Aktuelles

ProfiPress

Agentur für Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit, journalistische und redaktionelle Dienstleistungen.

AllgemeinStadt Mechernich

Anständig bleiben in krimineller Zeit

Klaus Vater aus Mechernich hat in seinem ersten Kriminalroman, der im Berlin des Jahres 1934 spielt, auch den Bleiberg und die Eifel verewigt – Gut gemacht, brillant geschrieben, es wird nicht sein letzter Krimi bleiben

Anlässlich eines Besuchs des Ehepaars Vaters im Jahr 2009 zeigt Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick (links) das berühmte Gemälde, auf dem Arbeiter im Tagebau Virginia abgebildet sind, die Bleierz von Stufe zu Stufe bis zur Aufbereitung hoch schaufeln - wie auf einer römischen Sklavengaleere im Takt, den ein Vorarbeiter auf einem Vorsprung stehend mit zwei Hämmern angibt. Foto: Manfred Lang/pp/Agentur ProfiPress

Mechernich/Berlin – Der aus Mechernich stammende Redakteur und Ex-Regierungssprecher Klaus Vater (66) ist unter die Kriminalschriftsteller gegangen. Als Autor von Sachbüchern zum Arbeitsmarkt und zum wirtschaftlichen Strukturwandel hatte sich der frühere wissenschaftliche Referent der SPD-Bundestagsfraktion (1990 – 1999), Sprecher von Arbeitsminister Riester und Gesundheitsministerin Ulla Schmidt bereits hervorgetan. Dass der mit spitzer Feder agierende ehemalige Agentur-, Tageszeitungs- und „Vorwärts“-Redakteur und kernige Ministeriums-Pressesprecher aus Mechernich auch der so genannten schöngeistigen, belletristischen Literatur zugetan ist, hatte Klaus Vater bereits 1991 mit dem Jugendbuch „Sohn eines Dealers“ unter Beweis gestellt. Für seinen literarischen Erstling erhielt Vater 1992 in Berlin den Jugendbuchpreis „Emil“.

2011 nun wurde dem gebürtigen Mechernicher, „gelernten“ Sozialdemokraten und ziemlich engen Vertrauten von Angela Merkel, deren stellvertretender Sprecher er während der jüngsten Großen Koalition war, die Ehre zuteil, sich in die Autorenschar der bislang 15-teiligen Krimireihe „Es geschah in Berlin“ (Jaron Verlag, Berlin) einzureihen.

Herausgekommen ist mit „Am Abgrund“, so der Titel, ein absolut lesenswerter Roman mit beachtlichen Reminiszenzen an Mechernich, die Eifel und Vaters eigene Familie, die aus der Bergstraße stammt. Noch mehr aber lässt Klaus Vater das alte, gar nicht gute Berlin auferstehen. Das Buch ist  eine ungewöhnlich gelungene Symbiose aus Kriminalroman und historischem Lehrstück aus der Zeit des sich scheinbar selbst zerfleischenden und das Land gleichwohl gleichschaltenden Nationalsozialismus vor dem so genannten „Röhm-Putsch“, dem gar kein Putsch zugrundelag, sondern eine großangelegte, von Hitler selbst befohlene Mordkampagne eines Teils der Mörderbande gegen den anderen Teil der Mörderbande.

In diesen kriminellen Zeiten ausgerechnet muss der die Krimireihe „Es geschah in Berlin“ seit dem Jahre 1910 ermittelnd durchwandernde Kommissar Hermann Kappe gegen den in Mechernich-Bleibuir geborenen Caspar Leiblein, einen sympathischen wie aufrechten „Jenischen“, ermitteln. „Jenische“ sind im Kreis Euskirchen vor allem von Stotzheim her bekannt, das in Klaus Vaters Roman zumindest auch Erwähnung findet.

Wichtiger als die räumliche ist die kulturgeschichtliche Lokalisierung der „Jenischen“. Sie wurden jedenfalls von den Nazis mit Sinti und Roma als „Zigeuner“ diffamiert, die Jenischen allerdings explizit als „weiße Zigeuner“. Sie sind, wie ein Teil von Klaus Vaters echten Mechernicher Vorfahren, Angehörige einer vor allem im Rheinland, aber auch in der Schweiz, Österreich und Belgien verbreiteten Volksgruppe mit eigener Sprache und eigener Wanderhandwerkerkultur. Jenische waren häufig als Scherenschleifer, Besenbinder, Bürstenmacher, Korbflechter und Kesselreparateure unterwegs.

