Kirche sucht Christen, nicht Kirchensteuerzahler
Der Aachener Weihbischof Karl Borsch äußerte sich im Interview mit der KirchenZeitung über das neue Gesicht der Kirche – „Mission ist bei uns angekommen“ – Aus Christen werden Katechisten – Neue Gemeindeformen
Aachen/Eifel – Lange vor der neuerlichen Vertrauenskrise, mit der die katholische Kirche momentan wegen der ausufernden Kosten des Limburger Bischofssitzes zu kämpfen hat, gab der Aachener Weihnbischof Karl Borsch dem Redakteur und Ständigen Diakon Manfred Lang aus Mechernich ein Interview zum neuen Gesicht der Kirche.
Lang veröffentlichte das Gespräch als „Sommerinterview“ in der KirchenZeitung für das Bistum Aachen, gab es aber jetzt auch an andere Medien weiter, für die er mit seiner „Agentur ProfiPress“ die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit macht, so auch für die Zukunftsinitiative Eifel und die Stadt Mechernich. Denn die Aussagen Borschs sind über den Tag und die Aachener Bistumsgrenzen hinaus bemerkenswert.
Wie sieht die Kirche von Aachen in zehn Jahren aus?
Weibischof Karl Borsch: Wir leben in so bewegten und schnelllebigen Zeiten, dass heute keiner sagen kann, wie unsere Kirche oder die Gesellschaft in zehn Jahren aussehen. Wir erleben im Moment, dass die Volkskirche, die wir hundert Jahre gekannt haben, zu Ende geht.
Die meisten tun so, als habe es die Kirche des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts immer so gegeben – und jetzt gehe es pausenlos den Bach runter?
Bischof Borsch: Das Bild der Volkskirche trifft nur auf die letzten hundert Jahre zu mit Kirche, Pastor und Kaplan für 500 bis 1000 Gläubige. Vor dieser Zeit sah es auch in unseren Breiten ganz anders aus. Da gab es die Mutterkirchen, zu denen die Gläubigen viele Kilometer zu Fuß gehen mussten. Da waren die pastoralen Räume wesentlich größer. Jetzt erleben wir, dass die Volkskirche zu Ende geht, und wir können noch nicht absehen, was für eine Gestalt, was für eine Form, welche Struktur und welche soziale Form die Kirche von Morgen annehmen wird.
Was unternehmen Sie?
Borsch: Wir schaffen größere pastorale Einheiten auf dem Hintergrund zurückgehender Zahlen der Kirchenbesucher, der kirchlichen Mitgliederzahlen, der Finanzen und der personellen Ressourcen. Das darf allerdings nicht dazu führen, dass wir es später mit anonymen Großgebilden zu tun haben. Es darf nicht dazu führen, dass das Leben aus dem Glauben vor Ort verschwindet. Denn der Glaube braucht den überschaubaren Raum, der Glaube braucht Heimat.
Als Mann der inhaltlichen Wende sagen Sie, die Kirche braucht neue, vermutlich kleinere Gemeindeformen, kleine geistliche Gemeinschaften, andererseits propagieren sie organisatorisch größere Einheiten als eine Art Krücke auf dem Weg in die Zukunft. Ist das kein Widerspruch?
Borsch: Ja, auf der einen Seite Zentralisierung, auf der anderen Seite Verörtlichung. Das ist aber kein Widerspruch, beides geht zusammen, wir brauchen größere pastorale Räume, damit wir auch in Zukunft mit weniger Personal gute Pastoral machen können. Das ist kein Abbruch, sondern ein Umbruch.
Und Sie brauchen die einzelnen Christen, die lernen müssen, wieder aktiv zu werden?
Borsch: Ja, und zwar in einem Dreischritt: Leben teilen, Bibel teilen, Glauben teilen. Leben teilen in einer ganz anderen Weise als wir das bisher als Christen gewohnt sind. Wir waren in der volkskirchlichen Tradition eher Nachwuchschristen. Man wurde in eine katholische oder in eine evangelische Gemeinde hinein geboren, und blieb ein Leben lang, ohne sich dafür entscheiden zu müssen. Das ist heute anders. Wir leben in einer ausdifferenzierten Gesellschaft, und die katholische Kirche ist nicht mehr gesellschaftsbestimmend, sondern ein Segment neben vielen. Es gibt statt des Nachwuchschristen heute den Christen, der aufgrund eigener Einsicht und Entscheidung Christ ist. Die Taufweihe ruft jeden von uns zu Sendung und Nachfolge. Wir müssen Menschen begleiten, Laien zu Katechisten werden lassen, Katechisten in der westlichen Weltkirche, die der Kirche ein neues Gesicht geben und die Menschen inspirieren.
Bekommen wir damit wieder eine bekennende Kirche?
