Auszeit für Eltern und Kinder
Fachtagung zum Thema Kurzzeitwohnen beim LVR in Köln – Lebenshilfe HPZ in Bürvenich als Vorreiter für das südliche Rheinland
Köln/Bürvenich – Als Becura-Vorsitzender Dr. Walther Witting bei der Tagung „Auszeit-Orte“ eine Karte von Nordrhein-Westfalen zeigte, die darstellte, wo nur wenige Jahre zuvor Kurzzeitwohnen für Menschen mit Behinderungen angeboten wurde, gab es im Rheinland gerade einmal zwei Markierungen: Eine ganz im Norden des Gebiets bei Kleve, die zweite ganz im Süden, genauer gesagt in Bürvenich. Deshalb kann man mit Fug und Recht behaupten: Die Lebenshilfe HPZ war innerhalb des Landschaftsverbands Rheinland ein Vorreiter in Sachen Kurzzeitwohnen. Lebenshilfe-HPZ-Geschäftsführer Rolf Emmerich meinte sogar: „Wir waren lange Zeit die einzigen, die es angeboten haben.“
Das hat auch Dr. Dieter Schartmann, Leiter des medizinisch-psychosozialen Fachdienstes beim LVR erkannt, als er bei der Eröffnung der Tagung im Horion-Haus des LVR in Köln das Heilpädagogische Zentrum in Bürvenich als „Einrichtung mit Erfahrung“ bezeichnet. Auch wenn der LVR das Kurzzeitwohn-Angebot ausbaut – und zwar „solide und vernünftig“, wie Dr. Dieter Schartmann mitteilt – ist im südlichen Rheinland, also im Bereich Nordeifel, die Bürvenicher Einrichtung immer noch allein auf weiter Flur.
500 Menschen nehmen das Angebot im LVR-Gebiet derzeit in Anspruch, 1000 Anträge auf Kurzzeitwohnen werden gestellt. „Das bedeutet, das im Schnitt jeder Leistungsberechtigte zweimal pro Jahr Kurzzeitwohnen nutzt“, berichtet Schartmann. Die Hälfte davon sind Kinder und Jugendliche unter zwölf Jahren. 75 Prozent sind Menschen mit geistiger, 20 Prozent Menschen mit körperlicher Behinderung.
Kurzzeitwohnen bedeutet eine Entlastung für die Familie und die Angehörigen. Während die Eltern Kraft tanken, lebt das Kind oder der Jugendliche mit Behinderung für ein paar Tage in einer Einrichtung, die Kurzzeitwohnen anbietet. Genau das sorgt innerhalb des LVR für Kontroversen. „Die Kritiker denken, dass das der Einstieg dafür ist, ein Kind abzugeben. Ich empfinde das als deutlichen Unsinn“, erzählt Schartmann.
Walther Witting pflichtet ihm bei: „Es geht einfach nur darum, eine schöne Zeit zu haben.“ Gemeint sind damit nicht nur die Eltern, Geschwister und Angehörigen, sondern auch die jungen Menschen mit Behinderung selbst. Das Kurzzeitwohnen fußt auf den vier Säulen Geborgenheit, Vertrauen, Wohlfühlen und Fördern. Denn auch darum geht es. Kurzzeitwohnen bedeute eben nicht, das Kind oder den Jugendlichen einfach abzugeben. Es gehe um die ganzheitliche, individuelle und heilpädagogische Förderung, um verschiedene Therapieformen. „Die Gäste in den Einrichtungen sind dauerhaft auf Unterstützung, Begleitung und Versorgung angewiesen“, erklärt Witting, der gleichzeitig auch die Krankenkassen in die Pflicht nimmt, Kurzzeitwohnen zu unterstützen.
Erholte Eltern, glückliches Kind
Dass sich Eltern durchaus zuerst mal schuldig fühlen, erklärte Jennifer Willerscheid aus Mönchengladbach, die selbst Mutter eines fünfjährigen Jungen mit Behinderung ist. „Es war nicht leicht, ihn abzugeben, es hat wehgetan. Aber ich brauchte die Auszeit ganz dringend und wusste, dass er gut aufgehoben ist. Ich habe ein glückliches Kind zurückbekommen“, war sie voll des Lobes. Deshalb plädiert sie an andere Eltern, kein schlechtes Gewissen zu haben.
Damit aus dem Kurzzeitwohnen kein Dauerzustand wird, gelten bestimmte Vorgaben. Bei der Lebenshilfe HPZ, wie bei allen anderen Einrichtungen auch, beträgt der Aufenthalt maximal sechs Wochen pro Jahr, der natürlich auf mehrere Termine aufgeteilt werden darf. Wochenende und Ferien sind die Zeiten, die am meisten in Anspruch genommen werden. Aufgrund der starken Nachfrage müssen die beiden Einrichtungsleiter Sarah Voiß und Christoph Lemberg sowie Belegungskoordinatorin Jacqueline Langer gut planen. Eine Besonderheit bei der Lebenshilfe HPZ ist, dass auch junge Erwachsene bis 27 Jahren Kurzzeitwohnen in Anspruch nehmen dürfen. Insgesamt zehn Plätze stehen in Bürvenich zur Verfügung.
Horst Thelen, Fachbereichsleiter Kinder-Jugend im Vinzenzheim in Aachen berichtet, dass Gäste, die Kurzzeitwohnen erstmalig nutzen, maximal zwei Tage aufgenommen werden. Im Gespräch mit Moderatorin Martina Krause sprach er davon, dass gut ausgebildete, tapfere und flexible Mitarbeiter das A und O sind. Ebenso viel Wert legt er auf das Elterngespräch: „Wir müssen so viel wie möglich über das Kind wissen.“ Denn nur dann hätten die Gäste die Möglichkeit, sich schnell einzuleben. „Es ist erstaunlich, wie schnell die sich alleine zurechtfinden“, nimmt er Eltern, die Bedenken haben, die Angst.
Dem schließt sich Thomas Beitelhoff, Leiter des Kurzzeitwohnens in der Einrichtung Die Arche im westfälischen Halle an. „Die Kinder lieben den geschützten Rahmen. Für Eltern hat er den Rat, dass sie einfach lernen müssten, dass ihr Kind auch außerhalb des Zuhauses gut untergebracht werden kann.
Zum Abschluss der Vorträge warf Prof. Dr. Barbara Fornefeld von der humanwissenschaftlichen Fakultät der Uni Köln einen Blick von außen auf das Thema Kurzzeitwohnen. „Je stärker das Kind beeinträchtigt ist, desto höher ist die Belastung für die Eltern, was auch durch eine höhere Scheidungsrate belegt wird“, referiert sie. Fornefeld kommt anhand von Studien zu dem Schluss, dass Kurzzeitwohnen entlastet und gleichzeitig dazu führe, dass eine stationäre Unterbringung vermieden werden könne. Voraussetzung sei gelebte Gastlichkeit. Fornefeld sieht nicht nur den Urlaub für die Eltern als benötigte Auszeit. „Kinder mit Behinderung brauchen auch einmal Erholung von der Familie“, meinte sie. Christoph Lemberg, Einrichtungsleiter bei der Lebenshilfe HPZ, ergänzt: „Kurzzeitwohnen ist nicht nur eine Unterbringung auf Zeit, sondern auch ein wichtiges und eigenständiges heilpädagogisches Angebot.“
pp/Agentur ProfiPress