Caspar Leiblein hat „auf Spandau“, im Mechernicher Bleibergwerk gelernt und gearbeitet. Wegen der besseren Verdienstmöglichkeit geht er nach Bremen und schließlich in die Hauptstadt. Dort taucht er auf mit dem Zeugnis der Bremischen Baubehörde und eines der Firma Gewerkschaft Mechernicher Werke. Leiblein ist ein vortrefflicher Zimmermann und wird offenbar gerne genommen im U-Bahn-Bau des prosperierenden Berlin. Im Westen entsteht das Reichssportfeld mit dem Olympiastadion, in der Stadtmitte ein mehrere Kilometer langer S-Bahn-Tunnel. Leibleins Baustelle befindet sich in der Nähe des Stettiner Bahnhofs. Im Juni 1934 bricht eine Spundwand in seinem Verantwortungsbereich ein. Hereinströmender Fließsand begräbt etliche Arbeiter, für die jede Rettung zu spät kommt. Sabotage?

Der Zimmermann aus der Eifel gerät sofort unter Verdacht. Es ist die Zeit des Rassenwahns, des Hasses und der beginnenden Verfolgung nicht „arischer“ Menschen, die im Holocaust, im Massen- und im Völkermord  münden wird. Die SA, die sich zu der Zeit gerade als Staat im Staate entwickelt und sogar Hitler zu mächtig zu werden droht, nimmt sich selbst polizei- und obrigkeitsrechtliche Kompetenz heraus, geht im Kriminalgefängnis Moabit aus und ein, unterhält längst eigene kleinere Konzentrationslager und Folterkeller. SA-Leute jedenfalls haben den nichtarisch aussehenden Eifeler sofort auf dem „Kiecker“ – und verhaften ihn von der Baustelle weg. Bei Kommissar Hermann Kappe ist es umgekehrt. Er hat direkt das deutliche Gefühl, dass Leiblein anständig und unschuldig ist. Die Nazis drängen ihn, kurzen Prozess zu machen, doch Kappe vollzieht den Tanz auf der Rasierklinge, in menschenverachtender Zeit anständig und menschenfreundlich zu bleiben.

Übrigens liegt Klaus Vaters Kriminalroman „Am Abgrund“ ein echtes Baugrubenunglück zu Grunde. Es ereignete sich beim Bau der Berliner Nord-Süd-S-Bahnstrecke und zwar am 20. August 1935. Mit dichterischer Freiheit hat der Autor das Unglück zum Verbrechen gemacht und in den Juni 1934, kurz vor den „Röhm-Putsch“ vorverlegt, um so vor unerheblich verfremdeter Kulisse ein faszinierendes Lehrstück deutscher Zeitgeschichte als Kriminalroman zu erzählen.

Unmerklich und für den unbedarften Leser völlig unerkannt, lässt Klaus Vater intime Details aus dem eigenen Leben in der unteren Bergstraße von Mechernich einfließen. So trägt der am 6. Juni 1887 in Bleibuir geborene Caspar Leiblein Züge von Klaus Vaters Großvater. Der hatte einem Freund, Mechernicher Arzt jüdischen Glaubens, beizeiten geraten, Hitlers Buch „Mein Kampf“ zu lesen, denn dann wisse er, was den Juden und ihm bevorsteht, und was deshalb schnell zu tun ist . . . In der Wirklichkeit schlug der Freund des Großvaters in Mechernich den guten Rat aus. Im Berlin des Romans lässt Klaus Vater den Freund des Opas aber entkommen: Er handelt nach dem guten Rat, wandert noch 1934 aus, verlässt sein Vaterland Deutschland, für das er im Ersten Weltkrieg gekämpft hat, und entrinnt dem Holocaust . . .

Das Buch ist ungeachtet aller lokalpatriotischen Aspekte aus Berliner oder aber Eifeler Sicht unbedingt lesenswert. Es ist ein verlässlicher historischer Führer durch den noch jungen totalitären Nazistaat, es ist ein mehr als brauchbarer und handwerklich gut gemachter Kriminalroman – und es ist brillant geschrieben, rustikal und temperamentvoll, wortsicher und nicht ohne Humor. Es wird nicht Klaus Vaters letzter Krimi bleiben!

 Manfred Lang/pp/Agentur ProfiPress