Zwei ungehorsame Zivilisten
Wiederbelebung des Steinfelder Abends mit Atomkraftgegner Andreas Graf von Bernstorff und Fridays-for-Future-Aktivistin Jana Boltersdorf
Kall-Steinfeld – Vom Alter her hätte der Unterschied kaum größer sein können. Als Andreas Graf von Bernstorff dem Fernsehen 1977 Rede und Antwort steht, ist er 35 Jahre alt. Erst 24 Jahre später wird seine Mitstreiterin des Steinfelder Abends geboren: Jana Boltersdorf, gerade 18 geworden. Doch auch wenn 59 Lebensjahre Differenz zwischen diesen beiden Menschen liegen, vereint sie doch das Thema dieses ersten Steinfelder Abends seit drei Jahren (und der in Zukunft wieder dreimal pro Jahr stattfinden soll): der zivile Ungehorsam.
Denn Andreas Graf von Bernstorff ist Atomkraftgegner aus Gorleben. Als die Bundesregierung 1977 beschloss, im Salzstock unter Gorleben ein atomares Entsorgungszentrum zu errichten, hätte er reich werden können. Ihm gehört etwa die Hälfte der benötigten Fläche von 1200 Hektar. Fast 30 Millionen D-Mark bot ihm der Bund an. Doch von Bernstorff lehnte ab.
„Der Nicht-Verkauf ist mit nicht leichtgefallen“, gibt er in der Aula des Hermann-Josef Kollegs in Steinfeld zu – nicht nur des Geldes wegen, denn nach Stürmen und Waldbränden in den 70er-Jahren hatten seine Waldflächen ordentlich gelitten. Doch ein Blick in die 300 Jahre alten Familienstatuten überzeugte ihn. Dort steht zum einen, dass der Verkauf des Besitzes untersagt wird. Zum anderen soll alles Handeln im Sinne dessen geschehen, was man heute Nachhaltigkeit nennt.
Von Bernstorff berichtet in rund 45 Minuten detailgetreu über die Pläne der Bundesregierung, zeigt Flächengrafiken, erklärt, beschreibt. Er erzählt von den 110 hochradioaktiven Atombehältern, die in Gorleben endgelagert wurden. Von demütigenden Hausdurchsuchungen bei Kirchenmitgliedern, weil die Kirchengemeinden sich von Anfang an geweigert hatten, ihre Flächen zu verkaufen.
Auf Gleise betoniert
Ein Einspieler zu Beginn des Steinfelder Abends zeigt die Proteste Ende der 70er-Jahre, bei dem sich Atomkraftgegner sogar auf die Gleise betonieren. 1979 waren laut von Bernstorff sogar 100.000 Menschen vor Ort, um zu demonstrieren.
Von Bernstorff berichtet aber auch vom Wandel der Zeit. Von Entscheidungen, die er in seinem späteren Leben aus ökologischen Gründen getroffen hat, etwa den Bau einer Biogasanlage, die aus heutiger Sicht durch mangelnde Biodiversität doch eher Nachteile für die Ökologie bringt. „Es ist alles im Wandel, man muss sein Tun und Handeln stets hinterfragen.“ Mit Entsetzen blickt er auf das Absterben der Wälder, besonders momentan der Fichte, durch den Klimawandel – und schlägt so den Bogen zu einer Mitstreiterin auf der Bühne der Aula.
Jana Boltersdorf aus Niederkassel ist eines der Gesichter der Fridays-for-Future-Bewegung in Köln. Ihre erste Demonstration hatte sie fast exakt ein Jahr vor dem Steinfelder Abend organisiert. Zum ersten Schulstreik vor dem Kölner Rathaus am 14. Dezember seien 50 Schüler gekommen. Eine Woche vor dem Steinfelder Abend waren in Köln 70.000 Schüler auf den Straßen. 600 Ortsgruppen gibt es in Deutschland mittlerweile.
Was Jana Boltersdorf mittlerweile festgestellt hat, ist eine Verschiebung der Debatte von der Frage „Wieso schwänzen die?“ über „Was sagen denn die Schulen und die Eltern?“ zu „Was wollen die eigentlich?“. Für sie ist auch klar: Die Freitagsdemonstrationen werden weitergehen, trotz Konsequenzen, das Ziel sei eine „Bewegung, die unübergehbar ist“. „Die Politik hat die Realität nicht erkannt“, spricht sie über ihr Gefühl der Machtlosigkeit.
Der Glaube an den Klimawandel
In der anschließenden Diskussionsrunde mit dem Publikum machte es Moderator Martin Reinicke, Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung Kloster Steinfeld und der Catena, sehr geschickt und fragte das Publikum, wer denn schon einmal zivil ungehorsam war und wer denn an den Klimawandel glaube. Gerade bei der letzten Frage gingen die meisten Hände nach oben.
Doch Klimaschutz geht eben auch nicht ohne persönliche Konsequenz: „Einer meiner Söhne lebt in Bhutan, den dürfte ich nicht mehr besuchen“, sagte Andreas Graf von Bernstorff. Ihm ist klar: Die Politik muss den entsprechenden Rahmen setzen – und das wird „wahnsinnig teuer“. Der Einzelne könne versuchen, so viel wie möglich zu tun, „aber der Mensch mag es bequem“, so von Bernstorff.
Von Jana Boltersdorf wollte ein Zuhörer wissen, ob sie die Interessen der Politik verstehe? Die Antwort war klar: „Es geht in der Politik ums Geld und um Konzerne, die das Klima an die Wirtschaft anpassen wollen und nicht andersherum.“
Das Zukunftsbild, das die beiden zeichnen, ist düster. „Für mich war es nicht vorstellbar, dass es ein so schnelles Waldsterben gibt, da kann man nur in Panik geraten“, sagte Andreas Graf von Bernstorff. Und Jana Boltersdorf rechnet fest damit, dass die Zahl der Umweltflüchtlinge zunimmt und der Klimawandel einen gewaltigen Einfluss auf die Agrarpolitik, die Verkehrspolitik und die Energiepolitik haben wird. „Wir müssen an allen Ecken und Enden angreifen.“
pp/Agentur ProfiPress