Borsch: In diesem Sinne bekommen wir auch eine bekennende Kirche mit all den Chancen. Und weil wir weniger werden in unserer Gesellschaft, müssen wir mehr und mehr die Gemeinschaft suchen, Räume finden, in denen wir die Gemeinschaft als Christen erleben. Gerade unsere jungen Leute, die sich für den Glauben interessieren, die den Glauben leben wollen, die haben oft in ihrer Umgebung die Erfahrung gemacht, wir sind die letzten Mohikaner. Die erfahren dann zum Beispiel auf dem Weltjugendtag, dass sie Teil einer starken weltweiten Gemeinschaft sind.
Hat die Strukturdebatte die Kirche von Aachen nicht allzu lange von inhaltlichen Reformen abgehalten?
Borsch: Wir mussten handeln. Aber die Struktur macht nicht allein die Kirche aus. Wir sind auch das pilgernde Volk Gottes, der mystische Leib Christi, Gemeinschaft mit Christus auf dem Weg. Die Kirche hat insofern zwei Seiten und die stehen durchaus in Spannung. Aber Gott steht im Mittelpunkt, nicht der Zölibat oder die Frage nach dem Frauenpriestertum. Es geht um unser Verhältnis zu Jesus Christus.
Was macht diesen Glauben der Kirche denn heute noch glaubwürdig?
Borsch: Christen, die Auskunft geben über ihren Glauben im Alltag, in Familien, Beruf und Gesellschaft. Der Glaube braucht Relevanz im Alltag. Und er braucht Räume für Glaubenserfahrungen, in denen sich Menschen begegnen und Glauben und Leben teilen.
In diesen Glaubensräumen entstehen neue Formen christlicher Gemeinde?
Borsch: Christliche Gemeinde ist mehr als die Pfarrei, und Glauben leben kann man zunächst auch ohne Pastor. Christliche Gemeinde kann es auch im Chor, in der Jugendgruppe, ja im Gefängnis geben. Kleine christliche Gemeinschaften bilden im asiatischen Raum das Rückgrat der Ortsgemeinden. Die Menschen in diesen kleinen Gruppen hören, bedenken, sprechen und handeln, sie leben die Bibel.
Ein Modell auch für Mitteleuropa?
Borsch: Es geht nicht um Kopieren, sondern ums Kapieren. Auch wir müssen das Wort Gottes hören und danach leben. Dabei dürfen wir uns verbunden fühlen mit einer großen weltweiten Kirchengemeinschaft. Lassen Sie uns die Kirchen öffnen als Orte des Gebetes – verschlossene Kirchentüren sind das falsche Signal. Und lassen Sie uns auch ohne Priester Gottesdienste feiern, die nicht Eucharistie sind, und die auch Christen qua ihrer Taufe leiten können. Es gibt da reiche liturgische Möglichkeiten. Die Kirche ist nicht am Ende – es gibt keinen Grund, zu resignieren.
Sie haben einmal gesagt, dass nur der, der der Kirche Böses will, Ihr wünscht, dass alles beim Alten bleibt . . .
Borsch: Nicht ihr Glaube verändert sich, aber es gibt immer wieder neue Formen, neue Medien, eine neue Sprache, in der dieser Glaube verkündigt werden will. Die Kirche von Aachen ist da auf einem guten Weg. Viele Jugendliche können wir nur noch über Facebook und das Internet erreichen. Die Mission ist zu uns gekommen. Wenn wir nicht damit anfangen, hier zu missionieren, dann demissionieren wir. Es geht darum, Menschen mit Gott in Berührung zu bringen. Jeder Mensch hat spirituelle Bedürfnisse, in jedem existiert die Ur-Frage nach dem Woher und Wohin. Darauf können wir Christen Antwort geben. Die Liebe zu Gott und zum Nächsten ist die Klammer, die alles zusammenhält.
Das klingt begeistert, dabei haben so viele resigniert . . .
Weihbischof Karl Borsch: Man hört oft, früher sei alles besser gewesen. Das stimmt ja gar nicht. Das Image ist schlechter als die Realität. Ich erlebe im Bistum Aachen an allen Ecken eine Unmenge aktiver und engagierter Menschen. Wir müssen nicht den Kopf hängen lassen und wir dürfen nicht alles von uns selbst erwarten. Man kann Menschen nur dann auf den Geschmack bringen, wenn man selbst auch Geschmack dran hat. Die Begeisterung ist der Dünger für das Wachstum. So ist es auch in der Kirche. Das ist kein PR-Gag: Wir wollen keine Kirchensteuerzahler gewinnen, sondern Christen.
Mit Weihbischof Karl Borsch sprach für die KirchenZeitung Aachen Manfred Lang
pp/Agentur ProfiPress