Heimatkunde auf dem Friedhof
Mechernicherin Petra Greis ist Familienforscherin und Mitglied im Verein für Computergenealogie – Zwischen Oktober 2016 und November 2017 nahm sie 3118 Personendaten und 1511 Gräber rund um die Alte Kirche auf – Pietätvoll, ehrenamtlich, für alle nutzbar – Die Vertreibung der eigenen Vorfahren aus Ungarn war der Schlüsselpunkt
Mechernich/Eifel – Seit wenigen Wochen ist der komplette Mechernicher Friedhof im Internet aufrufbar. Unter der Internetadresse http://grabsteine.genealogy.net/namelist.php?cem=4695&lang=de finden sich die Namen der 3118 rund um die Alte Kirche beerdigten Menschen und Fotos der 1511 Grabstätten.
Einige davon sind berühmt über Mechernich hinaus: Die Gruften der früheren Bergbaubetreiber und Unternehmerfamilien Kreuser, Molinari und Osterspey, die Grabstätte der Eheleute Hubert und Anna Roggendorf geborene Krischer, deren Kinder vom Bleiberg aus als Missionare in alle Welt gingen, aber auch die letzten irdischen Ruhestätten der Ordensgründerin Mutter Marie Therese oder des früheren Hamburger Verfassungsschutzpräsidenten Dr. Hans-Josef Horchem.
Berühmte, weniger bekannte und auch vielleicht bereits vergessene Tote wurden in Mechernich gleichberechtigt aufgenommen zwischen dem 3. Oktober 2016 und dem 12. November 2017 von der Genealogin und Fotografin Petra Greis (49) aus Mechernich, die sich seit über 20 Jahren mit Familienforschung und dem Spezialgebiet der Computer-Genealogie beschäftigt. Das ist Familienforschung mit EDV-Hilfe und Internetverbindung.
Ein Jahr fotografiert und dokumentiert
Tausende von Familienforschern sind unter www.compgen.de vernetzt und jeder kann die Webseiten des Vereins für Computergenealogie nutzen. Dort sind zum kostenlosen Gebrauch neben Totenzetteln, alten Adressbüchern, Verlust- und Todeslisten aus den Kriegen eben auch Gräber und Grabsteine und vieles andere mehr veröffentlicht.
„Manche halten mich für merkwürdig, aber ich halte mich gerne auf Friedhöfen auf“, so Petra Greis. Und sie befasst sich gerne mit der Eifel, den Menschen und ihren Schicksalen, auch wenn diese Menschen schon gestorben sind: „Das gehört zu meinem Heimatbegriff.“
Die Eiflerin, die im Mechernicher Rathaus im Vorzimmer der Verwaltungsleitung arbeitet, hat bereits mehrere Friedhöfe systematisch fotografiert und katalogisiert, um über das Internet Zugriff für Familienforscher zu schaffen, die Vorfahren oder Angehörige in der jeweiligen Ecke vermuten oder suchen.
Vor Mechernich, wo sie seit 2014 mit ihrem Mann lebt, hat die Familienforscherin und Hobby-Fotografin bereits Friedhöfe in ihrer alten Heimat und auch den historischen Kölner Friedhof in Westhoven dokumentiert. „Wir Forscher fotografieren mit Erlaubnis der Friedhofsverwaltung oder des zuständigen Pfarramtes jeden einzelnen Grabstein eines Friedhofs ab.“
Vulkaneifeler und Donauschwaben
Die gesammelten Fotos werden dann auf den Seiten des Vereins für Computergenealogie e.V. unter http://grabsteine.genealogy.net/ veröffentlicht. Greis: „Dort hat man, weil wir die Namen und Daten der Toten den jeweiligen Bildern zuordnen, die Möglichkeit nach Verwandten zu suchen.“
Das öffentliche und nicht kommerzielle „Grabstein-Projekt“ wurde 2007 aus der Taufe gehoben. Es ist Teil der größten deutschen Vereinigung für Familiengeschichtsforschung, des „Vereins für Computergenealogie e.V.“ mit mehr als 3700 Mitgliedern.
Sie selbst kam wegen ihrer donauschwäbischen Wurzeln zur Familienforschung. Josef Kling, ihr Opa mütterlicherseits, erzählte ihr schon in Kindertagen vom Leben in dem kleinen Dorf in der ungarischen Batschka. Ihre Vorfahren hatten sich während der Habsburger Monarchie aus der Pfalz kommend als Donaudeutsche („Donauschwaben“) in Ungarn angesiedelt.
„Meine Neugier war geweckt, als mir meine Großeltern von ihrer Vertreibung im Jahr 1946 erzählten“, so Petra Greis. Da war plötzlich Weltgeschichte zum Greifen nah im eigenen Stammbaum. Sie wollte mehr über die eigene Familie herausfinden, nicht nur über Klings, sondern auch über Reinarz, so ihr in der Eifel sehr verbreitete Familienname.
1600 Seiten Ortsfamilienbücher
Petra Greis interessiert sich nicht nur für Friedhöfe. Sie erarbeitete für die Kindheitsorte ihrer Großeltern, Niederehe und Nohn, jeweils rund 800 Seiten starke Ortsfamilienbücher, die interessierte Familienangehörige mit Vorfahren in Nohn oder Niederehe auch erwerben können (Nohn: Westdeutsche Gesellschaft für Familienkunde /Niederehe: cardamina-Verlag).
Die 49-jährige Wahl-Mechernicherin partizipiert auch selbst von der ehrenamtlichen Forschung ihrer Tausende von Kollegen im Verein für Computergenealogie. Petra Greis: „Ich habe selbst im Internet auf unseren Seiten einen Totenzettel meines Ur-Ur-Großvaters gefunden, was mich in meiner eigenen Familienforschung weitergebracht hat.“
Das „Grabstein-Projekt“ dient zur systematischen kulturhistorischen und genealogischen Dokumentation von Grabsteinen. Es ist gleichzeitig ein Archiv zum Andenken an Verstorbene nach der Abräumung der Grabstellen und eine wichtige Quelle für die Familiengeschichts-Forschung, Soziologie, Heimatforschung und Ortschronik.
Die Fotografen, Fotobearbeiter, Datenerfasser, Korrektoren und Administratoren des „Grabstein-Projektes“ arbeiten ehrenamtlich und bilden ein Team von mehreren hundert Teilnehmern. Zurzeit befinden sich in der Datenbank die Dokumentationen von 4300 Friedhöfen mit 1,6 Millionen Grabstein-Fotos und 2,6 Millionen Personendatensätzen. Die Daten stehen allen Nutzern kostenlos zur Verfügung.
Jede Dokumentation findet unter Wahrung der jeweiligen Friedhofssatzung statt. Petra Greis: „Wir haben uns aus Rücksicht auf trauernde Angehörige dazu entschlossen, das traditionelle Trauerjahr zu respektieren. Deshalb zeigen wir keine Grabsteinbilder von Personen, die im laufenden oder vorhergehenden Jahr verstorben sind.“
Das Grabstein-Projekt wurde 2015 vom GEWISS-Konsortium „Bürger schaffen Wissen – Die Citizen Science Plattform“ (gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft) als Bürgerwissenschaft anerkannt. www.buergerschaffenwissen.de/projekt/digitale-dokumentation-von-grabsteinen
Auch die „Deutsche Stiftung Denkmalschutz“ unter Schirmherrschaft des Bundespräsidenten interessiert sich für das Grabstein-Projekt.
pp/Agentur ProfiPress