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Jüdische Schicksale recherchiert

Schüler der Mechernicher Gemeinschaftshauptschule recherchierten Schicksale Kommerner Juden – Dokumentation der Greueltaten anhand einer Führung durch den Ort – 102-jährige Zeitzeugin aus London

Vor dem ehemaligen Haus der Familie Eiffeler in der Kölner Straße erinnern Stolpersteine an die ehemaligen jüdischen Bewohner. Durch die Nachforschungen der Schüler wurde das Schicksal der Kommerner Familie genau aufgeklärt. Foto: Paul Düster/pp/Agentur ProfiPress

Mechernich – „29 jüdische Familien gab es nach unserem heutigen Wissen im Kommerner Ortskern“, erklärte eine Schülerin der Arbeitsgemeinschaft „Forschen – Entdecken – Erinnern“  der Mechernicher Gemeinschaftshauptschule. Die AG um Lehrerin Gisela Freier hatte die Schicksale Kommerner Juden recherchiert und jetzt zu einem Rundgang durch Kommern eingeladen, der an der Ecke Kölner Straße/Am Friedhof begann. Dort, so berichteten die Schüler, wo vor dem zweiten Weltkrieg die Firma der bekanntesten jüdischen Familie in Kommern und Umgebung, der Familie Levano, gestanden hatte.

In der Firma, hatten die Hauptschüler herausgefunden, habe Eduard Levano landwirtschaftliche Produkte verkauft, weshalb er als „Getreidejude“ bekannt gewesen sei. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite habe er mit seiner Familie in einer großen Villa gelebt, zu der ein Park mit Pavillon und Rosengarten sowie ein Tennisplatz gehört habe. „Der Tennisplatz war so groß, dass selbst der Euskirchener Tennisclub dort seine Turniere ausspielte“, berichtete eine Schülerin.

Als die Nazis mit ihrer Hetzkampagne gegen jüdische Mitbürger begannen, war auch Eduard Levano unter den ersten Opfern. Er starb im November 1937. Einen Grabstein, so die Schüler-AG, habe seine Familie damals aufgrund der Verbote des NS-Regimes nicht aufstellen dürfen. Dies hatte Levanos Nichte Lilli Clyne, der 1938 die Flucht nach London gelang, den Schüler berichtet. Die heute 102-Jährige hatte ihnen zudem den genauen Ort der Grabstätte Eduard Levanos auf dem jüdischen Friedhof in Kommern beschrieben. Jetzt, Jahrzehnte nach seinem Tod, stellten die Mechernicher Schüler dort einen Grabstein für ihn auf. Lilli Clyne, berichteten sie, sei eine sehr wichtige Zeitzeugin für die Arbeitsgemeinschaft.  

Ebenfalls sehr hilfreich für die Recherchen sei Christina Hiller gewesen, in deren Hof in der Hüllenstraße 18 die Schüler etwas ganz Besonderes präsentieren konnten: Auf ihrem Gartentisch hatte die Kommernerin ein 24-teiliges Essservice mit Goldrand aufgebaut. 1903 sei dies ein Hochzeitsgeschenk für die jüdischen Eheleute Markus und Sibilla Schmitz (geborene Löwenstein) gewesen. Markus Schmitz, wussten die Schüler zu berichten, sei der letzte Vorsteher der Kommerner jüdischen Synagoge gewesen, die 1938 in der Reichspogromnacht bis auf die Grundmauern niedergebrannt wurde.

Als Markus Schmitz  mit seiner zweiten Ehefrau auf Anweisung der Nazis ins sogenannte „Judenhaus“ ziehen musste, mussten sie ihr ganzes Hab und Gut zurücklassen. Johann Hein, der das Haus Nummer 18 in der Hüllenstraße noch zu Lebzeiten von Markus Schmitz kaufte, verwahrte das Service, das nun bald im Mechernicher Rathaus in einer Vitrine ausgestellt werden soll.  

Auch zur Geschichte der jüdischen Synagoge in Kommern hatten die Schüler Interessantes herausgefunden. In den Ascheresten des niedergebrannten Hauses, berichteten sie, habe die damals zwölf Jahre alte Maria Klee, die gegenüber der Synagoge bei ihrer Oma übernachtet hatte, einen Synagogen-Leuchter gefunden und während der Kriegswirren in ihrem Bett versteckt. „2009 kam sie mit dem Leuchter zu uns in die Klasse und erzählte uns die Geschichte“, so eine Schülerin, „später hat sie ihn dann in London an Emmy Golding weitergegeben.“ Emma Golding sei 1939 mit ihrer Schwester die Flucht aus Kommern nach England gelungen. Maria Klee sei es ein Anliegen gewesen, dass der goldene Leuchter wieder in die Hände jüdischer ehemaliger Kommerner Mitbürger gelange.

Bei ihrem Rundgang deckten die Schüler noch weitere Schicksale auf.   Darunter auch das der Familie Eiffeler. Diese sei am 19. Juli 1942 nach Minsk deportiert worden. Dort sei die Familie, die Eltern Helene und Alfred Eiffeler sowie ihre Töchter Ruth und  Hannah noch am Abend der Ankunft erschossen oder in eigens umgebauten Bussen vergast worden. Vor dem ehemaligen Haus der Familie Eiffeler in der Kölner Straße erinnern Stolpersteine an die ehemaligen jüdischen Bewohner. Die Aufschrift: „Deportiert 1942 – Zielort unbekannt – verschollen“ ist nun aufgrund der Recherchen der Schüler überholt. „Erst durch die Nachforschungen unserer Schule wurde das Schicksal der Familie Eiffeler aufgeklärt“, sagte AG-Leiterin Gisela Freier.

Im Jahr 1941, hatten die Schüler herausgefunden, seien die jüdischen Bürger in Kommern im sogenannten „Judenhaus“ zusammengepfercht worden. Das Haus habe der Familie Eiffeler gehört. „Die Juden durften nur eine Matratze, eine Hose, ein Hemd und eine private Kleinigkeit mitnehmen“, berichteten die Schüler.

Auch vom Schicksal Carl Horns wusste die AG zu berichten. „Aufgehetzte Kommerner wollten ihn in der Pogromnacht mit dem Auto überfahren“, so ein Schüler, „er rannte um sein Leben und suchte Hilfe bei seinem besten Freund in Firmenich.“ Von dort aus sei er dann nach Luxemburg und schließlich weiter ins heutige Israel geflohen. Dort lebte Carl Horn bis 1975 am See Genezareth und arbeitete als Herbergsvater einer Jugendherberge. Sein Vater Abraham Horn wurde im KZ Theresienstadt umgebracht, seine Mutter Ida, sein Bruder Leo und seine Schwester Bertha starben in Auschwitz.

Die bewegende Führung der Arbeitsgemeinschaft endet unter großem Applaus der zahlreichen Zuhörer auf dem denkmalgeschützten Judenfriedhof in Kommern. Für ihre Recherche und die Aufarbeitung der jüdischen Schicksale übermittelte der stellvertretende Bürgermeister Robert Ohlert auch den Dank der Stadt Mechernich.

 pp/Agentur ProfiPress