Mahnung vor Egoismus
Volkstrauertag in Mechernich mit Kranzniederlegungen, Schweigemarsch und aufrüttelnden Ansprachen – Dekan Pühringer: „Nationalismus ist kollektive Selbstsucht“ – Beigeordneter Hambach: „Die Erinnerung an den Krieg verblasst, der »Ernstfall« für uns ist nun der Friede sein“
Mechernich – „Ein Staat kann nicht trauern, das kann nur der einzelne Mensch selbst“: Mit diesen Worten des verstorbenen Bundespräsidenten Johannes Rau gedachte Mechernichs Beigeordneter Thomas Hambach am Volkstrauertag 2016 den Weltkriegstoten und Naziopfern von Mechernich. Etwa 150 Bürger, darunter Vertreter der Vereine und der Bundeswehrgarnison, nahmen an der Feier am Ehrenmal an der Alten Kirche teil.
Zuvor hatte Mechernichs Pfarrer und Eifeldekan Erik Pühringer in der neuen Kirche eine aufrüttelnde Predigt gehalten, in der er davor warnte, dass die Menschen des 21. Jahrhunderts in Gefahr stünden, die Todsünden des 20. Jahrhunderts zu wiederholen, als nicht nur in Nazideutschland, sondern auch in anderen Ländern Diktatoren und Despoten an die Macht gelangten.
Trump, Putin, Erdogan & Co mit Hitler, Stalin und Mussolini verglichen
Pühringer nahm die Wahl Donald Trumps zum Anlass und entlarvte den Egoismus der Menschen als Urheber einer neuen nationalistischen Welle, die sich nicht nur in USA („Amerika den Amerikanern“) Bahn breche, sondern auch in der Türkei, Polen, Ungarn, Russland und Großbritannien. Deutschland nahm Pühringer nicht aus, als er der Gottesdienstgemeinde ins Gebetbuch schrieb: „Diese Partei ist keine Alternative für Deutschland.“
„Fremdenhass, im besten Fall Gleichgültigkeit, ist die Folge von Egoismus“, sagte der Dekan: Nationalismus sei nur eine kollektive Form von Selbstsucht. Von der Kirche zogen die Gläubigen mit Fahnenabordnungen der Vereine zum Johannesberg. Dort intonierten Männergesangverein und Bergkapelle passende Musik, unter anderem das Lied vom guten Kameraden. Am Ende erklang die Nationalhymne.
Mechernichs Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick und Oberstleutnant Daniel Gratz vom Bundeswehrdepot West legten Kränze nieder, Pfarrer Pühringer segnete die Namenszüge der Weltkriegstoten und Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft. Erster Beigeordneter Thomas Hambach hielt auf Einladung des Vereinskartellvorsitzenden Marcel Hembach die Trauerrede, in der er sich nicht scheute, den Wandel der „Volkstrauer“ im Laufe von 70 Jahren anzusprechen: „Hinter diesen Namen verbergen sich Einzelschicksale, die nun allmählich in Vergessenheit geraten.“
„Frieden lässt sich nicht mit Waffen allein erzwingen“
Auch diejenigen hätten diese Welt größtenteils verlassen, die die Gefallenen und Vergasten noch persönlich gekannt hätten. Die Nachgeborenen müssten auf andere Art als durch persönliches Verarbeiten von Erlebtem ihre Lehren aus der Geschichte ziehen. Beispielsweise den Frieden als den Ernstfall anzunehmen, nicht den Krieg, in dem sich der Einzelne zu bewähren habe, zitierte Hambach mit Gustav Heinemann einen weiteren Bundespräsidenten.
Frieden lasse sich nicht allein mit militärischen Mitteln erzwingen, mahnte der stellvertretende Verwaltungschef, dazu bedürfe es des guten Willens vieler Menschen, um angeblich unabänderliche Feindschaften zu überwinden. Die deutsch-französische Freundschaft sei ein gutes Beispiel, fand Hambach, aber auch in Nordirland bahne sich eine, wenn auch noch wenig belastbare Annäherung zwischen den protestantischen Nachfahren der Kolonialisten und den irisch-stämmigen Katholiken an.
Die Stadt Mechernich habe auf dem Weg des Friedens ihre Freundschaft mit Nyons vor 50 Jahren besiegelt – und sei im vergangenen Jahr eine Städtepartnerschaft mit dem polnischen Skarszewy eingegangen. Hambach zitierte dazu Stefan Zweig, der einmal geschrieben hat, wie den Krieg, so müsse auch einer den Frieden beginnen . . .
pp/Agentur ProfiPress