach Mitteleuropa und zum Nordkap.

Im weißrussischen Pribor half die Hilfsgruppe 1997 und 1998 ein Feriencamp zu bauen. 1999 machten Kinder aus verstrahlten Gebieten erstmals dort Urlaub. Foto: Reiner Züll/pp/Agentur Profipress
Im weißrussischen Pribor half die Hilfsgruppe 1997 und 1998 ein Feriencamp zu bauen. 1999 machten Kinder aus verstrahlten Gebieten erstmals dort Urlaub. Foto: Reiner Züll/pp/Agentur Profipress

Russland schwieg zunächst über den „größten anzunehmenden Unfall“ (= GAU), erhöhte radioaktive Werte aus Nord-Skandinavien machten Europa schließlich darauf aufmerksam, dass es irgendwo im Osten einen Super-GAU gegeben haben musste. Die radioaktive Wolke ging auch über Deutschland hinweg. Die Mitte der Bundesrepublik und mit ihr der Kreis Euskirchen kamen noch einigermaßen glimpflich davon. Die Hauptwindrichtung war an den Tagen nach der Katstrophe zwar Ostwind, aber die Hauptluftströmung traf Norddeutschland und Bayern.

Aber auch im Kreis Euskirchen wurden rasch erhöhte radioaktive Werte gemessen. Das Kreisveterinäramt warnte vor dem Verzehr von Pilzen – auf den Spinatfeldern bei Euskirchen und Weilerswist bangte die Erzeugergenossenschaft um die vorsorglich beschlagnahmte Ernte.

Viele Bürger können sich noch genau an den Unglückstag und die folgenden Tage und Wochen erinnern. Nicht wenige verfielen angesichts der sich überschlagenden und zunächst sehr widersprüchlichen Medienberichte in Panik. Not-Käufe insbesondere von Milch und Babynahrung waren an der Tagesordnung.

Landwirt Franz-Josef Keus aus Mechernich-Obergartzem erinnerte sich jetzt im Interview mit Tom Steinicke noch gut, weil er damals bei der Mechernicher Feuerwehr aktiv war: „Wir verfügten schon über einen ABC-Zug. Daher hatten wir bereits ein wenig Einblick in die Strahlenmaterie. Als die Gefahr dann plötzlich real war, war es schon ein komisches Gefühl.“

pp/Agentur ProfiPress